Jan Delay (45) suhlt sich auf seinem fünften Soloalbum „Earth, Wind & Feiern" wieder in handgemachten Old-School-Grooves. Im Interview spricht er über das Vatersein, Knastbesuche und Verschwörungstheorien in der Hip-Hop-Szene. Der Rapper reist zum Interview in Prenzlauer Berg mit dem Fahrrad an – Kindersitz inklusive.
Jan Delay, wie ist es, in Zeiten von Corona Musik zu machen?
Die Platte „Earth, Wind & Feiern" war drei Tage vor Corona fertig. Dann kam noch Marteria vorbei, hat seinen „Eule"-Part eingerappt und ist anschließend nach Venezuela geflogen. Und in der Woche, als wir den Vorverkauf starten wollten, ging die Scheiße los. Das haben wir dann gecancelt, meinen Urlaub natürlich auch.
Nach zwei Monaten wurde mir klar, dass man auf absehbare Zeit keine Konzerte wird geben können. Für mich ist es hart, dass ich jetzt nicht mit den Leuten zusammen die Songs feiern kann. Sie laufen auch nicht in Clubs. Mal gucken, ob man das mit neuen Ideen kompensieren kann.
Was macht Ihnen in dieser Zeit gute Laune?
Musik zum Beispiel. Ich wollte eine positive Platte mit guten Vibes machen, um all die beschissenen Sachen angehen zu können. Das hilft. Ein Argument mehr für mich, gerade diese Platte rauszuhauen. Die Zeile „Es sind finstere Zeiten, aber das muss gar nicht sein" aus dem Intro habe ich übrigens vor Corona geschrieben.
Im Intro heißt es auch: „Nach der Rock-Platte, auf die keiner Bock hatte" und „Nichts ist so kalt wie der heiße Scheiß von gestern". Gilt das für Ihren Nummer-eins-Erfolg „Hammer & Michel" von 2014?
Das ist einfach eine gute Zeile. Jeder, der sie hört, muss schmunzeln. Und darum geht’s. Lustig, dass sie gleich am Anfang der Platte kommt und damit das Thema abgeschlossen ist. Zack, okay. Jetzt neuer Shit!
Hatten Sie von Anfang an eine Vorstellung von dem Sound der neuen Platte?
Wir wollten uns diesmal keine Genre-Handschellen anlegen. Wir haben einfach die Musik gemacht, auf die wir Bock hatten und geschaut, was daraus wird. Positive Vibes und gute Energie. Uplifting music halt. Das heißt nicht, dass ich nicht über ernste Themen reden will, aber man soll daraus etwas schöpfen und nicht runtergezogen werden. Ich hatte auch mal wieder Lust auf Reggae, Dancehall, Trap und Afrobeat. Wenn ich mit meiner Band Rhythms aufnehme, schmeiße ich am Ende eher die Live-Drums raus und programmiere neue drunter. Funk- oder Boogie-Nummern dicken wir mit Bassdrum, Snare und Subbässen an, damit es clubmäßig klingt. Der rote Faden war, alte Musiken ins Hier und Jetzt zu holen.
Der Titel „Earth, Wind & Feiern" ist eine Anspielung auf die Band Earth, Wind & Fire. Zeilen wie „Mucke aus den USA, Karibik und Afrika, ich ess‘ nur rote Paprika und baue noch ‘nen Klassiker" drücken Ihre Wertschätzung für schwarze Soul-, Funk- und Reggaemusik aus.
Earth, Wind & Fire ist eine der besten Bands aller Zeiten. Ich höre eigentlich nur schwarze Musik, das kommt von der Plattensammlung meiner Eltern. Madonna und Udo Lindenberg finde ich immer noch super, aber die haben letztendlich auch schwarze Musik gemacht. Ich habe ihr alles zu verdanken. Deshalb hat die Rockplatte wahrscheinlich auch nicht hingehauen. Man muss das machen, was man machen will und nicht das, was einem andere sagen. Dann kommt nämlich sowas bei raus. Aber vielleicht wird die Rockplatte ja in 20 Jahren gecovert und dann wird es auf einmal eine Hanuta-Reklame.
Hanuta wäre okay für Sie?
Klar. Das ist für mich ein großer Unterschied. Diese ganzen Werbevögel wollen mich persönlich immer als Testimonial haben, und das sage ich jedes Mal ab. Da habe ich schon sehr viel Geld weggeschmissen. Würden sie nur den Song nehmen, wäre für mich alles gut, solange nicht irgendeine Scheiße beworben werden soll. Hauptsache, ich muss nicht meine Fresse hinhalten.
