Seit 25 Jahren werden hierzulande Notfallseelsorger zusammen mit Feuerwehr, Rettungsdienst und Polizei zu Einsätzen gerufen. Doch im kleinsten Flächenland führen die Aktiven eher ein Schattendasein. Über das besondere Hilfesystem und ihr langjähriges Engagement sprechen Olaf Riebes und Heiner Eschenbach.
Die Flammen in jener Februarnacht waren weithin sichtbar, als Feuerwehrleute und Rettungskräfte in dem Tholeyer Dorf anrückten. Auf dem Akazienhof in Scheuern brannte eine Halle, in der landwirtschaftliche Maschinen, Strohballen und Tierställe untergebracht waren. Mehrere Ziegen, Hühner und vermutlich auch Rinder starben im Feuer. In Medienberichten zu solchen Katastrophen heißt es oft nur lapidar, dass auch ein Notfallseelsorger beim Einsatz anwesend war.
Wenn sich Extremsituationen wie diese ereignen, begleiten und stehen Notfallseelsorger den betroffenen Menschen zur Seite. Abseits des Einsatzortes oder Krisengeschehens suchen die ausgebildeten Notfallseelsorger und Kriseninterventionsfachleute einen Betreuungsraum, sprich einen Rückzugsraum für die betroffenen Personen. „Wichtig ist nur, dass der Raum abgeschieden und ruhig ist", erklärt Heiner Eschenbach, Notfallseelsorger im Regionalverband Saarbrücken. Der 50-jährige Saarbrücker hat sich 2015, wie er sagt, „aus spontaner Neugier" für eine Ausbildung zum Notfallseelsorger beworben. Damals machte er eine Prädikanten-Ausbildung. Eschenbachs Mentor in dieser Zeit war Pfarrer Rolf Kiwitt, ein Gründungsmitglied der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) im Saarland. Heiner Eschenbach stellt fest, dass die Fachleute im Katastrophenschutz in der öffentlichen Wahrnehmung eher im Hintergrund stehen. „Man sieht die Polizei, Feuerwehrleute und Rettungskräfte, aber diejenigen, die die Scherben zusammenfegen, vergisst man meistens", so Eschenbach. Allein wegen ihrer eher unauffälligen Arbeit führten Notfallseelsorger ein Schattendasein, sagt der selbstständige Geschäftsführer einer Immobilienverwaltung.
Seit 25 Jahren Notfallhilfe
Im Saarland besteht das System der PSNV seit 25 Jahren. Das kleinste Flächenland war 2007 das erste, das dieses Hilfesystem im Katastrophenschutzplan einbaute. Im gleichen Jahr wurde der Trägerverein Notfallseelsorge und Krisenintervention Saarland ins Leben gerufen. Schließlich wurde 2013 die PSNV in die Katastrophenschutzrichtlinie aufgenommen, was schlicht bedeutet, dass die PSNVler regelmäßig zu den Einsätzen mit alarmiert werden müssen. Damit erfuhr die Notfallseelsorge und Krisenintervention im Saarland eine deutliche Aufwertung: Sie gilt als anerkannte Hilfsorganisation im Katastrophenschutz. Zweigeteilt ist die psychosoziale Notfallversorgung in PSNV-B und PSNV-E, wobei „B" für Betroffene und „E" für Einsatzkräfte steht. Notfallseelsorger mit der Qualifikation „B" – in der Regel speziell geschulte Geistliche und Aktive aus dem Katastrophenschutz – geben erste Hilfe für die Seele und psychosoziale Akuthilfe, beispielsweise wenn jemand durch ein tragisches Ereignis aus der Bahn geworfen wurde. Zudem bereiten Notfallseelsorger Einsatzkräfte auf extreme Situationen vor, wenn beispielsweise Menschen bei Bränden ums Leben kommen, und übernehmen nach besonders belastenden Einsätzen eine Nachsorge.
Damals wurde das neue Konzept von Geistlichen in Zusammenarbeit mit den Feuerwehren entwickelt. Bis dahin fuhren die Katastrophenschützer, Feuerwehr, Rettungsdienst und THW, ihre Einsätze ohne professionellen Beistand. „Ein Kollege von der Feuerwehr erzählte uns, dass man nach belastenden Einsätzen einen Schnaps getrunken hat", sagt der ordinierte Prädikant der evangelischen Kirchengemeinde Dudweiler-Herrensohr, der nach Bedarf unter anderem Gebete sprechen kann. Vonseiten der Seelsorger ging schließlich der Impuls aus, eine professionalisierte Hilfe einzurichten. „Dabei war nicht nur die christliche Seelsorge gefragt, sondern auch Kriseninterventionsstrategien, die in die Psyche eingreifen können", sagt Eschenbach und fügt hinzu, dass in den letzten Jahren die Gesellschaft vielfältiger geworden sei, und sich damit das Verständnis von Einsätzen gewandelt habe.
Bekanntheitsgrad nicht hoch
Trotz dieser Erfolgsgeschichte ist Olaf Riebes, der seit 2005 als ehrenamtlicher Notfallseelsorger im Saarpfalz-Kreis aktiv ist, immer noch überrascht, wenn er den Satz hört: „Ich wusste gar nicht, dass es euch gibt." Selbst unter den Rettungskräften wüssten das einige nicht. Da pflichtet ihm sein Kollege Heiner Eschenbach bei: „Der Bekanntheitsgrad ist immer noch nicht so hoch." Daher arbeite man im Saarland daran, dass die Notfallseelsorge und Krisenintervention in den Ausbildungsrahmenplänen der anderen Katastrophenschutzeinheiten vorkommt und behandelt wird. „Die jungen Feuerwehrleute sollten von Anfang an wissen: Es gibt auch Krisenintervention. Die Akteure tragen eine lila Jacke und wenn sie dazukommen, spielen sie auch bei Einsätzen eine Rolle."
