Um ein Geschäft auf den Weg zu bringen und auch, um Banken von einem Vorhaben zu überzeugen, hat sich Crowdfunding bereits etabliert. Für ihre Eröffnung in Homburg nutzen Nadine Meyer und Jessie Platte die Plattform Startnext.
Es sind geschäftige Monate, die hinter Nadine Meyer und Jessie Platte liegen – und weitere vollgepackte haben sie noch zu schaffen. Denn die beiden Frauen aus Zweibrücken wollen bald einen Unverpackt-Laden in Homburg eröffnen. Bei ihrer Unternehmensgründung gehen sie einen Weg, der bis vor ein paar Jahren in Deutschland noch ungewöhnlich war: Sie starteten eine Crowdfunding-Kampagne. Diese Art der Anschubfinanzierung soll in ihrem Fall vor allem dabei helfen, das Sortiment bereits zu Geschäftsbeginn vielfältiger zu gestalten. Denn unisono sagen sie beide: „Wir werden ganz sicher aufmachen."
Ihre Kampagne läuft über die Plattform Startnext.com. Auf der Internetseite des Unternehmens mit Sitz in Berlin wird erklärt: „Die Idee hinter Crowdfunding ist einfach: Viele Menschen (crowd) finanzieren (fund) gemeinsam eine Idee, ein Projekt oder ein Unternehmen." Die Anschubfinanzierung wird geleistet, indem die Unterstützer einen gewissen Betrag überweisen, der jedoch erst auch tatsächlich fließt, wenn die Plattform das Projekt gegengecheckt und freigeschaltet hat. Die Crowdfinanzierung war anfangs vor allem bei Musikern beliebt, um die Produktion von Alben oder einen Auftritt auf die Beine stellen zu können, wie Startnext-Pressesprecher Lukas Haas erklärt. Dabei gelten die Unverpackt-Läden firmenintern als kleine „Anomalie", wie er mit einem Augenzwinkern erläutert. Denn im Grunde verteilen sich die Crowdfunding-Initiativen mit den vielfältigen Geschäftsfeldern auf die entsprechenden Plattformen relativ gleichmäßig. Doch geschätzt die Hälfte aller Unverpackt-Läden, die in Deutschland gerade auf den Weg gebracht werden sollen, nehmen die Dienste von Startnext in Anspruch. Seinen Anfang nahm die Geschichte 2014, als Milena Glimbovski ihren Laden in Berlin eröffnen wollte, wie er erklärt. Zunächst lehnten alle Banken die Finanzierung für das erste Geschäft seiner Art hierzulande ab. Die Gründerin startete also ein Crowdfunding – und hatte Erfolg. Sie peilte 45.000 Euro als Ziel an und übertraf es ganz locker: Mehr als 4.000 Unterstützerinnen und Unterstützer sorgten für ein Vor-Invest von 108.915 Euro. „Im Endeffekt wurde das Ziel pulverisiert."
„Einfach anmelden und Projekt anlegen"
Nun, Homburg ist nicht Berlin, und ganz so viel werden bei Nadine Meyer und Jessie Platte wohl nicht zusammenkommen. Doch die beiden Bald-Selbstständigen werden ihr Ziel von 15.000 Euro aller Voraussicht nach trotzdem erreichen. Denn knapp drei Wochen nach dem Start der Kampagne Anfang Mai beläuft sich die Crowd-Summe bereits auf rund 10.000 Euro – das Ende ist für den 20. Juni angedacht. „Das ist schon toll, wenn es so viel Resonanz gibt", sagt Jessie Platte. Nadine Meyer gibt zu bedenken: „Die letzten zwei Tage hat es etwas gestockt." Doch eine kleine Delle auf dem Weg zum erfolgreichen Ziel haben die beiden Gründerinnen mit einkalkuliert. Im Herbst soll es losgehen, ein genauer Öffnungstermin steht noch nicht fest. Fest steht vor allem, dass der Weg zur Gründung recht schnell ablaufen wird. Denn konkret wurde es zu Beginn des Jahres, als sich die beiden Freundinnen erstmals tatsächlich mit dem Gedanken an einen eigenen Unverpackt-Laden beschäftigten. „Das ist schon ein strammes Programm", sagt Nadine Meyer über die Idee bis zur Gründung innerhalb eines Dreivierteljahres. Um den Traum der Selbstständigkeit wahr werden zu lassen, legten sich die beiden mächtig ins Zeug. Wobei der Start einer Kampagne als solches bei Startnext recht einfach vonstattenging, wie sie erklären. „Einfach anmelden und Projekt anlegen", bringt es Jessie Platte auf den Punkt. Dann wird die entsprechende Seite – in diesem Fall www.startnext.com/unverpackt-mit-herz – mit Leben gefüllt. Sprich: Es werden Erklärtexte eingestellt, wer was wo und warum finanziert haben möchte. Zudem schaden Bilder mit Konterfeis der Unternehmensgründer nicht, und in diesem Fall stellten die beiden auch noch ein Video online, das gemeinsam mit Freunden entstand. Darin stellen sie ganz unverkrampft sich und ihr Konzept vor und wie sie überhaupt darauf gekommen sind, einen Unverpackt-Laden zu eröffnen. Es soll auf jeden Fall ein anderes Einkaufsgefühl für Homburg und Umgebung werden, wie sie bekräftigen. Der Markenkern ist natürlich die Müllvermeidung. „Man kann seinen Teil dazu beitragen", erläutern sie. Wie üblich bringen die Kundinnen und Kunden ihre eigenen Gefäße und Taschen mit und kaufen nur, was sie an Menge auch tatsächlich benötigen. Seitdem sie sich mit dem Gedanken an eine Gründung auseinandersetzten und noch vor Beginn der Crowdfunding-Kampagne laufen Gespräche mit Lieferanten. „Wir wohnen so ländlich – wir können hier alles haben", sagt Jessie Platte. Nadine Meyer fügt hinzu: „Alles frisch und regional."
