Basketball-Superstar Giannis Antetokounmpo hat dem diesjährigen NBA-Finale seinen Stempel aufgedrückt und die Milwaukee Bucks zum ersten Meistertitel seit 50 Jahren geführt. Für den „Greek Freak" war es der Höhepunkt einer langen und beschwerlichen Reise.
Darauf hatte Giannis Antetokounmpo so lange hingearbeitet. Der Grieche, der in jungen Jahren als Immigrant nigerianischer Eltern auf den Straßen Athens Schmuckstücke verkaufte, um überleben zu können, durfte sich den glitzernden Meisterring der NBA auf den Finger streifen. Gefühle wie Stolz, Freude und auch Genugtuung dürften Antetokounmpo in diesem Moment überkommen haben. Sein faszinierender Aufstieg vom bettelarmen und staatenlosen Straßenverkäufer zum superreichen und angebeteten Basketball-Superstar hat seinen Höhepunkt erreicht. Seinen vorläufigen Höhepunkt, um genauer zu sein.
„Das bedeutet mir viel. Ich möchte Milwaukee dafür danken, dass sie an mich geglaubt haben, ebenso wie meinen Mitspielern. Ich bin glücklich, dass wir das geschafft haben", sagte der Power Forward, nachdem er mit den Milwaukee Bucks in Spiel sechs des NBA-Finals gegen die Phoenix Suns (105:98) den NBA-Thron erklommen hatte. Beim vierten und entscheidenden Sieg der hart umkämpften Play-off-Finalserie steuerte der als „Greek Freak" bezeichnete Antetokounmpo, der in der Tat wie ein Monster die Zone beherrschte, sagenhafte 50 Punkte, 14 Rebounds und fünf Blocks bei. Mehr Punkte hatte in einem Closeout Game eines NBA-Finals noch nie ein Profi erzielt. Wie schon in den Duellen zuvor war Antetokounmpo DER Bessermacher für die Bucks, die ihren ersten Meistertitel seit 50 Jahren feierten.
Und so war es auch glasklar, dass der Grieche einstimmig zum MVP der Finalserie gewählt wurde. Er ist erst der fünfte internationale Basketballer, der den Bill Russell Award einheimsen konnte. Die Namen seiner Vorgänger Dirk Nowitzki (2011), Tony Parker (2007), Tim Duncan (1999, 2003 und 2005) und Hakeem Olajuwon (1994 und 1995) sind groß, doch nahezu alle Experten sind sich einig: Antetokounmpo wird noch größer werden. Sehr viel größer. Der 26-Jährige könnte eine Ära prägen wie einst Kareem Abdul-Jabbar, der für den bislang letzten NBA-Titel der Bucks 1971 gesorgt und der später die Los Angeles Lakers zum Serienmeister gemacht hatte.
Als Antetokounmpo vor 17.000 Zuschauern im Fiserv Forum die MVP-Ehren erhielt, überkamen ihn die Tränen. Den kleinen Silberpokal nahm er nach der Zeremonie zusammen mit der Meistertrophäe mit in die Pressekonferenz, wo er leise flüsterte: „Sei nicht eifersüchtig." In Antetokounmpos Herzen ist genug Platz für noch viele, viele Auszeichnungen und Pokale. Und zwar mit den Bucks, für die er sich trotz verlockender Angebote im vergangenen Dezember mit seiner Unterschrift unter einen neuen Fünfjahresvertrag entschied. „Ich hätte zu einem Superteam gehen und einen Titel gewinnen und einfach meinen Teil beitragen können", sagte er. „Ich wollte es aber auf die harte Tour, und diesen Weg habe ich gewählt. Wir haben es geschafft, wir haben es verdammt noch mal geschafft."
Mit „wir" meinte Antetokounmpo auch seinen älteren Bruder Thanasis, der ebenfalls im Kader der Bucks steht, aufgrund eines Corona-Sicherheitsprotokolls aber für Spiel sechs vom Team abgeschottet wurde. Nach der Schlusssirene überraschte Giannis seinen Bruder aus der Kabine mit einem Videoanruf – und seine Fans konnten dem live bei Instagram lauschen. „Ich liebe dich, Bruder", sagte Giannis, dessen jüngerer Bruder Kostas als Mitglied der Los Angeles Lakers im Vorjahr auch schon den Titel gewonnen hatte. Drei Brüder als Champions – das gab es noch nie in der langen NBA-Geschichte. Kostas und Thanasis stehen aber im Schatten von Giannis, der mit dem deutlich größten Talent gesegnet ist. Und mit einer gehörigen Portion Durchsetzungsfähigkeit. Seine Lebensgeschichte hat einen großen Anteil daran.
