Die Hochwasserkatastrophe hat der Frage nach dem Klimawandel eine dramatische Aktualität gegeben. Mit dem EU-Plan „Fit for 55" und der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts steht Klimaschutz ganz oben auf der politischen Agenda.
Kaum hatten sich die Fridays for Future zu einer breiten gesellschaftlichen Bewegung entwickelt, schien die Pandemie dem Aufschwung ein jähes Ende zu bereiten. Parents, Scientists und etliche weitere For-Future-Gruppen fanden sich, um ihren Beitrag zu der Bewegung zu leisten. Ihnen allen fehlten auf einen Schlag die Plattformen dafür. Corona war das alles beherrschende Thema. Dabei schien es so, als würden die drastischen Maßnahmen gegen die Pandemie den Argumenten in die Hände zu spielen. Der erste echte Lockdown schien zu belegen, dass Klimaschutzziele erreichbar sind, wenn man konsequent handelt.
Außerdem schien die Hoffnung berechtigt, dass eine alte Forderung eine Chance auf Gehör hat. Seit es Umweltschutz- und Klimabewegungen gibt, gibt es die Forderung, bei Entscheidungen wissenschaftliche Erkenntnisse und Expertenrat ernst zu nehmen. Bei der Bekämpfung der Pandemie war und ist dies explizit der Fall, was, nebenbei bemerkt, auch zu kritischen Betrachtungen führt.
Dass die Pandemie etwas mit der Art unseres Wirtschaftens und der Lebensgestaltung zu tun hat, in denen zugleich auch Ursachen der Klimakrise liegen, ist breit diskutiert worden. Für die These können immerhin gute plausible Argumente vorgetragen werden.
Trotzdem schien das Klimaschutzthema, wenn auch prominent, aber eben doch auf den zweiten Platz gerutscht zu sein. Bis es durch einige Wegmarken wieder ganz oben auf der Agenda steht. Das katastrophale Hochwasser ist dabei ein vorläufiger Höhepunkt.
Dass die Grünen erstmals eine Kanzlerkandidatin (und nicht „nur" ein Spitzenduo) in den Wahlkampf schicken, war nicht nur Ausdruck ernstzunehmender Ambition im Kampf um Platz eins bei der Bundestagswahl, sondern auch der Bedeutung des Klimathemas in der Bevölkerung geschuldet. Was den Mitbewerbern nicht entgangen ist. Von Union bis zu Linken steht Ökologie in den Wahlprogramm-Überschriften, und nicht mehr nur irgendwo im Innenteil. Allenthalben wird die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie zur Maxime erhoben. Nur die vorgeschlagenen Wege dorthin unterscheiden sich.
Das Klimaparadox bleibt trotz Handlungsdruck
Ein richtiger Meilenstein war dann die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz. In bislang nicht da gewesener Eindeutigkeit formuliert das Gericht in seiner Begründung Maßstäbe unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit. Woraufhin die Bundesregierung eilends das eigene Klimagesetz geändert, die definierten Ziele verschärft hat. Dass das derart schnell ging, war nicht nur dem nahenden Wahltermin geschuldet. Die Vorschläge dazu lagen längst auf dem Tisch, sind aber, weil man sich einigen konnte, wieder in Schubladen zurückgewandert. Zudem war zu diesem Zeitpunkt bereits klar, was auf EU-Ebene im Gespräch war. Was Brüssel dann unter dem Slogan „Fit for 55" präsentiert hat, ist weitaus mehr als ein ambitioniertes Fitnessprogramm. Was dort formuliert ist, macht eindrücklich klar, welche Veränderungen in letztlich allen Lebensbereichen nötig sind – und in welcher zeitlichen Dringlichkeit, wenn das ehrgeizige Ziel eines CO2-neutralen Kontinents 2050 erreicht werden soll. Noch ist unklar, was nach den Beratungen in den Mitgliedsstaaten stehen wird. Klar ist aber, dass es eine enorme, manche sagen gigantische Herausforderung ist. Die aber – siehe auch Verfassungsgericht – keinen Aufschub duldet.
Schließlich hat die Hochwasserkatastrophe mit einer dreistelligen Zahl von Todesopfern und unabsehbaren Schäden dramatisch gezeigt, was Experten schon lange voraussagen, dass es nämlich immer häufiger Extremwetterlagen geben wird, die an Heftigkeit zunehmen.
An Erkenntnisgewinn hat es bekanntlich auch bislang schon nicht gemangelt. Dass Fortschritte weit unter den Möglichkeiten und Notwendigkeiten blieben, hat das Verfassungsgericht thematisiert. Die Schuld daran alleine bei einer zu zögerlichen Politik zu verorten, ist einerseits nicht von der Hand zu weisen, greift andererseits aber auch zu kurz.
Schließlich ist das Klimaparadox eine bekannte Erscheinung. In allgemeinen Zielen und Wertvorstellungen genießt der Klimaschutz hohe bis höchste Priorität, aber sobald es ans Konkrete geht, gibt es Widerstand. Was nicht selten darauf zurückgeführt wird, dass der Leidensdruck noch nicht groß genug sei. Bis der aber groß genug ist, wird der Kipppunkt, ab dem die Entwicklung nicht mehr zu stoppen ist, überschritten sein, so fast unisono die Warnung nicht nur aus Expertenkreisen.
Das Verfassungsgericht hat neue Fragen nach der Generationengerechtigkeit aufgeworfen, die EU will Ernst machen mit der Umsetzung, in der Wissenschaft gibt es Ansätze zur Unterstützung von bürgerschaftlichem Engagement. Je größer der Handlungsdruck, umso größer aber auch die Verunsicherung. Neben der „Versöhnung" von Ökologie und Ökonomie ist zunehmend klar, dass auch soziale Fragen eine zunehmend größere Herausforderung werden.
Ein Wahlkampf kommt in dieser Situation, in der vieles klarer auf dem Tisch liegt als in der Vergangenheit, nicht zur schlechtesten Zeit. An den Zielen führt vernünftigerweise kein Weg vorbei, welcher Weg der bessere ist, darüber kann und muss gerungen und am Ende auch entschieden werden.