Für Unverpackt-Läden passe eine solche Kampagne wie die Faust aufs Auge, erläutert Lukas Haas. „Das ist fast schon basisdemokratisch." Denn im Endeffekt finanzieren Unterstützer genau das, was sie haben möchten: regionale und frische und meist auch saisonale Produkte – und eben deutlich weniger Produktion von Verpackungsabfall. Der Pressesprecher erklärt: „Wir sind mit 220,5 Kilogramm produziertem Verpackungsmüll pro Kopf Spitze in Europa. Obst und Gemüse werden zu 63 Prozent vorverpackt verkauft, und jährlich fallen insgesamt über 18 Millionen Tonnen Verpackungsabfälle in Deutschland an. Und das schlimmste – der Trend steigt. Zwischen 2009 und 2016 haben die Verpackungsabfälle um 20 Prozent zugenommen."
Er selbst unterstützt auch persönlich den Unverpackt-Gedanken und hat sich schon das eine oder andere Mal an einer Crowdfunding-Kampagne beteiligt, gemeinsam mit seinem Vater etwa beim ersten Laden in Berlin. „Ich muss aufpassen, dass nicht zu viel von meinem Geld hängenbleibt", sagt er mit einem Augenzwinkern. Genau weiß er es nicht, doch er vermutet, dass auch beim Crowdfunding der lokale Gedanke eine große Rolle bei der Unterstützung spielt. „Vermutlich wird kaum jemand aus Berlin einen Laden in Frankfurt unterstützen", sagt er. Das sei bei Musikern auf der Suche nach einer Produktionsunterstützung natürlich anders. Generell bekommen die Unterstützer in der Regel auch eine Gegenleistung für ihr Invest. Beispielsweise das fertige Produkt, wenn es etwa um ein Buch geht, oder das dann fertige Designprodukt, eine DVD, ein Album oder auch ideelle Gegenleistungen wie den Eintritt zu einer Premiere oder eine Nennung im Abspann eines Filmes.
Auch Nadine Meyer und Jessie Platte bilden da keine Ausnahme. Ein von den beiden Bald-Unternehmerinnen selbst zusammengestelltes Duschset ihres Lieferanten „Kräutermagie" für 45 Euro beispielsweise. Oder eine Flatrate für Müsli oder Nudeln, mit der man jeweils für 100 Euro ein Jahr lang für je zehn Euro im Monat eben Müsli oder Nudeln abfüllen kann. Auch eine Einkaufstasche mit dem firmeneigenen Logo für 15 Euro oder ein Unverpackt-Starterset für 25 Euro mit Bügelglas und Naturbeutel ist möglich. Es ist aber auch eine Unterstützung mit zehn Euro ohne Gegenleistung buchbar oder sogar ein Eintrag auf der „Wall of Fame" für 500 Euro. Dafür wird dann der Name des Unterstützers oder der Unterstützerin ein Jahr lang prominent im Laden platziert – eine Urkunde bekommt man natürlich ebenfalls.
So ist also ein gewünschter Nebeneffekt einer Crowdfunding-Kampagne auch die Werbung und das längerfristige Binden der Kunden von morgen. „Uns geht es aber auch um eine Art von Mut und Progressivität", sagt Lukas Haas von Startnext. Dabei wird von dem Unternehmen gerne Unterstützung bei Strategie und Bewerbung gegeben, als Dienstleister sieht sich das rund 20-köpfige Team jedoch nicht. Nach interner Prüfung werden die Projekte „ohne moralische Zweifel" freigeschaltet. Die Finanzierung einer Rechtsrock-Platte wird es bei Startnext also keinesfalls geben. Eher Skurrilitäten wie die Kampagne zweier Vereine, die Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble „kaufen" wollten, um seine Stimme für ein besseres Lobbyregister zu gewinnen. Das Projekt wurde jedoch eingestellt – der Geldkoffer war wohl nicht groß genug. „Das ist Schwarmfinanzierung at its best", sagt der Pressesprecher lachend.
Was Jessie Platte und Nadine Meyer während der Kampagne auffällt, ist, dass es mehr Resonanz gibt, je mehr sie ihre Initiative auf den sozialen Medien bewerben. Posten die beiden also etwas auf ihrer Facebook-Seite, fließt mehr Geld, kurz zusammengefasst. So bewerben die beiden ihr zukünftiges Unternehmen also nicht nur durch Poster, die sie in Homburger Geschäften selbst platzieren, sondern auch dadurch, dass sie nach und nach ihre Lieferanten und ihre Produktpalette in den sozialen Medien bekanntgeben. Nadine Meyer wird ihre Arbeit als Industriekauffrau bei einem Global Player in Homburg übrigens beibehalten und sich parallel um „Unverpackt mit Herz" kümmern. Jessie Platte wird ihre Anstellung im Bistro der Uni-Klinik aufgeben. „Ich bin dann komplett im Laden."