Der Einzelhandel vermeidet immer mehr Kunststoffverpackungen und setzt auf Mehrweg. Und einige Händler und Fachmärkte hierzulande testen sogar Stationen zum Ab- und Nachfüllen. Also geht das Einkaufen Richtung Unverpackt? Ein Überblick über einen zaghaften Trend.
Sich in der Tupperdose das Fleisch von der Frischetheke einpacken lassen, an der Trockenwaren-Station die gewünschte Menge Nudeln, Reis oder Müsli in Einmachgläser abfüllen und an der Salat-Bar das frische Grünzeug in die Lunchbox packen – hört sich an wie Zukunftsmusik, aber ist hierzulande schon Realität. Der Einzelhandel setzt schon seit langer Zeit auf weniger Verpackungsmüll und mehr recycelbare Verpackungen. Auf der Webseite wenigerverpackung.de listet der Handelsverband Deutschland (HDE) auf, was die großen Lebensmittelhändler und Discounter wie Aldi, Edeka, Netto, Rewe und die Schwarz-Gruppe alles tun – angefangen von Mehrwegnetzen für Obst und Gemüse über die Auslistung von Einwegplastikartikeln bis hin zum ressourcenschonenden Einsatz von Rezyklaten beispielsweise in PET-Flaschen (siehe Infokasten).
Vor zwei Jahren trafen sich erstmals Vertreter großer Handelsunternehmen, Hersteller, Umwelt- und Verbraucherverbände und eines Unverpackt-Ladens mit Umweltministerin Svenja Schulze (SPD), um zukünftig überflüssige Kunststoffverpackungen im Handel zu vermeiden. Die Teilnehmer des Runden Tisches einigten sich auf konkrete Maßnahmen. Allerdings ist pandemiebedingt der Runde Tisch unterbrochen, wie ein Sprecher des Bundesumweltministeriums sagte. Ein offizielles Monitoring der Maßnahmen durch das Ministerium sei nicht geplant. Dennoch zieht der Ministeriumssprecher ein positives Zwischenfazit des Runden Tisches, auch wenn noch nicht alle Ziele erreicht wurden. Luft nach oben gebe es hingegen weiterhin im Mehrwegbereich, so der Sprecher. Vor allem beim Angebot von Getränken in Mehrwegverpackungen und einheitlichen Mehrweglösungen an der Frischetheke und in Selbstbedienungsbereichen.
Luft nach oben im Mehrwegbereich
Dennoch ist seit einigen Jahren ein zaghafter Trend zu weniger Verpackung im Einzelhandel zu beobachten. Etliche Lebensmittelhändler packen ihren Kunden bereits an der Frischetheke die Wurst und Käse in mitgebrachte Mehrwegboxen. Einige Einzelhändler testen den Einsatz dieser Transportbehältnisse an Salat- und Sushi-Bars. Ab 2023 sollen Händler verpflichtet werden, Mehrwegalternativen für frische Waren anzubieten, sagt HDE-Experte für Umweltpolitik, Benjamin Peter (siehe auch die Seiten 82/83). Die Verpflichtung zum Angebot von Mehrwegverpackungen trifft den Handel beispielsweise bei frischen Salat- oder Sushi-Bars in Vollsortimenten. Kunden müssen also die Wahl haben, den Salat oder die Sushi-Rollen in einer Mehrwegverpackung mitnehmen zu können. Doch Unverpackt hat bei Konsumenten offenbar in letzter Zeit an Relevanz verloren: „Während der Corona-Pandemie spielt für einen Großteil der Kunden die Verpackung von Lebensmitteln bezüglich der Hygiene eine Rolle. Daher ist das Thema Unverpackt in dieser Zeit etwas in den Hintergrund gerückt", sagt Benjamin Peter.
Doch nicht nur die großen Einzelhandelskonzerne tun etwas dafür, damit die immense Menge an Plastikverpackungen sinkt, auch die Ideen der kleineren Akteure können sich sehen lassen. Die „tegut… gute Lebensmittel GmbH" mit rund 290 Märkten in Hessen, Thüringen und Bayern hält in 21 Filialen Unverpackt-Stationen vor – da gibt es alles von Getreidesorten über Nudeln, Hülsenfrüchte, Müsli, Früchte, Samen, Nüsse bis hin zu Süßigkeiten. „Die Kunden haben das Angebot vom ersten Tag angenommen und genutzt", sagt Matthias Pusch, Leiter der Unternehmenskommunikation. Wer diese Produkte kaufe, schätze das „unkomplizierte Handling beim verpackungsfreien Einkauf". Seit 2018 bieten sogar Tegut-Märkte verpackungsfreien Einkauf an der Frischetheke. Das heißt an der Frischetheke lässt man sich Fleisch, Wurst und Käse in die eigene Mehrwegbox füllen. Der Unternehmenssprecher zieht auch hier eine positive Bilanz. Zwar sei der damit verbundene Aufwand hoch, doch was zähle, sei, dass das Angebot von Kunden sehr gut angenommen werde. Der Einzelhändler sieht sich geradezu verpflichtet, „nach Alternativen zu herkömmlichen Verpackungen" zu suchen. So entwickelte Tegut beispielsweise 2019 einen Hackfleischkarton mit 75 Prozent weniger Plastikanteil. Hat Unverpackt hierzulande eine Zukunft? „Wir glauben an diese Art des Einkaufens und sind überzeugt davon, dass es in den kommenden Jahren noch weitere Felder geben wird, in denen sich Unverpackt durchsetzen kann", betont Pusch.
