Sie sind schon da oder stehen in den Startlöchern: Elektroautos aus China erobern den deutschen Markt. Müssen sie sich vor der Konkurrenz verstecken oder sind sie eine echte Alternative?
Autos aus China galten lange Zeit nur als dreiste, aber schlechte Kopien westlicher Modelle. Zwar sehen manche Fahrzeuge gerade deutschen Pkw immer noch verdächtig ähnlich, doch beim Design herrscht seit Jahren vielfach ohnehin ein Trend zum Einheitsbrei. Und die Chinesen haben nach den Crashtest-Pleiten um Landwind und Brilliance vor einigen Jahren, die den hiesigen Markteintritt verhagelten, bis auf Ausnahmen ein respektables Qualitätsniveau erreicht. Nun trauen sie sich mit Selbstbewusstsein auf den europäischen Markt, vor allem mit elektrischen Pseudo-Geländewagen: SUV sind eine der populärsten Autogattungen. Dass sie bei der Elektrowelle aus Fernost eine tragende Rolle spielen, kommt nicht von ungefähr.
Einfallstor in Europa für China-Stromer ist derzeit Norwegen, Vorreiterland bei der Elektromobilität. Die dortige Förderpolitik hat zu hohen Zulassungsquoten geführt. Aber auch auf den deutschen Markt kommen die neuen Modelle made in China, wo Premiumfahrzeuge wie Audi e-tron oder Mercedes EQA umhersurren. Bislang nahezu unbemerkt, denn die Marken sind eher unbekannt – noch.
Dudenhöffer sieht gute Chancen für Chinas E-Autos
Wem sagt schon Jac etwas? Oder Elaris, Aiways und Seres? Einzig MG klingt vertraut, teilt aber mit der alten britischen Traditionsmarke nur noch den Namen. Längst ziert das MG-Emblem Fahrzeuge des größten chinesischen Autoherstellers SAIC, der die Marke 2005 übernahm. Gemessen an den reinen Stückzahlen ist die E-Auto-Offensive aus China derzeit kaum beeindruckend. Nach Angaben des Marktanalysten Jato Dynamics wurden 2020 in Europa 24.799 E-Autos aus China neu zugelassen beziehungsweise verkauft (2019: 1.930). Zum Vergleich: Allein in Deutschland lagen die Neuzulassungen im vergangenen Jahr nach Angaben des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) bei fast 200.000 batterieelektrisch angetriebenen Pkw – die meisten von VW, Renault und Tesla. Laut Jato Dynamics waren darunter 1.107 chinesische Autos (2019: 7).
Die Amerikaner von Tesla haben als E-Pioniere die Branchenriesen lange vor sich hergetrieben. Inzwischen sind auch die etablierten deutschen Marken auf den E-Mobilitätszug aufgesprungen und konnten ihren Absatz teils in dreistelligen Prozentbereichen steigern. Müssen sie alle sich nun warm anziehen angesichts der neuen Modelle aus China? Nach Einschätzung von Branchenexperten: ja.
„Die Marktchancen für die neuen Chinesen sind gut", sagt der Automobil-Experte Ferdinand Dudenhöffer vom Duisburger CAR-Institut. Bei den neuen Modellen handele es sich um „hochwertige, technologisch ausgereifte und spannende Fahrzeuge". Zu sehen sei das etwa am Start-up Nio, das ab September das pfeilschnelle E-SUV-Modell ES8 auch in Europa verkaufen möchte und wohl auch Deutschland anvisiert. Ein Nio-Designzentrum wurde in München bereits eröffnet. Marktbeobachter Dudenhöffer schätzt, dass die chinesischen Marken eine ähnliche Entwicklung durchlaufen wie andere einst gleichsam belächelte Marken aus Fernost, die den Markt nachhaltig veränderten: „Zuerst kam die Japan-Welle mit Toyota und Co., dann die Koreaner Hyundai und Kia, die heute sehr erfolgreich sind. Die Chinesen werden in zehn Jahren das sein, was heute die Koreaner sind."
