Dass deutschlandweit händeringend Pflegekräfte gesucht werden, ist bekannt. Human Resources international (HRi) rekrutiert und betreut ausländische Pflegekräfte. Daniel Klein über Anforderungen, bürokratische Hürden und Erfolge.
Herr Klein, wie kann man sich Ihre Arbeit vorÂstellen?
Im Prinzip wählen wir zunächst für uns interessante Herkunftsländer anhand verschiedener Kriterien aus. Das heißt: Wir evaluieren zum Beispiel die politische Stabilität dieser Länder und die Qualität der Pflegeausbildungen beziehungsweise der Pflegestudiengänge. Wir analysieren aber auch die Bevölkerungsstruktur – also wie viele junge und auch auswanderungswillige Personen mit dem von uns benötigten Background gibt es überhaupt in diesen Ländern – und anhand solcher Faktoren fällt schließlich die Wahl auf ein Zielland.
In diesen Ländern suchen wir uns Kooperationspartner, die sozusagen als unser verlängerter Arm vor Ort agieren können. Das ist aus der Entfernung sehr schwer bis unmöglich, deswegen sind wir auf diese Kooperationspartner angewiesen. Das sind dann zum Beispiel auf Vermittlung spezialisierte Unternehmen. Wir haben mitunter auch Kontakte zu Hochschulen, wo Pflegestudiengänge ausgebildet werden. Aber in aller Regel sind es Vermittlungsunternehmen, die dort in unserem Namen die Rekrutierungsaktivitäten entfalten und betreuen.
Und was passiert danach?
Dann werden Kandidaten gefunden und uns mit ihren Lebensläufen und ihrem Werdegang präsentiert. Wir als Abteilung führen mit diesen Kandidaten Auswahlgespräche und treffen Entscheidungen, wem zugesagt wird und wer eine Absage erhält. Anschließend gehen wir in einen Abstimmungsprozess mit der Geschäftsleitung, an welche Standorte diese neuen Mitarbeiter künftig verteilt werden sollen. Dann geht es los mit dem Dokumentenmanagement – dass wir für die Visum-Erteilung durch die deutsche Botschaft in den jeweiligen Herkunftsländern alles fertigmachen – damit die Leute dann möglichst zeitnah einreisen können.
Parallel zu diesem Prozess finden Sprachkurse statt, bis die Leute das geforderte Sprachniveau erreichen. Es finden aber auch Fachkurse statt, die fachliche Differenzen zwischen dem Ausland und Deutschland zu kompensieren versuchen. Und wenn diese Fach- und Sprachkurse abgeschlossen sind und der behördliche Prozess erledigt ist, dann geht es an die Reiseplanung.
Mit der Anreise beginnt hier in den ersten Wochen das Onboarding, was wir aus der Entfernung für die einzelnen Häuser über die Integrationsbeauftragen mitbetreuen. Und dann fängt allmählich die fachliche Einarbeitung vor Ort an und alles, was dazwischen passiert: Von Wohnungswechsel über Familiennachzug bis hin zu rechtlichen Problemen. Die Neuankömmlinge benötigen viel Beratung, und dafür sind wir dann zuständig.
Sie haben gerade angesprochen, dass manche Kandidaten auch nicht genommen werden. Welche KriteÂrien müssen die potenziellen Bewerber erfüllen?
Das sind im Prinzip drei Kriterien. In der Regel führen wir ein Videointerview, das das persönliche Vorstellungsgespräch ersetzen soll. Dabei stehen die Sprachkenntnisse im Vordergrund: Wie selbstständig können die Leute kommunizieren? Welche Ausdrücke verstehen sie? Wie können sie ihre Aussagen umformulieren? Antworten sie beispielsweise differenziert oder sind es vielleicht auswendig gelernte Sätze?
Das zweite Kriterium betrifft die Fachkenntnisse der Bewerber. In vielen Staaten ist es so, dass Pflegestudiengänge statt praktischer betrieblicher Ausbildungen angeboten werden. Deswegen haben die Leute zwar gute theoretische Kenntnisse – gerade im Bereich der Behandlungspflege – aber wenige Kenntnisse im Bereich der Grundpflege. Dazu zählen beispielweise Aktivitäten wie die Lagerung, das Waschen, beim Anziehen behilflich sein und assistieren – das sind Arbeitsschritte, die in den allermeisten Ländern nicht von den Pflegekräften wahrgenommen werden. Umso wichtiger ist es, dass wir in diesem Bereich Erfahrungen abfragen. Haben die Leute vielleicht schon im Umfeld häuslicher Pflege solche Erfahrungen gemacht? Waren sie vielleicht in einem der ganz wenigen vollstationären Pflegeheime, wo das dann ausnahmsweise in diesem Land auch ein Teil der Aufgaben der Pflegekräfte war? Das versuchen wir herauszufinden.