Das Angebot wird von Kunden sehr gut angenommen
Das Ab- und Nachfüllen von Pflege- und Reinigungsprodukten an Stationen, testet die Drogeriemarkt-Kette dm in deutschlandweit 18 Filialen (Stand: 14. Mai). Die Nachfüllstationen, teilt dm auf Anfrage mit, könnten einen Beitrag leisten zu einer ressourcenschonenden Wiederverwendung und zur Kreislaufwirtschaft. Das Abfüll-Prinzip ist unkompliziert: Kunden nehmen an einer Nachfüllstation eine leere Flasche, befüllen sie bis zu dreimal und geben sie dann wieder ab – dann sollte das Gefäß auf Verunreinigung und Abnutzung geprüft werden. Dafür erhält der Kunde umsonst eine neue Flasche und eine Gratis-Abfüllung. Vorerst werden in drei Märkten, zwei in Hamburg und einer in Ettlingen, Abfüllstationen für zwei Pflegeduschen-Produkte einer namhaften Marke getestet.
In 15 Filialen, wo Nachfüllstationen für je zwei Waschmittel-Artikel und Handspülmittel eines anderen Herstellers stehen, läuft die Testphase ein Jahr.
Die Resonanz der Kunden ist nach Angaben von Sebastian Bayer, verantwortlich für das Ressort Marketing und Beschaffung, gut. Das Serviceangebot werde, so Bayer, nicht nur einmal ausprobiert, sondern „viele bleiben dabei und nutzen die erworbene Verpackung, um diese wieder neu zu befüllen". Gemeinsam mit den Kooperationspartnern Beiersdorf und Henkel werde dm die Rückmeldungen und das Feedback der Kunden analysieren und entscheiden, ob und in welcher Form die Nachfüllstationen auf weitere Märkte ausgedehnt werden.
Auch Edeka sieht ein wichtiges Anliegen darin, Verpackungen zu vermeiden und zu optimieren. Zusammen mit seinen Lieferanten arbeitet der genossenschaftliche, dezentrale Verbund, der von 3.600 selbstständigen Kaufleuten und sieben regionalen Großhandlungen getragen wird, fortdauernd daran, so wenig Verpackungsmaterial wie möglich zu verwenden. Allerdings immer unter der Einhaltung des Produktschutzes und damit der Vermeidung von Lebensmittelverschwendung. Sollte Letzteres nicht möglich sein, setzt Edeka auf das Prinzip „Mehrweg statt Einweg" und Reduzierung. So wird nahezu das komplette Obst- und Gemüsesortiment in Edeka-Märkten lose angeboten – gekennzeichnet mit Etiketten oder „Smart Branding", einem Laserverfahren mit dem beispielsweise auf die Kürbisschale „Bio" eingebrannt wird. 50 Tonnen Verpackungen werden dadurch pro Jahr weniger gebraucht. Bei allen Salatgurken verzichtet Edeka auf die Plastikhülle. So werden 94 Tonnen Plastik im Jahr eingespart. Außerdem hat Edeka eigenen Angaben zufolge die sogenannten Knotenbeutel an den Obst- und Gemüse-Abteilungen in den vergangenen drei Jahren um 160 Millionen Stück zurückgefahren. Dafür können die Kunden Mehrwegnetze nutzen. Als erster Lebensmittelhändler setzt Edeka – statt Einweg-Verpackungen zu verwenden – an den Frischetheken zum Beispiel auf Mehrwegdosen im Kreislaufsystem. Viele Märkte verwenden auch Tabletts, auf die die Kunden ihre mitgebrachten Behälter stellen und über die Theke reichen können, sagte eine Pressesprecherin.
Die selbstständigen Edeka-Kaufleute entscheiden eigenverantwortlich, ob sie Unverpackt-Stationen in ihren Märkten anbieten. Neben solchen Abfüllstationen für das Trockensortiment wie Müsli, Linsen und Süßwaren gebe es auch Milchzapfstellen.
Mehr Single-Haushalte bedeuten mehr Müll
In der Vergangenheit musste viel zu viel Verpackungsmüll eingesammelt werden. Allein 2018 kamen nach Angaben des Umweltbundesamtes bundesweit 18,9 Millionen Tonnen Verpackungsabfälle zusammen. Umgerechnet auf den Pro-Kopf-Verbrauch ergibt das 227,5 Kilogramm. Mit 8,4 Millionen Tonnen machten Papier, Pappe und Karton den Löwenanteil aus, danach folgten Holz (3,4 Millionen), Kunststoff (3,2 Millionen) und Glas (2,9 Millionen). Die Umweltbehörde nennt als Gründe für den Anstieg die veränderten Ess- und Konsumgewohnheiten der Bürger, einen zunehmenden Anteil an Ein- und Zweipersonenhaushalten und von älteren Menschen.