„Die beste Zweite Liga aller Zeiten" gibt es in Deutschland laut Werbung schon seit 20 Jahren. Jedes Jahr aufs Neue. Doch nie war die Wahrscheinlichkeit so groß, dass der Slogan diesmal recht hat.
Über kaum einen Begriff wird im deutschen Fußball so oft diskutiert wie über den des „Traditionsclubs". Was ist eigentlich Tradition? 30 Jahre Bundesliga ohne Titel? Zwei Deutsche Meistertitel vor der Bundesliga und dann der tiefe Absturz? Würde man sich nach der Zahl der Meistertitel richten, lässt sich vor der kommenden Saison eine ganz kuriose Feststellung machen: Denn zieht man den FC Bayern mit alleine 31 Titeln ab, spielt in der 2. Bundesliga im kommenden Jahr mehr Tradition als in der ersten. Denn außer den Bayern haben die anderen 17 Erstligisten zusammen nur 25 Titel gewonnen. In der Zweiten Liga sind es 29. Und hinzu kommen noch Dresden und Rostock mit insgesamt neun DDR-Meisterschaften.
„Das ist eine Zweite Liga, wie es sie noch nie gab", meint Rekordnationalspieler Lothar Matthäus. Zumindest im Begriff auf die Tradition lässt sich der Begriff der „stärksten Zweiten Liga aller Zeiten" also nicht dementieren. Da spielen nächste Saison mit Bremen und Schalke zwei Absteiger, für die die direkte Rückkehr eigentlich Pflicht sein müsste. Daneben befinden sich noch andere Vereine aus dieser Kategorie, wie der Hamburger SV, Fortuna Düsseldorf, Hannover 96 oder der 1. FC Nürnberg. Dazu stets als Geheimfavorit taugende Ex-Erstligisten wie Karlsruhe, Darmstadt, Paderborn und St. Pauli oder die seit Jahren oben mitspielenden Heidenheimer und die erst in der Relegation gescheiterten und ins Pokal-Halbfinale eingezogenen Kieler. Die längst im Unterhaus etablierten Auer, Regensburger und Sandhäuser. Und mit Rostock, Dresden und Ingolstadt drei Aufsteiger, denen es langfristig nicht nur um die Vermeidung des Abstiegs gehen wird. Was für ein Starterfeld!
Viele Aufstiegs-Anwärter
Die Frage: Sind diese Vereine wirklich noch so große Nummern? Sind sie Erstligisten im Gewand eines Zweitligisten? Oder sind es doch nur noch Scheinriesen? Denn oberflächlich betrachtet sind wir bei Namen und Historie. Im Endeffekt werden sich viele erst finden müssen. Zwar tat sich direkt nach Saisonschluss wenig auf dem Transfermarkt, doch grob die Hälfte der Teams steht vor einem mittleren bis großen Umbruch. Es ist durchaus möglich, dass die einen zum Saisonstart Ende Juli noch längst nicht ihre fertige Mannschaft zusammenhaben und andere kurz nach dem Beginn noch wichtige Spieler verlieren. Zudem gehen gleich acht Vereine mit neuen Trainern in die Runde: Bremen (Markus Anfang), der HSV (Tim Walter), Düsseldorf (Christian Preußer), Darmstadt (Torsten Lieberknecht), Paderborn (Lukas Kwasniok), Aue (Aljaksei Schpileuski), Hannover (Jan Zimmermann) und Ingolstadt (Robert Pätzold).
Deshalb lässt sich vermuten: Wer am Ende um den Aufstieg mitspielen will, wird von Anfang an bei der Musik dabei sein müssen. Aufholjagden, wie es sie in den vergangenen Jahren immer wieder gab, scheinen in dem dichten Feld unwahrscheinlicher. Dafür scheinen – sofern Zuschauer bald in großer Zahl erlaubt sind – ungeahnte Besucherzahlen möglich. „Die attraktiven Spiele, die attraktiven TV-Quoten wandern verstärkt in Richtung Zweite Liga", vermutet St. Paulis Präsident Oke Göttlich. Wobei ihm Manager Alexander Rosen vom Erstligisten Hoffenheim beipflichtet: „Wenn man bedenkt, welche Power viele Vereine haben, könnte es in der nächsten Saison in der Zweiten Liga mehr Zuschauer geben als in der Bundesliga." Der Mainzer Manager Christian Heidel spricht von einer „Hammer-Liga, die es so noch nie gab. Das wird etwas ganz Besonderes. Andererseits fehlen die illustren Namen der Bundesliga, das ist seltsam."
