Die paneuropäische Fußball-Europameisterschaft ist vorbei und hat mit Italien den verdienten Gewinner. Neben Corona gab es viele andere Diskussionspunkte – eine Wiederholung wird es sicher nicht geben.
Das war das nicht für eine schöne Vorstellung, als die Uefa festlegte, diese Europameisterschaft auf dem gesamten Kontinent auszutragen. Große Fußballfeste hatten die Verantwortlichen vor Augen. Doch nachdem das Turnier nun vorbei ist, muss auch die Uefa einsehen, dass dieses Turnier mit diesem Modus völlig fehl am Platz war. Präsident Aleksander Ceferin ist auf Nachfrage gegen eine weitere Europameisterschaft in mehreren Städten verteilt über den Kontinent. „Ich glaube nicht, dass wir das nochmal machen", sagte der 53-Jährige gegenüber „BBC". „Ich denke, es ist zu herausfordernd und nicht korrekt, dass zum Beispiel manche Teams mehr als 10.000 Kilometer reisen müssen und andere nur 1.000." Das sei auch nicht fair für die Fans, „einige mussten in Rom sein und ein paar Tage später in Baku". Doch das war nicht der einzige Grund, wieso diese Europameisterschaft unter einer gewissen Grundskepsis stand. Dass Corona bei der Austragung auf der Welt seinen Platz findet, konnte damals niemand wissen. Das Verschieben um ein Jahr war richtig, es dann 2021 stattfinden zu lassen, während nicht einmal 20 Prozent der Weltbevölkerung geimpft sind, einfach falsch – zumindest mit diesen Zuschauerzahlen.
Die Kritik daran wies Ceferin während des Turniers aber zurück. „Die Teams verhalten sich hochprofessionell", sagte der 53-Jährige der BBC. „Auch in den Stadien sind wir sehr strikt, und wenn ich höre, dass Politiker sagen, Menschen hätten sich bei den Spielen infiziert, ohne jeden Beweis, dann enttäuscht mich das ein bisschen."
Ungute Zahlen aus Schottland
Der Slowene bezog sich direkt auf Zahlen aus Schottland. Dort hatte die europäische Gesundheitsbehörde ECDC in Zusammenhang mit der EM knapp 2.000 Fälle registriert. „Einige sagen, 2.000 schottische Fans seien infiziert, aber die schottischen Fans, die ins Stadion gegangen sind, waren getestet", sagte Ceferin. Es seien auch 20.000 Menschen ohne Ticket nach London gekommen. „Du wirst im Park nicht getestet", meinte Ceferin. „Den Fußball zu beschuldigen, das Virus zu verbreiten, ist aus meiner Sicht unverantwortlich." Die ECDC hatte im Zusammenhang mit der EM bis Mitte dieser Woche mehr als 2.500 Corona-Infektionen gezählt. Zudem verteidigte der Uefa-Chef die Linie des Dachverbandes, nicht erlaubt zu haben, dass die Münchner EM-Arena als Protest gegen ein ungarisches Gesetz zum deutschen Gruppenspiel gegen Ungarn in Regenbogenfarben leuchtet. „Die Uefa ist eine Organisation, die nach ihren Statuten nicht politisch engagiert sein darf. Wir können nicht gegen Regierungen protestieren", erklärte Ceferin. Hierbei gibt die Uefa aber erneut ein schlechtes Bild ab. Alle Kampagnen für Toleranz und Freiheit bringen nichts, wenn sie nicht mit Leben gefüllt werden. Dementsprechend wäre es ein leichtes gewesen, die Allianz Arena in Regenbogenfarben erstrahlen zu lassen und eigentlich komplizierter, es nicht zu tun. Doch dabei wandelt die Uefa auf bekannten Spuren. Ein Auge zudrücken bei Partnern, die es mit Freiheit und Toleranz eben nicht so halten. Das wird allein schon beim Hauptsponsor der Euro 2020 deutlich – Qatar Airways. Warum ein Wüstenstaat die Europameisterschaft sponsort? Weil der große Schwesterverband, die Fifa, sich vollkommen an die Kataris verkauft hat. Mit einer Weltmeisterschaft im nächsten Jahr – im Winter.
Doch nicht nur die Uefa verpasste es, deutliche Zeichen gegen Rassismus und für Toleranz zu setzen. Auch die Russen gaben kein wirklich gutes Bild ab. Im Vorrundenspiel gegen die Belgier, fragte Romelu Lukaku den russischen Kapitän, ob sie mit aufs Knie gehen werden – der stellte sich schwerhörig und zeigte keine Anteilnahme. Die Diskussion, ob solche Zeichen etwas auslösen, spielt hierbei keine Rolle – vor allem zeigt es, dass es zwei Lager im Fußball gibt.
