Nicht nur Politiker werden mit Hass im Netz überzogen, auch junge Menschen, die sich gesellschaftlich engagieren. Unter dem Motto „Jung.Engagiert.Bedroht?" startet das Adolf-Bender-Zentrum eine Kampagne. Bundesaußenminister Heiko Maas hat die Schirmherrschaft.
Herr Didas, warum nimmt das Adolf-Bender-Zentrum Hatespeech speziell gegenüber engagierten Jugendlichen ins Blickfeld?
Didas: Wenn wir Workshops mit jungen Menschen machen und nach Erfahrungen mit Hatespeech fragen, sagen immer 70 bis 80 Prozent: kennen wir. Wenn ich 15, 16 Jahre bin, mich engagiere und dann mit so etwas wie Hatespeech konfrontiert bin, dann macht das ja etwas mit mir. Aus der Fachperspektive kann ich das noch irgendwie verarbeiten, aber es macht emotional etwas mit mir. Diese Fragen müssen wir noch viel intensiver bearbeiten.
Herr Seimetz, wie sind Ihre Erfahrungen als Landesschülersprecher?
Bildung hat eine gewisse Sonderstellung. Jeder ist der Meinung, dass er besser weiß, wie Bildung geht. Die Eltern waren in der Schule, jetzt haben sie Kinder in der Schule, jeder hat also Erfahrungen. Deshalb ist es nicht nur so, dass du von Schülern ein bisschen Contra bekommst, da kommt auch schon mal ein Elternteil, stellt sich vor dich und sagt dir, dass du blöde Forderungen stellst, ja, dass du ein links-grün-versifftes Arschloch bist oder so. Und wenn dir ein Elternteil sowas sagt oder solche Mails schreibt, dann ist das eben etwas ganz anderes, als wenn mir ein Schüler das sagt.
Herr Maas, Sie haben die Schirmherrschaft für dieses Projekt übernommen. Was treibt Sie dabei am meisten um?
Maas: Der Hass im Netz, überhaupt die Kommunikation im Netz, beeinflusst mittlerweile außerordentlich stark unseren Umgang miteinander in der Offline-Welt. Neu daran ist die Tatsache, dass es nicht mehr unter dem Schutz der Anonymität passiert. Morddrohungen bekomme ich beispielsweise inzwischen unter Klarnamen. Das ist eine ganz neue Stufe der Verrohung, die ich für extrem besorgniserregend halte. In meiner Zeit als Justizminister habe ich dem Kampf gegen Hass und Hetze im Netz eine besondere Priorität eingeräumt. Das hat eine Ursache: Die Sprache ist die Vorform des Handelns. In der Zeit, in der online immer mehr Hass verbreitet wurde, haben anschließend auf der Straße die Straftaten zugenommen. Der Satz: „Erst kommen die Worte, dann die Taten", trifft leider zu. Bei der Kampagne mit dem Adolf-Bender-Zentrum stehen die Opfer und Hater im Mittelpunkt – aber wir wollen auch die erreichen, die dazwischen sind. Das sind Menschen, die die Sprache der Hater angenommen haben, das aber nicht mitbekommen oder Menschen, die sich nicht mehr einmischen, obwohl sie sehen, dass jemand online beleidigt wird.
Hater selbst wird man mit einem solchen Projekt aber kaum erreichen können?
Didas: Wir haben viel mit einem Aussteiger aus der Neonazi-Szene gemacht. Der hat immer gesagt: Das ist wie eine Sekte. Da musst du selbst für dich die Erkenntnis gewinnen, dass es so nicht funktioniert. Das sehen wir auch an den ganzen „Querdenker"-Gruppen. Das Problem ist, dass man nicht mehr mit zwei, drei Menschen in der Kneipe zusammen sitzt, sondern in einer Blase mit Tausenden, die sich gegenseitig bestärken. Alles, was dann von außen kommt, etwa mit „Counter Speech", also Gegenrede, stärkt sogar nochmal die Hardcore-Menschen im Gefühl, dass sie auf der richtigen Seite stehen. Es geht also um mehrere Aspekte: Schutz der Menschen, die es trifft, Stärkung derjenigen, die sich engagieren, damit sie das auch weiter tun, und schließlich gesellschaftliches Bewusstsein schaffen und diejenigen mitnehmen, die sich noch nicht positioniert haben, die noch still und leise sind. Auch denen muss bewusst sein, dass nur, weil sie selbst (noch) nicht betroffen sind, das nicht bedeuten kann, dass sie sich nicht dazu positionieren brauchen, nach dem Motto: Solange es mich nicht betrifft, kümmere ich mich nicht darum. In unserer Beratung sind immer mehr Menschen, die fürchten, dass jemand aus ihrer Familie oder dem Freundeskreis abdriftet. Das war bei der Flüchtlingsdiskussion so, das ist jetzt so bei den „Querdenkern". Das Bewusstsein dafür wächst. Was wir brauchen ist die Stärkung der Unentschlossenen.
