Vor allem Rentner dürfen sich in diesen Zeiten besonders freuen
Es ist eine alte Erfahrung, dass historische Ereignisse die Gesellschaft spalten, nicht nur politisch sondern auch finanziell und sozial. Die Covid-19-Pandemie war und ist ein solch historisches Ereignis, wie zuvor die Welt-Finanzkrise 2008/2009 oder die Deutsche Wiedervereinigung 1989/1990. Immer hat es dabei Gewinner gegeben, denen auf der anderen Seite Verlierer gegenüberstanden.
Natürlich ist es in Pandemie-Zeiten erste Aufgabe des Staates, dafür zu sorgen, dass möglichst viele seiner Bürger die tödliche Infektionswelle heil und gesund und ohne Langzeitschäden überstehen. Das erfordert teils sehr schmerzhafte Maßnahmen und Einschränkungen, auch finanzielle. Obwohl der Staat viele finanzielle Lasten über Verschuldung aufzufangen versucht hat – mit Erfolg – bleiben in der Summe große individuelle Belastungen übrig.
Wachstumsverluste beim Sozialprodukt von bis zu neun Prozent in der Spitze schlagen irgendwo in den Budgets der Bürger zu Buche. Da ist nur selbstverständlich, dass es nach der Krise ans Zusammenrechnen geht: Wo sind die Verlierer, wo die Gewinner der Pandemie? Wie kommt der Staat von Schulden herunter?
Die Verlierer sind leicht ausgemacht. In den zurückliegenden Monaten wurden Fabriken, Kneipen und Kaufläden geschlossen, wurden Beschäftigte arbeitslos, mussten Selbstständige in Gastronomie, Handel und Beratung in die Pleite und Millionen von Kurzarbeitern mit gekürzten Einkommen auskommen.
Aber jedes Ding hat zwei Seiten, den Verlierern standen auch Gewinner gegenüber. Zu diesen zählten alle, die auf sicheren Arbeitsplätzen ein von den Widrigkeiten der realen Wirtschaft unabhängiges Einkommen beziehen. Als da sind Beamte und alle Beschäftigten im Staatsdienst, Bezieher von festen Einkommen – und vor allem die Gruppe von 20 Millionen Rentnern.
Seit Norbert Blüm wissen wir: „Die Rente ist sicher"! Das ist richtig, seit 2008 sogar ihre Höhe. Eine in der Welt ziemlich einmalige Besonderheit. Bekanntlich ist die Höhe der Altersbezüge an die Entwicklung der Löhne aus den Vorjahren gekoppelt. Damit wollte der Gesetzgeber sicherstellen, dass auch die Rentner am wachsenden Wohlstand beteiligt werden, auch um Altersarmut vorzubeugen. In Deutschland konnten sich die Senioren in den vergangenen fünf Jahren wegen steigender Löhne über Rentenerhöhungen von bis zu sechs Prozent erfreuen.
Allerdings tritt nun in der Corona-Pandemie eine Absurdität zu Tage, die milde gesagt eher eine soziale Ungerechtigkeit ist. Denn obwohl die Löhne 2020 als Folge der Rezession um zwei Prozent gesunken sind, steigen die Renten weiter (Ostdeutschland) oder bleiben konstant (Westdeutschland). Im Gegensatz zu den Arbeitnehmern, die nach dem Generationenvertrag die Rente zwar erarbeiten, jetzt aber krisenbedingt den Gürtel enger schnallen müssen, müssen Senioren keine Einschnitte machen.
Wie kommt’s? Politische Eingriffe sind für diese absurde Entwicklung verantwortlich: Die große Koalition aus Union und SPD hat 2008 im Gefolge der Finanzkrise den Automatismus abgeschafft, dass die Renten sinken, wenn im Jahr zuvor die Löhne sinken. Renten sind seither „unsinkbar"! Als Korrektur wurde ein Nachholfaktor eingeführt, nach dem ein temporäres Nicht-Sinken in den Folgejahren durch geringere Erhöhungen wieder kompensiert wird. Dieser Nachholfaktor wurde aber durch politischen Beschluss bis dato nicht angewendet.
Folge für die Gegenwart: In 2021 sinken die Renten nicht, in 2022 werden sie sogar kräftig steigen – je nachdem, wie stark die Löhne 2021 im Zuge der Wirtschaftserholung zulegen. Experten rechnen mit fünf Prozent. Wäre der Nachholfaktor noch in Kraft, wäre es nur die Hälfte.
So produziert der Corona-Krisenzyklus als Folge eines Nachholbedarfs, den es gar nicht gibt, zusätzliche Rentensteigerungen: Wegen der Lohn-Rezession und des kräftigen Anstiegs danach werden die Altersbezüge dauerhaft gesteigert. Ohne Rezession wäre das nicht der Fall gewesen.
Die große offene Frage ist, ob Politik und Gesellschaft diese Asymmetrie in der Einkommensentwicklung zwischen Erwerbstätigen und Rentnern und Beamten auf die Dauer hinzunehmen bereit sind.