Wenig Gefühl im Fall Christian Eriksen
Diejenigen, die gegen eine Politisierung des Sports sind und diejenigen, die verstanden haben, dass Sport niemals unpolitisch war. Zudem sind Freiheit und Toleranz nicht gerade Eigenschaften, die durchweg aus der Politik kommen. Sondern in einer Gesellschaft verankert sein sollten. Dass sie das nicht sind, zeigten eindrucksvoll die Ungarn beim Gruppenspiel gegen die deutsche Mannschaft. „Deutschland, Deutschland, homosexual" skandierten sie mit voller Inbrunst – nicht begreifend, dass das nicht für jeden eine Beleidigung ist. Ordentlich ins Klo gegriffen hat die Uefa dann wiederum im Fall Christian Eriksen.
Als der Däne auf dem Platz kollabierte und nur mittels eines Defibrillators wiederbelebt werden konnte, bestand der Dachverband darauf, dass beide Mannschaften ein paar Stunden danach erneut gegeneinander antreten werden. Für einen Corona-Fall gibt es mehrere Tage Unterbrechung – bei einem mit dem Tod kämpfenden Spieler scheinbar nicht. Dabei wäre genau das eine Situation gewesen, in der die Uefa hätte Menschlichkeit ausstrahlen und klarstellen müssen, dass ein Menschenleben über einer kalten Fortführung eines Turniers steht – aber leider tat sie das nicht. Die Enttäuschung darüber fiel eher gering aus, zu viele haben damit schlicht und ergreifend gerechnet.
Was an diesem Abend jedoch noch im Stadion passierte, zeigte, dass nicht alle Menschen ihr Feingefühl verloren haben. Zum einen war da eine dänische Mannschaft, die einen Mitspieler um sein Leben kämpfen sah und trotzdem Geschlossenheit präsentierte. Ein Kapitän Simon Kjaer, der die Ruhe behielt und Eriksens verschluckte Zunge aus dem Rachen holte und der Rest der Mannschaft, der einen Kreis um ihren Mitspieler bildete, um ihn vor den Hunderten von Kameras und Fotoapparaten zu schützen. Die Fans zeigten in diesem Moment auch Größe. Im Wechselgesang feierten die Dänen und die Finnen den Spielmacher – und sorgten damit für einen Gänsehautmoment. Gänsehaut riefen die Spiele der deutschen Elf nur selten hervor, lediglich ein furioser Robin Gosens und das Herz von Leon Goretzka für den ungarischen Mob sorgten für positive Schlagzeilen. Ansonsten steht sich der DFB ähnlich wie die Uefa wie so oft selbst im Weg. Während eine ganze Nation einen Trainer nicht mehr für richtig hält, taten das aber einige beim DFB. Wie es nach einem Debakel richtig laufen kann, zeigten die Italiener. Roberto Mancini schaffte es nach der verpassten WM-Qualifikation 2018, um die ewigen Leonardo Bonucci und Georgio Chiellini eine Mannschaft zu bauen, die am Ende einen Titel holt. Nicht immer mit bombastischem Fußball, sondern vor allem über eine geschlossene Mannschaft und ein funktionierendes Team. Viele legten Mancinis Wechselorgie als respektlos gegenüber dem Gegner aus – doch er selbst stellte klar, dass es „die größte Enttäuschung seines Lebens war", dass er bei einer seiner Europameisterschaften als Spieler keine Minute gespielt hat.
Mancini brachte alle Spieler
Wie viel Wert die Italiener auf ihr Team legten zeigte sich auch, als sich Leonardo Spinazzola die Achillessehne riss. Nach dem gewonnenen Halbfinale feierte Italien mit einem Trikot des Linksverteidigers und skandierte seinen Namen. Das ist dann doch vielleicht die größte Erkenntnis dieser EM, abgesehen davon, dass ein paneuropäisches Endturnier durchaus seinen Reiz hatte, ihn aber nie wirklich zeigen konnte. Zum einen wegen einer Pandemie, die für König Fußball scheinbar nicht existierte, zum anderen, weil keine klassische Stimmung innerhalb eines Landes möglich war. Oft fühlte es sich an, als wären es ganz normale Länderspiele. Die größte Erkenntnis ist aber, dass es nur gemeinsam geht. Das zeigten die Dänen, die der Eriksen-Kollaps zusammenschweißte. Das zeigten die Italiener, die mit Geschlossenheit einen Titel holten. Die Uefa ist von solchen Gedanken ziemlich weit entfernt, Menschlichkeit und Geschlossenheit scheinen Fremdwörter zu sein. Vielmehr steht an oberster Stelle der Profit. In einem kaputten System waren es die Italiener und die Dänen, die zeigten, worauf es wirklich ankommt.