Der dritte und eigentlich der allerwichtigste Punkt ist die persönliche Motivation. In der Regel geht es im Grundsatz immer um dasselbe: sich selbst und unter Umständen auch der eigenen Familie eine bessere Zukunftsperspektive bieten zu können, als es in dem eigenen Heimatland möglich wäre. Nur was heißt das konkret? Für den einen geht es darum, dass er hier in Deutschland eine ordentliche Begleitung und Betreuung erfährt, die vielleicht auch dabei hilft, andere Familienmitglieder nachziehen zu lassen, während der andere ausschließlich finanziell motiviert ist und sagt: Ich habe eine Großfamilie zu Hause, die von meinem Einkommen in Deutschland abhängig ist. Es gibt also ganz unterschiedliche Motivationen, wie sich eine bessere Zukunftsperspektive ausprägen kann und da müssen wir natürlich gucken, ob wir zusammenpassen und ob wir ein persönliches, fachliches, sprachliches und kulturelles Match haben – das ist die Aufgabe in diesem Auswahlgespräch.
Aus welchen Ländern kommen die Pflegekräfte?
Tatsächlich verändert sich die Nationalitätenzusammensetzung hier fortlaufend, weil wir mit der Zeit auch bisher attraktive Länder von unserer Aktivitätenliste streichen, wenn es zum Beispiel massive politische Veränderungen in den Ländern gibt. Dafür nehmen wir im Zeitverlauf aber auch neue Länder auf. Gutes Beispiel: Jetzt erst kürzlich wurde eine Vorgabe der Weltgesundheitsorganisation WHO angepasst, dass man in Ländern rekrutieren darf, wo das bisher nicht möglich war. Und zwar weil das eigentliche Gesundheitssystem dort als zu schwach eingestuft wurde und man weiteres Personal aus diesen Ländern aus ethischen Gründen nicht abziehen sollte. Solche Veränderungen eröffnen uns natürlich neue Möglichkeiten. Wenn wir uns den Status quo ansehen, beschäftigen wir sehr viele Mitarbeiter aus dem Balkanraum, insbesondere aus Albanien, Serbien, Mazedonien und Bosnien. Neu dazugekommen sind indische und philippinische Staatsangehörige. Jetzt im Laufe dieses beziehungsweise Anfang nächsten Jahres kommen viele iranische Staatsangehörige. Dazwischen gibt es noch sehr viele Initiativbewerbungen, die nicht auf einzelnen Großprojekten basieren und aus allen möglichen Ländern kommen. Wir haben beispielsweise viele Azubis aus Kamerun und aus Vietnam. Da ist wirklich alles dabei. Um Ihnen ein Gespür für die Zahlen zu geben: Pro Jahr rekrutieren wir zwischen 200 und 400 Personen.
Sie kennen die Herausforderungen der Branche. Wo müsste Ihrer Meinung nach noch politisch nachgesteuert werden?
Ich würde mir wünschen, dass den Worten der Politik auch Taten folgen. Im Prinzip ist das ja so: Im öffentlichen Diskurs brüsten sich gern viele Politiker damit, dass neue Anreize für die Zuwanderung ausländischer Fachkräfte geschaffen werden. Dafür wurde eigens das Fachkräfteeinwanderungsgesetz beschlossen, welches seit März 2020 in Kraft ist und welches vermeintlich viel Entbürokratisierung und beschleunigte Prozesse mit sich bringen sollte. Auf dem Papier wird sehr viel gemacht. Die Realität ist – und das bestätigt jeder, der selbst mit dieser Thematik betraut ist –, dass es von Jahr zu Jahr schwieriger und bürokratischer wird. Den deutschen Botschaften im Ausland fallen zum Beispiel immer neue Formulare und Dokumente ein, welche Informationen für eine Visumsentscheidung benötigt werden. Es wird immer weiter bürokratisiert, was dem vermeintlichen politischen Willen, die Fachkräfteeinwanderung nach Deutschland zu beschleunigen und zu erleichtern, massiv entgegensteht. Da passen die Wahrnehmungen einfach nicht zusammen.