Wie viel vom Kuchen allein in Deutschland zu verteilen ist, lässt sich auch daran ablesen, wie wenige E-Autos trotz prozentual stark gestiegenem Absatz und einer mittlerweile ansehnlichen Modellvielfalt auf deutschen Straßen immer noch unterwegs sind. Nach KBA-Angaben lag der Anteil von E-Autos am Gesamtbestand von rund 48 Millionen Pkw Anfang 2021 bei 0,6 Prozent. In nackten Zahlen: rund 310.000. Angesichts der Umstellung vom Verbrenner auf E-Mobilität, die viele Hersteller vorantreiben, erscheint ein Markteintritt gerade jetzt strategisch klug.
Volkswagen plant, bis 2030 den Anteil reiner E-Autos am Absatz in Europa auf mehr als 70 Prozent zu steigern. Hersteller wie Volvo, Jaguar Land Rover oder Ford gehen weiter und wollen ab 2030 nur noch E-Autos anbieten, ebenso Fiat. Noch ist das Angebot dünn, und die neuen China-Marken bauen ihre Händler- und Vertriebsnetze gerade erst aus. Doch auf der Liste der förderfähigen Elektrofahrzeuge des zuständigen Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) tauchen viele bereits jetzt schon auf – was sie zumindest preislich nochmals attraktiver macht. Wir geben einen Überblick über die wichtigsten aktuell bereits oder bald in Deutschland verfügbaren Modelle.
MG ZS
Die Unterstellung, chinesische Autos seien nicht sicher, hat der ZS ausgeräumt: Beim Euro-NCAP-Crashtest erzielte das für ein Kompakt-SUV mit 4,31 Metern vergleichsweise kurze Fernost-Auto die Bestwertung von fünf Punkten. MG klingt britisch, doch gehört die Marke längst zur chinesischen Gruppe SAIC Motor, mit der unter anderem auch Volkswagen kooperiert. Der ZS, laut MG ein „Stadt-SUV", zählt zu den neuen chinesischen E-Autos, die auch bei der Ausstattung mit der etablierten Konkurrenz mithalten. Das Angebot an Assistenzsystemen ist groß und umfasst ab Werk Abstandstempomat und Querverkehrswarnung. Die Garantie auf das gesamte Fahrzeug einschließlich der elektrischen Antriebskomponenten wie Lithium-Ionen-Akku und E-Motor ist mit sieben Jahren (150.000 km) üppig. Der E-Motor leistet 105 kW/142 PS, stemmt 353 Nm. Der ZS erreicht 100 km/h nach 8,2 Sekunden und läuft 140 km/h in der Spitze. Nach WLTP-Norm verbraucht er 18,6 kWh. In Verbindung mit dem 42,5-kWh-Akku bedeutet das eine WLTP-Reichweite von etwas mageren 263 Kilometern. Dafür liegt standardmäßig die maximale Ladeleistung mit 85 kW recht hoch, ein Schnellladegerät wird mitgeliefert. Das ZS EV ist bereits im Handel und wird über ein Händlernetz vertrieben, das bis Ende des Jahres 100 Partner umfassen soll. Kostenpunkt: 31.990 Euro. www.mgmotor.eu
Seres 3
Im Gewand eines gewöhnlichen Kompakt-SUV mit ein paar Schwüngen in der Karosserie ist der Seres 3 bereits Ende 2020 in Deutschland angekommen. Generalimporteur des 4,39 Meter langen Pkw ist Indimo Automotive mit Sitz in Landstuhl in der Pfalz, der Vertrieb erfolgt über ein Netz von rund 200 Händlern. Hersteller DFSK, ein Joint Venture des chinesischen Staatsunternehmens Dongfeng und Sokon Motors, verspricht eine WLTP-Reichweite von 301 Kilometern; verbaut ist ein Lithium-Ionen-Akku mit einer Kapazität von 53,6 kWh, der kombinierte Verbrauch auf 100 Kilometer liegt bei 18 kWh. Laut Indimo kann der Seres 3 per CCS-Standard serienmäßig bis zu 60 kW schnellladen, in einer halben Stunde ist der Akku zu 80 Prozent befüllt. Der E-Motor leistet 120 kW/163 PS, generiert 300 Nm aus dem Stand und sprintet in 8,9 Sekunden auf 100 km/h. Die Höchstgeschwindigkeit erreicht das erste chinesische Kompakt-SUV auf dem deutschen Markt bei 155 km/h. Der Startpreis liegt bei knapp 36.911 Euro, Indimo garantiert eine Lieferzeit von maximal vier Wochen. www.indimo.eu