Eine neue Bewegung gegen kulturelle Aneignung richtet sich gegen eine klischeehafte Darstellung eines Milieus und einer Kultur, der man nicht selbst angehört. Dürfen Weiße schwarze Musik machen?
Ich kann verstehen, dass man keine anderen Kulturen ausbeuten soll. Das tue ich auch nicht, weil ich schon mein ganzes Leben lang mit Liebe und Leidenschaft Musik mache. Ich versuche auch immer, etwas zurückzugeben. Deshalb stehe ich Cultural Appropriation vorsichtig gegenüber. Das, was mich initial umgehauen hat, war Hip-Hop. Genauso wie Hip-Hop von vornherein antirassistisch ist, ist er nach allen Seiten offen. Du brauchst keinen Status, kein Geld und auch keine besondere Herkunft, um diese Musik zu machen. Du brauchst nur einen Zettel, einen Stift und Talent. Dabei bedienst du dich überall, wo du willst. Das würde ja Cultural Appropriation komplett im Wege stehen. Deshalb funktioniert dieses Prinzip für mich als Old-School-Hip-Hopper nicht. In meinem Song „Spaß" schildere ich, wie es ist, im Alltag der besorgten Bürger unterwegs zu sein. Dort gibt es nichts, was aus dem Ausland ist. Das ist tierisch langweilig, ätzend und trist. Ich möchte bitte gerne viel Cultural Appropriation in meinem Leben haben!
Woher kommt der Hass der „besorgten Bürger" auf alles Fremde?
Das habe ich mich auch schon als Kind gefragt, als wir in der Schule über Nazis geredet haben, die 1933 an die Macht gekommen sind. Wieso haben die damals die Juden so gehasst? Das konnte ich noch nie verstehen. Man sollte nie aufhören, sich damit in der Kunst auseinanderzusetzen, in welcher Form auch immer. Dieses Zersplittern, das wir gerade erleben, ist auf Facebook zurückzuführen. Auf der Rockplatte, auf die keiner Bock hatte, war der Song „Scorpions Ballade". Er dreht sich darum, dass alles verschwimmt. Wo sind meine Feinde, wo sind meine Freunde? Das ist noch mehr vorangeschritten durch Facebook. Besserverdiener-Ökos mit Jack-Wolfskin-Klamotten, Esoterik-Impfgegner und latente Nazis der Identitären Bewegung demonstrieren heute Hand in Hand gegen den Mundschutz. Was geht da ab?
Auch in der Hip-Hop-Szene kursieren Verschwörungstheorien. Als Beweis für die angebliche Flachheit der Erde führte der Rapper Olexesh in einem Interview mit „hiphop.de" an, dass alle Nasa-Aufnahmen „mit Fischauge gedreht" werden würden. Würden Sie mit Kollegen ernsthaft über dergleichen diskutieren wollen?
Wenn einer von den Rappern, die ich gut kenne, solche kruden Sachen sagt, würde ich mit ihm diskutieren, weil es mir wirklich wichtig ist. Aber bisher hat noch keiner von denen, deren Nummer ich hier in meinem Handy habe, behauptet, dass die Erde eine Scheibe sei. Aber Alter, im Moment will ich gar nichts ausschließen!
Zurück zu Ihrer Platte: Funk und Soul sind heute so vital wie lange nicht mehr. Aber haben die ihre Radikalität und ihr innovatives Potenzial vor lauter Nostalgie nicht längst verloren?
Das Radikale kam zum Beispiel auf meiner Reggae-Platte „Searching For The Jan Soul Rebels" viel mehr zum Glänzen. Aber jetzt möchte ich eher positive Vibes aussenden, weil wir im Moment genug Scheiße um uns herum haben, um die wir uns wirklich kümmern müssen. Musik kann gute Laune machen und Energie erzeugen. Damit kann man Taten vollbringen. Die Innovation ist mir bei Jan Delay einfach egal. Für mich als Pop-Fan ist sie eine der langweiligsten Sachen, die es gibt. Sehr abschreckend. Die Eagles of Death Metal darf man eigentlich nicht mehr hören, aber ich liebe ihren Song „Wannabe in LA". Aber dann kommt da dieses abgefuckte Solo. Immer wenn es zu gefällig wird, muss etwas folgen, das alles rumreißt. Leute, ihr habt so einen schönen Song, warum müsst ihr da jetzt mit eurer abstrakten Innovation kommen! Innovation ist nur geil, wenn es wie bei Billie Eilish wirklich um neue Sounds geht.
Sind Sie ein Klang-Nerd?
