Dem KSV Holstein ist der Aufstieg trotz guter Ausgangslage nach dem Hinspiel gegen den 1. FC Köln wieder nicht gelungen. Nun braucht es wieder Nehmer-Qualitäten. Doch mit welchem Personal und vor allem welchem Trainer?
Die Gedanken an die Relegation vor drei Jahren sind für die Kieler genau so schmerzhaft wie die an die letzte. Der VfL Wolfsburg war vor drei Jahren finanziell so überlegen, dass es auf dem Platz auch genau so zu sehen war. Nachdem dann klar war, dass der KSV in der Zweiten Liga bleiben musste, verloren die Störche gleich drei Führungsfiguren: Trainer Markus Anfang und die Spieler Dominick Drexler und Rafael Czichos gingen zum 1. FC Köln. Nur ein Jahr später verließ dann der neue Cheftrainer Tim Walter Kiel Richtung Stuttgart.
Nach der kürzlich verpassten Relegation könnten die Kieler nun vor demselben Problem stehen. Wolfgang Schwenke, der kaufmännische Geschäftsführer, wird nicht müde, zu betonen, dass sie Erfahrung darin haben, einen Cheftrainer zu ersetzen. Das soll eine gewisse Gelassenheit vermitteln. An der Tatsache, dass sie Eigengewächs Ole Werner unbedingt in Kiel halten wollen, ändert das aber nichts. Diese Zweifel rund um Werners Person wurden vom Cheftrainer selbst gesät. Denn nach der bitteren 1:5-Niederlage im Rückspiel der Relegation gegen den 1. FC Köln hat er sich selbst sehr verhalten über seine Zukunft geäußert. Durch die Leistungen in dieser Saison ist klar, dass auch größere Clubs ein Auge auf den 33-Jährigen geworfen haben. Kiels großes Plus: Ole Werner hat noch einen gültigen Vertrag für das kommende Jahr. Werner ist in Kiel groß geworden und auch so etwas wie das Gesicht des Vereins geworden. Vor allem durch den Pokal-Erfolg im Elfmeterschießen gegen den Rekordmeister aus München und den wundersamen Saisonverlauf hatte sich der junge Trainer auf die deutsche Trainerlandkarte gespielt. Denn er hatte mit Kiel viele Hindernisse zu überwinden – und hat sie fast alle geschafft. Nun geht bei den Fans an der Förde die Furcht um, nicht nur den Coach zu verlieren, sondern wieder auch zentrale Spieler: Angreifer Janni Serra geht zu Arminia Bielefeld, Regisseur Jae-Sung Lee soll von der TSG Hoffenheim umworben werden. Beide waren absolute Leistungsträger.
Leistungsträger verlassen Kiel
Nach dem verpassten Aufstieg saß der Stachel der Enttäuschung wohl einfach zu tief bei Werner, um dann Fragen zu seiner Zukunft zu beantworten. Denn dieses 1:5 ist nur die eine Seite der Medaille. Kiel hatte nämlich an den beiden letzten Spieltagen der Saison die Möglichkeit alles klar zu machen – und schaffte es nicht: „Wir haben den Aufstieg nicht heute verspielt", sagte Kapitän Hauke Wahl und dachte an die 2:3-Tiefschläge in Karlsruhe und gegen Darmstadt. „Wir hatten es dreimal in der Hand und haben es dreimal nicht geschafft", sagte Fin Bartels beim Streamingdienst „Dazn". Werner verwies auf den Kräfteverschleiß: „Wir hatten nach der Quarantäne seit dem 24. April elf Spiele. Es war nicht mehr viel da, wenn man auf den Spielberichtsbogen schaut. Wir gehen seit dem Hannover-Heimspiel am 10. Mai auf der letzten Rille – irgendwann verlässt dich die Kraft." Kurios war dabei, wie wenig der 1:0-Hinspielsieg den Kielern half. Von Euphorie war nichts mehr zu spüren. „Wir hatten keine Dynamik um und im Strafraum und haben anders als im Hinspiel keine entscheidenden Zweikämpfe gewonnen", sagte Ole Werner. „Wir waren unter dem Strich chancenlos. Wir kamen nicht infrage, den 1. FC Köln zu schlagen." Auch in diesem bitteren Moment analysierte Werner nüchtern. Er blieb bei seiner Sichtweise, dass der Saisonverlauf aus Kieler Sicht ein „Wunder" sei – knapp 30 Trainingstage sind wegen zwei Quarantäne-Pausen ausgefallen: „Es bleibt die beste Saison der Vereinsgeschichte."