JAC e-S2
Die Karosseriehülle entstammt noch der alten Welt, denn das Ausgangsfahrzeug des Kompakt-SUV wurde bereits 2015 als Verbrenner auf die Räder gestellt. Seit Ende 2020 ist die elektrifizierte Variante mit 85 kW/115 PS für deutsche Kunden verfügbar, den Vertrieb übernimmt mit Umweg über den Generalimporteur in Österreich Lada Deutschland, ein Händlernetz ist im Aufbau. Mit 32.938 Euro ist der e-S2 unter den kompakten E-SUV ebenfalls ein Preisbrecher, der im Segment beliebte Hyundai Kona Elektro kostet mit 110 kW/136 PS gute 2.400 Euro mehr. Das China-SUV vom Staatskonzern JAC ist 4,14 Meter lang. Mit einer vollen Akkuladung (40 kWh) erreicht es eine WLTP-Reichweite von 275 Kilometern (WLTP-Verbrauch: 19 kWh). Per Schnellladung sind die NAC-Zellen in rund einer Stunde zu 80 Prozent befüllt (maximale Ladeleistung: 20 kW). Die Höchstgeschwindigkeit ist mit Rücksicht auf die Reichweite bei 130 km/h gedeckelt. Für ein E-Auto eher dezent, liegt das Drehmoment bei 270 Nm. In zwölf Sekunden beschleunigt der E-Motor den nur knapp 1,5-Tonnen schweren Chinesen auf Tempo 100. Für den Jahreswechsel 2021/22 wird zusätzlich der etwa 30 Zentimeter längere e-S4 erwartet. Er wird mit 110 kW/150 PS etwas leistungsstärker und soll je nach Akku-Größe (60/75 kWh) zwischen 380 und 550 Kilometer weit fahren.
Nio ES8
Seinen Europastart in Norwegen bestreitet das chinesische E-Auto-Start-up Nio mit einem SUV im Format des Audi Q7: gut fünf Meter lang, fast 2,5 Tonnen schwer. Bei den Fahrleistungen entpuppt sich der Allradler als Chinakracher: Dank 725 Nm Drehmoment und 400 kW/544 PS schießt das große Auto bei durchgedrücktem Fahrpedal in 4,9 Sekunden auf Tempo 100. Dabei ist das E-SUV mit aktiver Luftfederung ein Lademeister, das Stauvolumen des Sechs- oder Siebensitzers beträgt bis zu 1.861 Liter. Als WLTP-Reichweite mit einem 100-kWh-Akku gibt Nio bis zu 500 Kilometer an. Die Ladeleistung liegt bei 100 kW, zum Verbrauch macht Nio noch keine Angaben.
Am Heimatmarkt werden Fahrzeug und Akku auch getrennt angeboten. Ein Netz aus Wechselakku-, Service- und Supercharger-Stationen ist zunächst für Norwegen geplant. Dort sollen erste Exemplare ab September zu den Kunden surren. In China kostet ein vergleichbar ausgestatteter ES8 umgerechnet rund 60.000 Euro. Später nach Norwegen nachfolgen soll auch das erste E-Auto mit Feststoffbatterie und rund 1.000 Kilometer Reichweite, der ET7, eine Luxuslimousine. Bereits 2022 will Nio auch in Deutschland E-Autos verkaufen. www.nio.com
Xpeng G3
Das 4,45 Meter lange SUV im Format von VW Tiguan und Co. wird derzeit in Europa nur in Norwegen angeboten, zum Umrechnungspreis von rund 35.700 Euro. Doch prüft das 2015 gegründete E-Auto-Unternehmen mit Sitz in Guangzhou die Markteinführung in weiteren europäischen Ländern, im Fokus ist auch Deutschland.