Aber gerade in der Pandemie-Zeit durften über mehrere Monate Notfallseelsorger nicht zu Einsätzen fahren. „Das Bistum Speyer hat den hauptamtlichen Seelsorgern, die ehrenamtlich in der Notfallseelsorge engagiert sind, die Dienstreisegenehmigung entzogen", berichtet Pastoralreferent Olaf Riebes, der als Gefängnisseelsorger in der JVA Zweibrücken angestellt ist. Ganz anders die Mitglieder des Katastrophenschutzes, die sich unter Einhaltung der Corona-Regeln und Hygiene-Vorschriften an Einsätzen beteiligen durften. Dennoch konnten im Saarpfalz-Kreis im ersten Corona-Jahr die ohnehin wenigen Einsätze von den übrigen Notfallseelsorgern abgedeckt werden. Um den Selbstschutz bei Einsätzen sicherzustellen, sollten alle Notfallseelsorger eine FFP2-Maske anziehen. „Wenn einen Familienangehörige ohne Maske begrüßen, könnte man natürlich sagen: Bitte ziehen Sie alle eine an, damit sie auch sich selbst schützen", räumt Olaf Riebes ein. Im Großen und Ganzen gibt es nach Auskunft der zwei Notfallseelsorger keine Probleme mit dem Mund-Nasen-Schutz – allenfalls, wenn man älteren Menschen eine Todesnachricht überbringt. „Wenn Ältere physische Nähe suchen und einen an der Hand anfassen wollen, wird das Abstandhalten problematisch", berichtet Heiner Eschenbach. Vor allem fallen mit der Maskenpflicht die mimischen Ausdrucksmöglichkeiten weg, ergänzt Olaf Riebes. Hat ein Notfallseelsorger Bereitschaftsdienst oder ist gerade verfügbar, wird er per digitalem Funkmeldeempfänger von der Saarbrücker Berufsfeuerwehr alarmiert. Auf dem Display des kleinen Geräts werden Adresse des Einsatzortes und eine Kurzbeschreibung, was vorgefallen ist, eingeblendet. In den letzten Monaten wurden die aktiven Notfallseelsorger zusätzlich vorab informiert, falls ein Covid-19-Verdacht besteht. „Wenn jemand, der auf dem Bereitschaftsplan steht, nicht reagiert, wird ein Sammelruf ausgegeben, der alle erreicht", so Heiner Eschenbach. Sodann meldet sich ein Notfallseelsorger bei der Haupteinsatzzentrale der Feuerwehr beziehungsweise bei der Integrierten Leitstelle auf dem Saarbrücker Winterberg zum Einsatz an. Danach fährt er zum Einsatzort, wobei er in einigen Fällen weitere Details zum Notfall erfährt. „In der Regel sind Polizei und Rettungskräfte vor Ort und können den Notfallseelsorger über den aktuellen Sachstand in Kenntnis setzen", sagt Eschenbach. Wenn sie nach Unfällen, bei Bränden oder im Falle von Suiziden im Einsatz sind, haben es die PSNVler nicht selten mit Schaulustigen zu tun. „Das erschwert uns ein vernünftiges Handeln", sagt Eschenbach.
Unfälle, Gewalt und Suizid
Jeder Einsatz – von vergeblicher Reanimation über Unfälle, Suizide bis hin zu Gewaltverbrechen – fühlt sich für die Notfallseelsorger anders an – und prägt entsprechend. „Zu sagen, man nimmt da nichts mit, ist gelogen", bringt es Eschenbach auf den Punkt. Regelmäßig treffen sich die Teams aus den Landkreisen, um sich unter anderem über Einsätze auszutauschen. Wem es schwerfällt, nach einem Einsatz die professionelle Distanz zu wahren, kann sich an den Diplom-Psychologen und PSNV-Landesbeauftragten Christoph Fleck wenden. Heiner Eschenbach, selbst Vater von vier Kindern, ging es einmal sehr nahe, als er vor Jahren einem jungen Erwachsenen sagen musste, dass eines seiner Elternteile sich das Leben genommen hatte. „Dabei spiegelt man den Todesfall unbewusst, ohne dass man es will, auf die eigene Lebenssituation", sagt Eschenbach. Auch Olaf Riebes kann sich noch an viele Einsätze erinnern, darunter auch drei plötzliche Kindstode binnen 15 Jahren. „Die intensivsten Einsätze sind die, in denen wir zusammen mit der Polizei die Todesnachricht überbringen." Einmal, so erzählt der 57-Jährige, öffnete ihm und dem Polizisten eine jüngere Frau mit Kind auf dem Arm die Tür. Da aber die Frau die beiden nicht hereinließ, mussten sie ihr zwischen Tür und Angel mitteilen, dass ihr Mann während der Arbeitszeit an Herzversagen verstorben ist. Daraufhin geriet die Frau in einen emotionalen Ausnahmezustand, doch letztlich gelang es Riebes und dem Polizisten, sie zu beruhigen.