Er ist Seismograf und Klagemauer zugleich. Über den Petitionsausschuss erfahren die Abgeordneten, welche Sorgen und Probleme die Bürger plagen. Jetzt hat er seinen Jahresbericht vorgelegt.
Wie viel wissen Sie über den blutigen Konflikt in Kamerun? Was glauben Sie, wie viele Familien noch heute unter den Folgen der Zwangsadoption zu Zeiten der DDR leiden? Oder kennen Sie die Probleme von Patienten, die zur Behandlung ihrer Schmerzen Cannabis verschrieben bekommen und sich dennoch oft einem Strafverfahren stellen müssen?" Mit diesen Worten eröffnete Marian Wendt (CDU), Vorsitzender des Petitionsausschusses, die Bundestagsdebatte über den Jahresbericht seines Ausschusses.
In der Tat: Die Bandbreite ist groß, die Gefühle aufgewühlt, die Themen so vielfältig wie das Leben. Mehr als die Hälfte der Arbeit seines Ausschusses mache die Bearbeitung persönlicher Anliegen aus, so Wendt. Dabei ging es zum Beispiel um Meinungsverschiedenheiten mit den Jobcentern wegen der Bearbeitungsdauer von Anträgen, um Ungerechtigkeiten bei der Zuteilung von Corona-Hilfen oder zu viel gezahlte Krankenversicherungsbeiträge. Zwar konnte nicht jedem Petenten zu dem gewünschten Ergebnis verholfen werden – aber der Petitionsausschuss versucht auch dadurch zu helfen, dass er Entscheidungen der Behörden erklärt und verständlich macht. Viele Anfragen konnten bereits im Vorfeld des parlamentarischen Verfahrens abgeschlossen werden. Denn oft bewirkte bereits die Aufforderung des Ausschusses zu einer Stellungnahme bei den staatlichen Stellen eine gründlichere Abwägung des Sachverhalts.
Meist persönliche Anliegen
„Der Petitionsausschuss des Bundestages mischt sich in Themen ein, die viele Mitbürger bewegen", sagt Marian Wendt. „Wir tragen sie letztlich in dieses Parlament, auch wenn sie nicht immer auf Platz eins des öffentlichen Interesses stehen." Saskia Ludwig, seine Kollegin im Ausschuss, nennt ihr Gremium ein Frühwarnsystem mit dem man „eine Art Erregungskurve auch innerhalb der Gesellschaft wahrnehmen kann" – gerade zu Themen, die den Schutz von Kindern vor Missbrauch betreffen. Wenn die entsprechenden Petitionen als Material dann ans Ministerium gehen und dann – wie am 25. März – ein Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder entsteht, sei das auch ein Ergebnis der Arbeit des Petitionsausschusses.
Im Grundgesetz ist der Petitionsausschuss durch Artikel 17 verankert: „Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden." Mehr als 14.300 Bürger haben das im vergangenen, vom Coronavirus geprägten Jahr getan, rund 800 mehr als im Jahr davor. Fast die Hälfte (44 Prozent) aller Eingaben gehen auf elektronischem Wege unter Verwendung des Web-Formulars über das Petitionsportal im Internet ein. Mit mittlerweile über 3,7 Millionen registrierten Nutzern ist das Petitionsportal des Ausschusses das mit Abstand erfolgreichste Internetangebot des Deutschen Bundestages.
Artikel 17 garantiert jedem das Recht, eine Petition einzureichen – unabhängig davon, ob er oder sie volljährig ist, Ausländer ist oder im Ausland lebt. Generell kann jede Petition als Brief, Fax, Postkarte oder über die Website des Petitionsausschusses eingereicht werden. Es gibt aber eine Besonderheit: Beim Einreichen kann man um Veröffentlichung der Petition bitten. Das nennt sich dann öffentliche Petition. In diesem Fall muss die Petition über die Website eingereicht werden. Für eine Veröffentlichung muss die Petition festgelegten Richtlinien entsprechen. Sie darf beispielsweise nicht gegen die Menschenwürde verstoßen oder zu Straftaten auffordern.
Wird die Petition veröffentlicht, kann sie auf der Website diskutiert und mitgezeichnet werden. Erreicht sie innerhalb von vier Wochen, dass sie 50.000 Menschen mit unterzeichnen, wird die Sitzung des Petitionsausschusses dazu öffentlich abgehalten. Der Ausschuss kann den Bundestag allerdings nicht zwingen, ein Thema im Plenum zu behandeln. Ansonsten findet die Beratung hinter verschlossenen Türen statt. 2020 fanden insgesamt 26 Sitzungen des Petitionsausschusses statt. Darunter waren nur fünf öffentliche Sitzungen, in denen 14 Eingaben beraten wurden.
Menschen in Notlagen helfen
Beteiligungsstärkste Petitionen waren Wendt zufolge der Wunsch nach der Einführung eines zeitlich begrenzten Grundeinkommens wegen der Corona-Pandemie, der Stopp der humanitären Krise in Hongkong, das Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, keine zentrale Datenspeicherung sämtlicher Patientendaten, die CO2-Kennzeichnung von Lebensmitteln, die Reduzierung der wirtschaftlichen Abhängigkeit Deutschlands von nichtdemokratischen Staaten und die Corona-Soforthilfen für Selbstständige.
In jüngster Zeit hat sich allerdings – so der FDP-Abgeordnete Manfred Todtenhausen – gezeigt, dass hinter diesen besonders erfolgreichen Petitionen ein kommerzielles oder politisches Interesse steht. Dafür sei das Petitionsrecht allerdings nicht gedacht.
Marian Wendt selbst hört nach knapp vier Jahren Ausschussarbeit auf. In seiner letzten Rede legt er künftigen Mitgliederns ans Herz: „Gehen Sie in den Petitionsausschuss. Sie werden viel mehr über unser Land und unsere Mitmenschen lernen als an jeder anderen Stelle in diesem Haus. Und: Sie können Menschen in konkreten Notlagen helfen." Wie er selbst den „gestohlenen Kindern", die zu DDR-Zeiten zwangsadoptiert wurden, weil ihre Eltern geflohen waren. Seine Recherchen, die er im April 2018 übernommen hatte, hätten zu vielen konstruktiven Gesprächen im Hause mit den Betroffenen und der Bundesregierung geführt und Gesetzesänderungen angeregt, die jetzt zum Tragen kämen.