Mit einer nach WLTP berechneten Reichweite von 451 Kilometern bietet der G3 mehr Bewegungsfreiheit ohne Ladestopp als manch anderes China-SUV, besitzt dafür aber auch eine Traktionsbatterie mit 66,5 kWh, die den Preis hebt und per Wechselstrom in bestenfalls 5,5 Stunden geladen werden kann, per CHAdeMO-Schnellladung (Gleichstrom) lassen sich die Zellen in unter 30 Minuten von 30 auf 80 Prozent Ladestand bringen. Den kombinierten Normverbrauch gibt die Marke mit guten 15 kWh auf 100 Kilometer an. Mit 8,6 Sekunden von 0 auf 100 km/h ist der 1,6 Tonnen schwere Xpeng recht flott, das Drehmoment liegt bei 300 Nm, die Motorleistung bei 145 kW/197 PS.
Elaris Finn
Der Modellname klingt niedlich, und tatsächlich handelt es sich um einen Autowinzling von 2,87 Metern Länge im Smart-fortwo-Format. Äußerliche Ähnlichkeiten sind wohl nicht ganz zufällig. Doch Akkukapazität (31,5 kWh) und die WLTP-Reichweite von 265 Kilometern übertreffen den deutschen Konkurrenten deutlich. Hersteller ist Dorcen, der den Zweisitzer in der chinesischen Heimat als Dorcen E20 vermarktet, Importeur ist das Start-up Elaris mit Sitz in Grünstadt in Rheinland-Pfalz, das die umgelabelten Fahrzeuge auf dem europäischen Markt vertreibt. Aufgebaut werden soll ein Netz von deutschlandweit 100 Händlern.
Die E-Maschine des Finn kommt auf 35 kW/48 PS, beschleunigt mit 180 Nm Drehmoment in 13,5 Sekunden auf Tempo 100 und erzielt 115 km/h Spitzengeschwindigkeit. Den Verbrauch gibt Elaris mit 9,7 kWh auf 100 Kilometer an, die maximale Ladeleistung mit 30 kW (CCS). Erste Auslieferungen werden noch für den Sommer erwartet, Stückpreis 22.900 Euro. Einige Monate später soll auch der Leo durchstarten, ein kompaktes E-SUV, 4,53 Meter lang, mit großem 80-kWh-Akku, der eine WLTP-Reichweite von 450 Kilometern gewähren soll (WLTP-Verbrauch: 18,6 kWh). Der 125 kW/170 PS starke Leo mit 410 Nm Drehmoment kostet 37.900 Euro. www.elaris.eu
Aiways U5
Der U5 ist das erste ausgewachsene SUV unter den Fernost-Stromern auf dem deutschen Markt, Hersteller ist das 2017 gegründete Start-up Aiways. Den Vertrieb hierzulande übernimmt die Elektronikmarkt-Kette Euronics, die Wartung der Fahrzeuge die Werkstattkette ATU. Mit 4,68 Metern Länge hat der U5 in etwa das Format des – ebenfalls in China gebauten – BMW iX3, mit 63 kWh allerdings den kleineren Akku. Dem mit 1,7 Tonnen vergleichsweise leichten E-SUV beschert sie eine WLTP-Reichweite von dennoch 410 Kilometern, der WLTP-genormte Verbrauch liegt bei nur 17 kWh.
Die Serienausstattung ist mit adaptivem Tempomat und weiteren Assistenten umfangreich, eine Gesichtserkennung unter anderem zur Autorisierung des Fahrers ist verfügbar. Jedoch musste sich der U5 beim Euro-NCAP-Crashtest mit nur drei Sternen begnügen. In 7,5 Sekunden ist Tempo 100 erreicht. Die Endgeschwindigkeit ist auf 160 km/h begrenzt. Die Gleichstrom-Schnellladung von 20 auf 80 Prozent geschieht per CCS in 35 Minuten, die maximale Ladeleistung beträgt 90 kW. Der E-Motor des U5 kommt auf 150 kW/204 PS und 310 Nm, der Preis auf mindestens 35.993 Euro.