In der Regionalliga Nordost tummeln sich zahlreiche Clubs mit Erstligageschichte – vor Saisonstart gilt aber gerade ein „Emporkömmling" als größter Meisterkandidat.
Wenn ein Verein in seiner Geschichte schon mal erstklassig gespielt hat, jetzt aber in der Vierten Liga antritt, dann ist die Sehnsucht nach der Rückkehr der guten alten Zeiten meist groß – oder zumindest danach, sich diesen wieder anzunähern. In der Nordost-Staffel der Regionalliga gibt es dabei die meisten Clubs, auf die diese historische Marke zutrifft – und bis auf den mit bescheidenen Mitteln trotzdem erfolgreich arbeitenden SV Lichtenberg 47 (ein Jahr DDR-Oberliga Anfang der 50er Jahre) hegen wohl alle den Traum vom kurz- oder mittelfristigen Aufstieg in die nationale Ebene der 3. Liga.
Energie Cottbus und der 1. FC Lok Leipzig schafften sogar das Kunststück, sowohl in der DDR als auch nach der Wiedervereinigung auf höchster Ebene aufzutreten (Lok in der Bundesliga als VfB), für die früheren Oberligisten Chemnitzer FC (als FC Karl-Marx-Stadt) und FC Carl Zeiss Jena reichte es immerhin noch zur zeitweiligen Teilnahme an der Zweiten Liga. Im Fall des früheren DDR-Rekordmeisters BFC Dynamo sowie von Chemie Leipzig war der Mauerfall jedoch mit einem größeren Bruch verbunden – ebenso wie die Bundesliga-Episoden bei den Berliner Vereinen Tennis Borussia (70er Jahre) beziehungsweise SV Tasmania (60er).
Verarmter Adel in der Regionalliga
Gemein ist den genannten Regionalligisten allerdings auch das Prädikat des „verarmten Adels" – so, wie es in den anderen Staffeln der vierten Spielklasse von Alemannia Aachen bis SpVgg Unterhaching irgendwie allen Vereinen mit Erstliga-Historie ergeht. Geld ist eine knappe Ressource und muss wohl überlegt eingesetzt werden – deswegen ist es vor der Spielzeit 2021/22 auch besonders schwer zu beurteilen, wer sich in der Nordost-Staffel quasi aus der Deckung wagt. Denn gerade erst hat diese mit dem FC Viktoria 89 aus Berlin einen direkten Aufsteiger stellen dürfen, und der Meister wird erst in drei Jahren wieder den uneingeschränkten Passierschein in die 3. Liga erhalten. Zuvor muss der Primus jeweils noch in die Aufstiegsqualifikation – zwar haben sich die Nordost-Vertreter dort rein statistisch bisher mit am erfolgreichsten geschlagen, die finanziellen Möglichkeiten werden aber auch aufgrund der coronabedingten Saisonabbrüche eher geringer. Und das Beispiel von 2020, als Lok Leipzig letztlich mit zwei Unentschieden gegen West-Vertreter SC Verl scheiterte, wirkt ebenfalls noch nach. Für das Team aus der Messestadt bedeutete das eine neuerliche Zäsur – in der abgelaufenen Spielzeit belegte man nur Rang sieben mit 14 Punkten Rückstand auf Viktoria. Dem vor der Saison 2020/21 neu gekommenen Almedin Civa, der durch seine langjährige Tätigkeit beim SV Babelsberg 03 die Regionalliga Nordost gut kennt, stehen aber auch in dieser Spielzeit keine spektakulären Neuzugänge zur Verfügung.
Auch bei Energie Cottbus, dem Tabellenneunten der Vorsaison, werden nicht erst seit heute kleinere Brötchen gebacken – in der Lausitz setzt man vor allem auf die Fähigkeiten des Rückkehrers Klaus-Dieter Wollitz auf der Trainerbank. Für den Ex-Profi beginnt damit bereits die dritte Amtszeit bei Energie, der letzte Abgang im Januar 2020 zum 1. FC Magdeburg ging dabei nicht ganz geräuschlos über die Bühne. Offenbar kein Grund, der „On-Off-Beziehung" in Cottbus nicht eine weitere Chance zu geben. Dass Energie nach seinem letzten Intermezzo in Liga 3 (2018/19) nicht mehr das Maß der Dinge ist, sieht man allerdings auch daran, dass mit Felix Brügmann einer der begehrtesten Spieler der Nordost-Staffel den Verein zum Mitkonkurrenten VSG Altglienicke verlassen hat.
