Die Aussichten sind aktuell gut, aber die Bedingungen schwierig: Karl-Ulrich Köhler leitet seit Jahresbeginn die beiden Schwesterunternehmen Dillinger und Saarstahl. Sein Konzept lautet jedoch nicht nur sparen – der Konzern will Technologien zukaufen, die ihn auf den Weg zum grünen Stahl bringen.
Es könnte den Stahl-Herstellungsprozess an der Saar revolutionieren: In Kanada experimentiert Dillinger Saarstahl in Zusammenarbeit mit Anlagenhersteller Paul Wurth und dem Bergbauunternehmen Rio Tinto in der Herstellung von Eisenerzpellets. Diese sollen kohlenstoffarm mithilfe von Wasserstoff und Wasserkraft CO2-neutral hergestellt werden, um in Brikettform in den Hochofen zu wandern. Ob das Unternehmen aber nun künftig seine Briketts in Kanada herstellt, an europäischen Küsten oder in Dillingen, ließ Karl-Ulrich Köhler erst einmal offen: „Das ist eine Frage der Wettbewerbsbedingungen." Der neue Vorstandschef von Dillinger und Saarstahl stand kürzlich der Presse erstmals abseits von Pflichtterminen wie Bilanzpressekonferenzen Rede und Antwort. Das Marktumfeld, in dem Köhler die beiden Schwesterkonzerne unter dem Dach der Montanstiftung seit Anfang des Jahres führt, ist beileibe kein leichtes, im Gegenteil. Nicht nur muss sich das Firmenkonglomerat einer strukturellen Änderung unterwerfen, sprich sparen. Denn das zuvor gefasste Ziel, 250 Millionen Euro einzusparen, bleibt. Zu allem Überfluss rissen die Corona-Pandemie und der noch immer an Überkapazitäten leidende Weltmarkt tiefe Löcher in die Kasse. Die Stimmung an der Saar war schlecht. Mit Köhler soll nun wieder Vertrauen einziehen – das traditionelle Vertrauen, das die Saar-Stahlindustrie in ihre Vorstandschefs bislang fast immer hatte.
Transparenz, gute Kommunikation und eine offene Bürotür, damit will Köhler bei den Stahlarbeitern punkten. Er selbst hat bei Thyssen-Krupp gelernt, ein Stahlmann durch und durch. Gleichzeitig muss er der Belegschaft das Sparprogramm erklären. Verschlankte Prozesse, flexibilisierte Arbeit und Outsourcing, all dies soll die Unternehmen fit für eine schnellere Marktdynamik machen. Da die Vertreter von Gewerkschaften und Arbeitnehmern aber vor allem das Outsourcing hart kritisieren, ist Köhler bereit, über andere Möglichkeiten zu verhandeln, die seitens der Arbeitnehmervertreter bereits auf dem Tisch lägen.
Aufholeffekte nach dem desaströsen, von der Corona-Pandemie geprägten Jahr 2020 verschaffen dem Konzern finanziell bei seinen Befreiungsschlägen etwas Luft: Die Nachfrage steigt, die Preise ebenfalls, die Kurzarbeit liegt fast bei null, die Produktion läuft wieder. Mittlerweile geht es jedoch hierbei nicht um höhere Mengen produzierten Stahls, „den Preissteigerungen im Emissionshandel geschuldet", so Köhler. Stattdessen sucht der neue Mann den „optimalen konjunkturbedingten Betriebspunkt" statt Vollauslastung, denn die Grenzkosten in der Produktion steigen. Die Hütten fahren sogar ihre Produktion etwas zurück, so Köhler. Der Grund: Die geforderte Reduzierung von CO2-Emissionen sei im bestehenden Prozess physikalisch kaum noch möglich, bis die Wasserstoffproduktion für die Hütten technologisch machbar ist.
Kauf von Schienenwerk mit Lichtbogenofen
Zugleich bleiben die weiteren Forderungen des Kuratoriums der saarländischen Montanstiftung bestehen: neue Märkte erschließen, Innovationen anschieben, die technologische Transformation des Konzerns in Richtung CO2-neutralem Stahl starten. Neue Märkte erschließt Dillinger Saarstahl bereits jetzt: Saarstahl steigt in die Produktion von Schienen ein – ein Markt, der europaweit angesichts neuer Mobilität, dem Wiedererschließen alter Bahnstrecken und der Diskussion um Kurzstreckenflüge sicherlich Potenzial aufweist. Dafür möchte der Konzern zwei Werke des in finanziellen Schwierigkeiten steckenden britischen Liberty-Steel-Konzerns kaufen: eines im lothringischen Hayange, eines an der belgisch-französischen Grenze nahe Lille.
Für die CO2-freie Erzeugung liegen jedoch noch technologische Hürden auf dem Weg zum grünen Stahl, die Köhler ebenfalls beiseite räumen muss. Und diese sind noch riesig. Ein Beispiel: „Für das Recycling von Stahl im Elektro-Lichtbogenofen bräuchte Dillinger alleine dreiviertel des deutschen Schrottaufkommens. Wir repräsentieren aber nur zehn Prozent der deutschen Stahlproduktion – die Rechnung geht nicht auf." Eines der beiden Liberty-Werke, zu denen derzeit Übernahmeangebote auf dem Tisch liegen, könnte hierbei eine Schlüsselrolle einnehmen – dort könnte Dillinger Saarstahl in bereits vorhandenen Lichtbogenöfen Stahlschrott und direkt reduziertes Eisen in einer Kreislaufwirtschaft zu CO2-neutralem Eisen für die eigenen Hochöfen schmelzen.
Globale Märkte für direkt reduziertes Eisen existieren aber noch nicht. Daher weicht Dillinger Saarstahl zunächst auf wasserstoffreiches Koksgas aus und reduziert seinen Stahlausstoß wegen verteuerter Emissionszertifikate, bevor die Wasserstoffproduktion soweit ist, dass mehrere hunderttausend Kubikmeter H2 pro Stunde in den Hochofen eingeblasen werden können, und bevor die Stromproduktion aus Erneuerbaren soweit ist, dass mit ihrer Hilfe der Wasserstoff in solchen Massen überhaupt hergestellt werden kann. Mit dem reduzierten Ausstoß und strategischen Zukäufen bei gleichzeitiger Reduzierung der Kosten formt sich ein Gesamtkonzept für die nahe Zukunft bis 2030, jenes Gesamtkonzept, das viele Akteure vor allem auf Seiten der Arbeitnehmer bei Köhlers Vorgänger vermisst hatten.
Köhler setzt damit die Konsolidierungs- und Restrukturierungsarbeit von Tim Hartmann fort – handfester, direkter, offener und nahbarer in einer schwierigen Ausgangslage, in der Arbeitnehmer einer unsicheren Zukunft entgegensehen und daher besonderer Aufmerksamkeit bedürfen: Unsicher hinsichtlich ihres Arbeitsplatzes, der aus Kostengründen seitens des Unternehmens auf dem Prüfstand steht, denn die Stahlbranche bleibt erwartbar in den kommenden Jahren weiter unter Druck. Unsicher hinsichtlich ihrer Arbeit, die einen technologischen Strukturwandel in der Branche notwendig macht und dadurch auch Weiterqualifikation und völlig neue Arbeitsplatzbeschreibungen erfordert. Raum für Misstrauen ist da keiner. Aber für Fehler. Diese, so Köhler, seien da, um aus ihnen zu lernen. Der einzige, der ab sofort keine mehr machen darf, ist er selbst.