Maas: Im digitalen Raum gibt es ein strukturelles Problem, das sind die sogenannten Echoräume. Diese werden von Menschen gebildet, die ohnehin einer bestimmten Ideologie oder politischen Richtung anhängen. Innerhalb dieser Räume fühlt der Mensch sich wohl und mit seiner Meinung der Mehrheit in der Gesellschaft angehörend. Diese Echokammer ist nicht repräsentativ – aber deren Mitglieder fühlen sich in ihrer Position gestärkt. Ein weiteres Problem digitaler Kommunikation: An ihr beteiligt sich nicht die ganze Gesellschaft. Diejenigen, die im Netz laut und beleidigend sind, erfahren zu wenig Widerstand aus der Online-Community. Entsprechend ziehen sich Opfer von Hass und Hetze aus dem digitalen Raum zurück. Für die Debatte im Netz hat diese Entwicklung fatale Folgen. Es liegt an uns allen, für eine Debattenkultur zu sorgen, in der alle ihre Meinung offen mitteilen können, ohne Angst zu haben, deswegen gemobbt und bedroht zu werden. Vor allem jungen engagierten Menschen müssen wir in dieser Situation zur Seite stehen und laut werden gegen jene, die hetzen. Hass ist keine Meinung. Menschen, die andere Leute online beleidigen und bedrohen sind ein Problem.
Seimetz: In der Schule sagen viele: Ich erlebe jetzt schon viel Mobbing. Wenn ich mich dann noch engagiere: wie sieht es dann aus? Das demotiviert. Wenn schon in der Schule ein gesellschaftliches Engagement einen so schlechten Stellenwert hat, ist auch die Hemmschwelle ziemlich groß, sich nach der Schule zu engagieren. Ein Problem dabei ist: Die Leute, die schreien, sind meistens nicht in der Mehrheit, aber die, die unser Engagement gut finden, schweigen meistens.
Das Adolf-Bender-Zentrum setzt sich ja schon lange mit diesen Themen auseinander. Welche Erfahrungen gibt es mit aufklärerischen Methoden, etwa Faktencheckern?
Didas: Faktenchecker sind super. Ich erreiche damit zwar nicht die Hater, aber ich kann die noch Unentschlossen erreichen. Wir müssen viele Wege versuchen: Oskar Negt (Sozialphilosoph, Anm. d. Red.) hat einmal gesagt: Demokratie ist die einzige Staatsform, die gelernt werden muss. Wir müssen als Gesellschaft lernen, uns als Bürger zu verstehen. Gesellschaft funktioniert nicht, wenn es nur darum geht, dass ich individuell höher, schneller, weiter komme, sondern indem wir uns gemeinsam mit den Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung beschäftigen.
Herr Maas, Sie haben als Außenminister die Schirmherrschaft über „Jung.Engagiert.Bedroht?" übernommen. Inwiefern ist das auch ein persönliches Anliegen?
Maas: Ja, das ist ein persönliches Anliegen. Ich habe dem Thema Streitkultur bereits vor ein paar Jahren in meinem Buch ein Kapitel gewidmet, denn ich finde, wir müssen unsere Streit- und Debattenkultur retten. Mir geht es dabei nicht so sehr um Leute wie mich, aber ich kriege mit, zu was Leute fähig sind. Betroffene gibt es leider überall, in der Familie, in der Nachbarschaft, im Verein. Das sieht man nicht direkt, hört man auch nicht, aber man kann es online lesen. Was mit Worten angerichtet werden kann, ist dramatisch.
Seimetz: Was ich toll finde, ist, dass Heiko Maas mit dabei ist und dass man das nicht nur für, sondern mit Jugendlichen macht. Gerade in einer Zeit, wo Jugendliche das Gefühl hatten, eher nicht gehört zu werden, und dass ihre Stimme nicht so viel wert ist, der Jugend in einem so wichtigen Thema eine Stimme zu geben, ist extrem wichtig.
Didas: Ich finde gut, dass wir das mit und von Jugendlichen und mit dem Außenminister machen – ich glaube, das ist eine klare Botschaft. In diesem Workshop geht es nicht nur darum, Wissen mitzunehmen, sondern auch das Gefühl, gestärkt diesen positiven Impuls mit nach draußen zu nehmen. Es trifft uns nicht nur kognitiv, es trifft uns auch emotional.