Nach missratenem Start unter dem neuen Trainer Dirk Kunert war vergangene Spielzeit auch das Titelrennen für Absteiger Carl Zeiss Jena frühzeitig gelaufen, Platz 4 ließ letztlich aber zumindest eine positive Tendenz erkennen. Die Thüringer können immerhin für jeden Mannschaftsteil einen Neuzugang mit Drittliga-Erfahrung vorweisen, verloren aber auch gleich ein Trio an Liga-Konkurrent ZFC Meuselwitz sowie Aufsteiger Viktoria Berlin.
Beim Chemnitzer FC weiß man wiederum, wie der Aufstieg in die 3. Liga gelingt, denn 2019 schafften ihn die „Himmelblauen" bereits. Andererseits steckte man in dieser Zeit auch in finanziellen Schwierigkeiten. Erst im März konnte man nach drei Jahren ein Insolvenzverfahren beenden – bei Abbruch der vergangenen Spielzeit lag man obendrein nur auf Platz elf. Trotzdem genießt der im Sommer 2020 aus Lippstadt gekommene Daniel Berlinski weiter das Vertrauen bei den Sachsen.
Für Chemie Leipzig und Trainer Miroslav Jagatic lief die Saison 2020/21 dagegen hervorragend: Im zweiten Jahr in der Regionalliga Nordost schloss man als Tabellendritter ab. Selbst eine nur annähernd gute Platzierung in dieser Saison wäre wieder als Erfolg zu bewerten – gerade, da man mit Halili (Jena) und Faßbender (Meppen, 3. Liga) zwei wichtige Spieler abgegeben hat.
Christian Beck stürmt für Dynamo
Bei den Ex-Bundesligisten aus Berlin, Tennis Borussia und SV Tasmania, träumt man dagegen eher mittelfristig vom Aufstieg in die 3. Liga. Kein Wunder, ist „TeBe" doch erst letzte Spielzeit und „Tas" gerade in die Regionalliga aufgestiegen. Beim Berliner AK baut man dazu derzeit an einem Team, das in drei Jahren den direkten Aufstieg vollziehen soll.
Heißester aktueller Aspirant in der Hauptstadt dürfte darum wieder die VSG Altglienicke sein – der Vizemeister der letzten beiden Saisons hat den Abgang von Mittelfeldspieler Tolcay Cigerci zu Viktoria durch die Verpflichtung von Brügmann kompensiert. Dazu wurde mit den Zugängen Lucas Albrecht (Kickers Offenbach) oder Florijon Belegu (Berliner AK) die Defensive gestärkt. Finanziell ist der Verein aus dem Südwesten Berlins, der in der kommenden Spielzeit seine Heimspiele im Amateurstadion von Hertha BSC austragen wird, außerdem stabil aufgestellt und verfügt mit dem Trainerduo Karsten Heine und Torsten Mattuschka über reichlich Expertise.
Beim BFC Dynamo setzt man auf eine gewachsene mannschaftliche Stärke – und mit Neuzugang Christian Beck auf einen waschechten Torjäger, der in gut acht Jahren beim 1. FC Magdeburg nicht nur 131 Treffer erzielte, sondern mit den Elbestädtern von der Regionalliga bis in die zweite Liga Aufstiege feiern konnte. Aufgrund der bescheideneren finanziellen Ausstattung gehört Dynamo aber doch eher zum umfangreichen Feld der „aussichtsreichen Außenseiter". So ist der VSG Altglienicke – zusammen mit dem FC Carl Zeiss Jena – noch am ehesten der Meistertitel in der Nordost-Staffel zuzutrauen. Das Feld der Mitbewerber könnte sich aber erweitern, sollte der restliche „Adel" genug Geschick bewiesen haben, intakte Mannschaften zusammenzustellen.