Es war die beste Saison der Vereinsgeschichte – ob Werner die Kraft hat, noch einen Versuch dranzuhängen, ist weiterhin offen. „Wir sind ständig mit Ole im Austausch – und er hat noch ein Jahr Vertrag. Er hat hier eine tolle Entwicklung genommen. Wir haben ihn aufgebaut von der B-Lizenz zur A-Lizenz bis zum Fußballlehrer. Ich glaube, Ole weiß, was er an diesem Verein hat. Und wir wissen auch, was wir an ihm haben. Natürlich hat er Begehrlichkeiten geweckt, das kennen wir", so Schwenke gegenüber dem Norddeutschen Rundfunk. „Wer Ole kennt: Er hat alles in die Waagschale gelegt. Er ist ein sehr emotionaler und tiefgründiger Mensch. Seine Antwort war überlegt, in ihr war aber auch Traurigkeit mit drin. Wir haben in vier Jahren Zweiter Liga schon einige Erfahrungen sammeln dürfen, als Trainer gegangen sind. Aber die würde ich anders einschätzen als Ole. Wir sind festen Glaubens daran, dass Ole Werner auch in der neuen Saison noch unser Trainer sein wird."
Vor allem wie es finanziell aussieht, wird in der kommenden Saison entscheidend sein. Ob mit Ole Werner oder ohne ihn. Denn die jetzt schon namhaften Abgänge sollten und müssen kompensiert werden. „Unsere Einnahme-Ausfälle belaufen sich auf 150.000 bis 200.000 Euro pro Heimspiel. Corona hat den Fußball hart getroffen. Im letzten Jahr gab es schon 20 Prozent weniger Fernsehgeld. Jetzt gibt es für alle noch mal 20 Prozent weniger. Wenn man bei uns von 13 Millionen Euro ausgeht, sind das noch mal 2,6 Millionen Euro weniger. Es ist eine Herausforderung, konkurrenzfähig zu sein, wenn man wirtschaftlich gesund plant", beschreibt Schwenke die finanzielle Lage. Doch für mögliche Zugänge sieht er den KSV voll handlungsfähig: „Manager Uwe Stöver muss ordentlich am Kader herumbasteln. Wir sind handlungsfähig, er kann also in die Gespräche reingehen. Aber wir sind nicht der Verein, der die Millionen-Transfers macht. Wir haben in den letzten Jahren gezeigt, dass wir Spieler entwickeln können. Für viele Leute sind wir eine gute Adresse. Damit haben wir gute Erfahrungen gesammelt."
Nur nicht gegen den Abstieg spielen
Vor allem verweist er auf das Teilnehmerfeld in der kommenden Saison: „Ich finde es nicht selbstverständlich, dass Holstein Kiel in der Zweiten Bundesliga spielt, auch wenn es jetzt schon das fünfte Jahr ist. Wir sind da immer noch sehr vorsichtig und demütig – die neue Saison wird zudem noch mal herausfordernder. Es ist Wahnsinn, was da auf uns zukommt. Nicht nur die Clubs, die von oben runterkommen, sondern auch die, die hochkommen – mit Rostock, mit Dresden und auch noch Ingolstadt. Dazu so klangvolle Namen wie der HSV, Hannover und auch Nürnberg. Das wird für die Zuschauer begeisternd sein. Wir wollen natürlich auch eine Rolle spielen und zumindest nichts mit dem Abstieg zu tun haben." Während sich diese Aussage schon fast kleinlaut anhört, schiebt Schwenke aber noch einen Nebensatz nach: „Wir werden wieder versuchen, das Messer zwischen die Zähne zu nehmen und uns in die Saison reinzubeißen und zu kämpfen. Aber ich kann nur davor warnen zu erwarten, dass wir gleich wieder die Spitzenplätze angreifen."
Präsident Steffen Schneekloth rief die Vereine daher in der neuen Transferphase bundesweit zur Zurückhaltung auf. „Wir hatten in der vergangenen Serie coronabedingt eine Reduzierung der TV-Gelder um knapp 15 Prozent. Das sind rund 200 Millionen Euro für alle 36 Erst- und Zweitligisten", sagte der stellvertretende Sprecher des DFL-Präsidiums und Mitglied im DFB-Vorstand dem „Kicker". Zudem seien die Vereine seit 16 Monaten ohne Zuschauereinnahmen. „Dieses Wissen müsste bei allen Vereinen dazu führen, die Personalkosten im Kader als größte Kostenposition des Etats entsprechend anzupassen", mahnte der 57 Jahre alte Rechtsanwalt. Schneekloth wundert sich deshalb über die Planungen einiger Profivereine und moniert, „dass diese Fakten in Spieler- und Beraterkreisen offenkundig noch nicht angekommen sind. Und dass in den gegenüber der DFL abgegebenen Planzahlen der Clubs für die kommende Saison im Bereich „Personalkosten Lizenzbereich" trotz deutlicher Erlösreduzierungen dennoch Steigerungen vorgesehen sind". Ratlos meinte er: „Wie das gehen soll, erschließt sich mir nicht."
Seinen Verein nannte er eine „Fußball-Landschaft ohne großen Außendruck. Das ist der ideale Standort zur Trainer-Entwicklung zum Beispiel beim Spielsystem und der eigenen Persönlichkeit." Jedoch bleibe Holstein Kiel „das kleine gallische Dorf mit limitierten Finanzmitteln."