Die großen Namen fehlen oben
So manch einer witzelt schon, dass er sich nach einer Bundesliga-Samstagskonferenz mit Spielen wie Bielefeld gegen Fürth oder Augsburg gegen Bochum auf das Zweitliga-Topspiel Schalke gegen den HSV freue. Das steigt künftig nämlich nicht mehr am Montag, sondern am Samstagabend um 20.30 Uhr. Die Rechte dafür besitzt Sport1, dort reibt man sich entsprechend die Hände. „Bei so vielen Clubs mit großer Erfolgsgeschichte und fantastischen Fans werden das jede Woche Knaller-Duelle", sagt Chefredakteur Pit Gottschalk. Sein Sender bewirbt entsprechend „Das erstklassigste Unterhaus der Welt". Es ist eine Steigerung zum seit zwei Jahrzehnten genutzten Slogan der „besten zweiten Liga der Welt". Und Manager-Ikone Reiner Calmund stimmte im „RND" zu: „Es kann Spieltage geben, da präsentiert die Zweite Liga attraktivere Paarungen als die Bundesliga."
Aber natürlich trauert die Bundesliga den verlorenen Vereinen nach. „Wir machen uns große Sorgen über das Bild der Bundesliga", gestand Eintracht Frankfurts Vorstandssprecher Axel Hellmann im „Kicker". „Mit Schalke und Bremen steigen zwei absolute Traditionsclubs ab, die immer zwischen 4.000 und 8.000 Fans mitgebracht haben. Das sind im Gesamtkontext der Bundesliga enorme Verluste. Für die internationale Vermarktung der Bundesliga ist das, was gerade mit dem Abstieg dieser Vereine passiert, alles andere als positiv. Da wird es uns nicht gelingen, irgendwelche Lücken zu schließen."
Nicht nur deshalb wollen vor allem die prominentesten der 18 Clubs die Liga bei aller Begeisterung über die gestiegene Wertschätzung so schnell wie möglich nach oben verlassen. Doch das wird in diesem Feld schwerer denn je. Und ein Selbstläufer wird es schon gar nicht. Schließlich sind im Vorjahr nicht der HSV oder Düsseldorf aufgestiegen, sondern Bochum und Fürth. „Die ‚Kleinen‘ haben es wieder besser gemacht. Und wer am Ende aufsteigt, hat es auch verdient", schreibt Matthäus in einer Sky-Kolumne: „Es wurde wieder einmal bewiesen, dass im Fußball vor allem eine starke Gemeinschaft, der Zusammenhalt und das konstante Erledigen der Hausaufgaben am Ende zum Ziel führen. Nur zusammen und im besten Fall harmonisch erreicht man Dinge, die auf den ersten Blick vielleicht unmöglich erscheinen."
Bundesliga fehlt großes Derby
Doch der Druck, zumal in Pandemie-Zeiten, wird größer. Schließlich fühlen sich Bremer, Schalker oder Hamburger in jeder noch so guten Zweiten Liga nicht heimisch. Auch ist der Unterschied bei den TV-Geldern immer noch eklatant. Genau diese Diskussion könnte starten. Wenn die Liga in dieser Saison sich nicht nur bei den Zuschauerzahlen, sondern auch bei den TV-Quoten deutlich annähert, wird der ein oder andere argumentieren, dass die Diskrepanz bei den Fernsehgeldern nicht mehr gerechtfertigt ist. Im kommenden Jahr fehlt der Bundesliga mit Schalke gegen Dortmund das wohl brisanteste Derby. Das zweitbrisanteste, HSV gegen Bremen, findet dafür wieder statt. In der Zweiten Liga. Doch solange die Branchenriesen aus Bremen, Schalke oder Hamburg da nicht vorangehen, weil sie glauben, bald wieder in der Bundesliga zu sein und sich nicht ins eigene Fleisch schneiden wollen, dürfte der Bewegung die Power fehlen.
Doch es ist wohl genau der Aufstiegs-Druck, an dem viele Favoriten in den Vorjahren scheiterten. Der HSV sogar dreimal in Folge aus einer halbwegs komfortablen Saison. „In der nächsten Saison werden sich die Bremer und die Schalker in jedem Spiel mit der Favoriten-Rolle abgeben müssen", sagt Matthäus: „Jeder will sie schlagen, aber keiner hat was zu verlieren. Es herrschen viel weniger Annehmlichkeiten als in der Ersten Liga. Angefangen von den Umkleidekabinen bis hin zur Rasen-Qualität." Calmund sieht dabei „am Horizont durchaus die Gefahren, dass es auch einem großen Club so gehen kann wie Kaiserslautern oder München 1860." Diese Ex-Meister hängen seit Jahren in der 3. Liga fest. Denn dieses Risiko bot die Zweite Liga schon in weniger prominent besetzten Jahren: Wer sich als Sechster noch in Lauerstellung nach oben fühlt, kann durch drei Niederlagen bedrohlich nahe an die Abstiegszone rutschen. Und muss sich dann einem Nervenspiel und einem Sog entziehen, die nicht einfach sind.
Hinzu kommt, dass der mediale Druck vor allem in der ersten Saison nicht kleiner wird. Niederlagen gegen Sandhausen, Aue oder Darmstadt werden noch weniger verziehen als gegen Stuttgart, Augsburg und Freiburg. Das wird ein hartes Jahr für die Absteiger.