Und es geht doch – Verpackungen lassen sich vermeiden, wenn jeder sich daran gewöhnt, dass es nicht immer Kunststofffolie sein muss. Unverpackt-Läden haben es vorgemacht.
Von der Erkenntnis eines Problems bis zu seiner Lösung braucht es manchmal Jahrzehnte. Das Übermaß an Plastikmüll ist ein Beispiel dafür. Schon im Jahr 1971 entdeckten die amerikanischen Biologen Edward Carpenter und Ken Smith bei einer Expedition in der Sargassosee zufällig unzählige kleine Kunststoffteile, die auf der Wasseroberfläche schwammen. Einige von ihnen waren als Zigarrenhalter, Schutzkappen für Spritzen oder als Druckknöpfe zu erkennen. 50 Jahre später ist das Problem des Plastikmülls nicht nur ins Bewusstsein vieler Menschen gedrungen, sondern es wird auch aktiv an Lösungen gearbeitet. Besonders in puncto Verpackungsreduktion scheint langsam ein Umdenken stattzufinden. Das zeigen die zahlreichen Unverpackt-Läden.
Begonnen hat es im Februar 2014, als die Französin Marie Delaperrière in Kiel das erste Geschäft ohne Einwegverpackungen in Deutschland eröffnete. Parallel dazu plante auch eine umweltbewusste Studentin einen Unverpackt-Laden in Berlin. Als Milena Glimbovski nach einem gemeinsamen Kochen und Essen bei einer Freundin den Müll herunterbrachte, war sie so entsetzt über die Unmengen an Verpackungsmüll für verhältnismäßig wenig Essen, dass sie daran grundsätzlich etwas ändern wollte. Und so geschah es auch: Nur wenige Monate nach Delaperrières Geschäftseröffnung in Schleswig-Holstein war es auch in Berlin so weit: Nach längerer Planung und Standort-suche konnten auch Milena Glimbovski und ihre Geschäftspartnerin Sara Wolf die Türen von „Original Unverpackt" an der Wiener Straße in Kreuzberg öffnen. Seitdem schwappt eine ganze Welle an Unverpackt-Läden über die Republik – verpackungsfrei einkaufen ist damit von Freiburg bis Hamburg in fast jeder größeren Stadt mittlerweile angesagt.
„Bei der Gründung haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, eine Alternative zu konventionellen Supermärkten zu werden", erläutert Ria Schäfli, die Marketingmanagerin des Unverpackt-Ladens Kreuzberg. „Im Handel werden Lebensmittel oft unnötigerweise zwei- und dreifach verpackt und Plastiktüten den Kunden hinterhergeworfen. Der Vorteil ist, dass es bei uns kaum Verpackungen gibt und dass auch kleinere Mengen einkaufbar sind." Nur bei vereinzelten Nahrungsmitteln sei es ohne Verpackung schwierig „Chips werden schnell matschig, wenn Luft drankommt."
Wer seinen Fuß in Berlins ersten Unverpackt-Laden setzt, findet außer Nahrungsmitteln wie Müsli, Nudeln, Reis, Nüssen, Süßigkeiten, Honig auch Reinigungsartikel und Hygieneprodukte. Dazu zählen mehrfach verwendbare Tampons aus Biobaumwolle und eine handtaschengerechte Podusche, die plastikverpackte Einweg-Feuchttücher ersetzen soll. Mehrweg statt Einweg, auch bei der Hygiene – das ist ohnehin die Devise der Läden. Wenn es nicht hundertprozentig kunststofffrei geht, dann wenigstens möglichst plastikarm. Das räumt auch Christoph Seibt ein, der ein paar Kilometer weiter im Unverpackt-Laden mit dem Namen „Der Sache wegen" in Berlin-Prenzlauer Berg arbeitet. „Fair-Trade-Nüsse aus Afrika zum Beispiel verderben zu schnell, wenn man sie nicht luftdicht verpackt", erläutert er.
Gewöhnungsbedürftig ist für Menschen, die noch nie in einem solchen Geschäft eingekauft haben, der Umstand, dass sie ihre üblichen Einkaufsgewohnheiten auf den Kopf stellen müssen. „Man muss seinen Einkauf schon planen", sagt die Marketingmanagerin. Soll heißen: Die Kunden bringen ihre Gläser, Edelstahldosen, Baumwolltaschen oder auch ihre Tupperdosen selbst mit und wiegen sie zunächst ab. Dann können sie diese befüllen. Jeweils separat pro Produkt, versteht sich. Wer keine eigene Verpackung mitbringt, kann sie im Laden auch erwerben. Am Ende des Einkaufs wird wieder gewogen und das Gewicht des jeweiligen Behälters abgezogen.
„Man muss den Einkauf schon planen"
Ein Wermutstropfen ist vielleicht das eingeschränkte Sortiment. Weil der Platz begrenzt und die Nachfrage nach Milch- und Fleischprodukten eher gering ist, findet man an der Wiener Straße weder ein passendes Stück Käse noch ein Steak. „Außerdem wollen wir Sachen Raum geben, die man sonst nicht unverpackt kriegt", erläutert Ria Schäfli. Schließlich könne man an jeder Käsetheke sein eigenes Gefäß mitbringen.
Auch im Kiezladen „Der Sache wegen" an der Lychener Straße finden Kunden auf circa 105 Quadratmetern eine Menge Zylinder, bauchige Tanks, Fässer und Krüge aus denen sich die Kunden Erbsen, Kaffee, Gries, Reis, Öl, Essig bis hin zu Kosmetika und Reinigungsmitteln abfüllen können. „Unser Ansatz ist ganzheitlich", sagt Kiezladen-Mitarbeiter Christoph Seibt und führt seine Gäste ins Lager, wo riesige Papiersäcke mit Müsli, Kaffee oder Reis lagern. Zugenäht oder zugetackert halten sie Feuchtigkeit von den Lebensmitteln fern. „Es bringt nichts, unverpackt zu sein, dann aber Palmöl aus Indonesien zu importieren", erläutert er. Es ist den Betreibern wichtig, dass die Produkte palmölfrei, biozertifiziert, fair gehandelt und möglichst regional sind. „Wobei regional auch heißen kann, dass wir ein Produkt aus der Türkei statt aus China einkaufen." Bezogen werde je nach Saison Ware von Anbietern aus der Region. Dazu zählen auch Früchte und Gemüse, das nicht der EU-Norm entspricht und ansonsten vernichtet werden würde.
Um dem Nachhaltigkeitsanspruch gerecht zu werden, werden die Produkte größtenteils in Papier- und Stoffsäcken oder in wiederverwendbaren Pfand-behältern angeliefert. „Wichtig ist das Multi-use-Prinzip, dass der Kunststoff mehr als einmal benutzt werden kann", erläutert Christoph Seibt. „Wir haben in der Woche circa 1.100 Liter Papier- und Pappmüll und 80 Liter Gewerbemischabfall, in dem auch ein Anteil Plastik ist."
Die Lieferanten haben sich auch umgestellt. „Früher haben sie uns noch ausgelacht, als wir sagten, wir wollten plastikfreie Verpackungen haben. Jetzt aber liefern sie Säcke ganz aus Papier oder solche, die außen eine Pappschicht haben und innen nur eine dünne Plasteschicht. Es geht doch."
Dass es geht, hat auch Ria Schäfli erfahren. Und dann verrät sie die Zukunftsversion der Unverpackt-Aktivisten: „Unser Wunsch ist es, dass man in jedem Geschäft unverpackt einkaufen kann."