Volles Brett! Ich bin ja selbst der Producer, zusammen mit Tropf und Fiji Kris von Kitsch-Krieg. Alle guten Produzenten sind Nerds.
Der „allerbeste Treibstoff" ist für Sie die „Energie der Nacht"?
Ja. Ich wollte der Nacht einmal eine schöne Ode schreiben, und die „Eule" ist stellvertretend für Nachtaktivität.
Klappt das noch, seit Sie Vater sind?
Doch klar, das ist ja mein Job. Die Nachtschwester entschuldigt sich ja auch nicht damit, Mutter zu sein. Es renkt sich alles ein. Ich hatte den Job auch schon, bevor wir uns entschlossen haben, Eltern zu werden. Da redet man ja auch drüber. Du kannst nicht die Kleine in den Kindergarten bringen und dann um 10 Uhr ins Studio gehen und denken, dass dir jetzt ein Hit einfällt. Du brauchst einfach eine Freiheit. Songschreiben lässt sich nicht so abhandeln wie Autos reparieren. Manchmal geht es in zwei Minuten, manchmal dauert es zwei Monate.
Wie viel Schlaf brauchen Sie?
Auf jeden Fall mehr als sechs Stunden. Wenn ich die Möglichkeit habe, lege ich mich wieder hin, nachdem ich die Kleine in den Kindergarten gebracht habe.
In „Zurück" singen Sie darüber, wie es ist, sich immer wieder von Ihrer Tochter verabschieden zu müssen, wenn Sie auf Tour gehen. Erleben Sie das Vaterdasein jetzt, wo keine Konzerte möglich sind, besonders intensiv?
Ja, es ist wunderschön. Die totale Entschleunigung gepaart mit dem totalen Beisammensein. In der Wohnung mit seiner Familie im Hier und Jetzt zu sein ist viel größer als die Krise da draußen. Man geht nur einmal die Woche in den Supermarkt, weil man denkt, dass man beim Deo kaufen tot umfällt. Ich war noch nie so lange am Stück mit meiner Tochter zusammen. Ich habe auch gemerkt, wie viel Zeit Hausarbeit kostet. Ich habe zum Beispiel angefangen, Brot zu backen.
Sie haben voriges Jahr den Führerschein gemacht – Ihrer Tochter zuliebe?
Ja. Ich hatte die Platte drei und den Führerschein zehn Tage vor Corona fertig. Schwein gehabt! Die erste Fahrt mit Lappen war von der JVA nach Ottensen in einem Auto mit Schaltung. Gott sei Dank mit einem Kumpel. Kurz vor zu Hause ist mir der Fiesta an einer Ampel mehr als dreimal hintereinander abgesoffen. Alle hinter mir waren genervt, und ich war schweißgebadet. Seitdem bin ich nur noch Automatik gefahren.
Wie war Ihr Besuch im Knast?
Strange. Das war am Anfang der Pandemie, noch vor dem Lockdown. Ich war erstmals als Besucher in einem Gefängnis, und es war überhaupt nicht gefährlich, hart oder runterziehend, wie es oft dargestellt wird. Die Gefangenen dürfen in alphabetischer Reihenfolge Besuch empfangen. Im Warteraum kennen sich alle, weil sie jede Woche da sind. Es war gut, das einmal zu erleben. Gefängnis gehört zu unserer Gesellschaft einfach dazu. Ich finde es schade, dass Teile aus der Gesellschaft so ausgegrenzt werden, dass wir davon gar nichts mitkriegen. Als Zivi war ich in einer Sozialstation bei alten und schwer kranken Menschen. Das hat mir ganz viel gebracht. Jeder müsste so etwas machen.
Wie wäre es mal mit einem Knastkonzert?
Habe ich schon gemacht, im Hamburger Untersuchungsgefängnis Holstenglacis. Da gab es einen Riesenskandal. Die „Bild" hat mich immer auf dem Kieker, weil ich ja nicht mit ihr rede. 2015 hat eine kulturinteressierte Justizangestellte dieses Konzert organisiert, was richtig cool war. Ein Team vom NDR hat es gefilmt, und in dem Bericht war eine Nahaufnahme eines Schlüsselbundes zu sehen. Das stellte sich später als Sicherheitsverstoß heraus. Deshalb war ich für die „Bild" daran schuld, dass 600 Schlösser in der gesamten JVA ausgetauscht werden mussten. Der Hamburger Justizsenator meinte zu uns, dass wir nichts dafür könnten. Die Schlösser würden sowieso alle sechs Monate ausgetauscht. Aber die „Bild" hat daraus eine Schlagzeile gemacht.