Antetokounmpo und seine Brüder wuchsen in Athen unter ärmlichen Verhältnissen auf. Neben Schmuck verkauften die Jungs auch CDs und Sonnenbrillen, um sich zumindest spät abends nach getaner Arbeit ein Essen leisten zu können. Thanasis und Giannis erkannten früh, dass der Basketball für sie ein Weg raus aus der Armut sein könnte. Vor allem Giannis bewies ein enormes Talent, schon als 16-Jähriger debütierte er in der Dritten Liga Griechenlands. Er sei ein „dünnes, kränkliches Kind" gewesen, berichtete einmal sein erster Trainer Takis Zivas. Er vermutete, dass das auch an der mangelhaften Ernährung gelegen habe. „Trotzdem war er jeden Tag beim Training."
Wuchs unter ärmlichen Verhältnissen auf
Doch weil er aufgrund eines fehlenden Passes nicht in den Junioren-Auswahlteams spielte, ließen die NBA-Scouts auf sich warten. Das änderte sich erst, als sein Agent Georgios Dimitropoulos ein Highlight-Video erstellte und an die Scouts und Clubs weltweit verschickte. Dieses Video mit Best-of-Szene des blutjungen, dynamischen und treffsicheren Forward erzielte die erhoffte Wirkung: Die NBA-Clubs bissen an, sie beschäftigten sich mit dem „griechischen Magic Johnson", wie ihn eine spanische Zeitung nannte. Doch es gab noch ein Problem zu lösen: Das Riesentalent brauchte einen Pass, und plötzlich war die griechische Einbürgerung möglich. Bis dahin führte Giannis den afrikanischen Namen Adetokunbo, was so viel wie „König aus einem fremden Land" bedeutete. Da aber das griechische Alphabet keine Buchstaben für „d" und „b" kennt, wurde daraus Antetokounmpo.
Vor dem NBA-Draft 2013 hatten sich die Atlanta Hawks am intensivsten mit Antetokounmpo beschäftigt, „ich habe die Sachen von denen immer noch", gab er kürzlich zu. Doch bevor die Hawks den Youngster wie geplant an Position 16 ziehen konnten, schlugen die Bucks zu. Die waren irgendwie in Besitz der medizinischen Akte gekommen, und darin stand, dass dem Talent noch ein kleiner Wachstumsschub bevorstand. Milwaukee ging ins Risiko – und erntet acht Jahre später die Früchte dieser goldrichtigen Entscheidung. Doch auch Antetokounmpo ist glücklich über den Weg, den er eingeschlagen hat.
„Für mich ist ein Traum wahrgeworden. Nicht nur ich, sondern jeder Basketballer will die NBA-Meisterschaft gewinnen", sagte er im größten Moment seiner Karriere, „aber es mit dem Team zu gewinnen, das dich gedraftet hat, in der Stadt, die dich willkommen hieß, mit der Organisation, die dir so geholfen hat – das bedeutet mir sehr viel." Er habe seinen Teamkollegen, dem Club und der Stadt etwas „zurückzahlen" wollen. Das ist ihm überragend gelungen.
Dabei schien die Saison für Antetokounmpo vor dem großen Finale fast schon gelaufen. Im Eastern Conference Finals gegen die Atlanta Hawks hatte er sich das Knie verletzt, die medizinische Abteilung arbeitete hart an seiner Genesung. Mit Erfolg: Im Finale trumpfte der „Greek Freak" auf, als sei nichts gewesen. Antetokounmpo riss sein Team, das schon auf der Verliererstraße schien, mit beeindruckenden Leistungen mit. In der Crunchtime, wenn es darauf ankommt, war auf den Superstar Verlass. In Spiel vier demoralisierte er die Suns mit einem Monsterblock, der den so wichtigen 2:2-Ausgleich in der Serie brachte. „Da waren so viele Emotionen. Ich habe versucht, diesen Augenblick zu genießen", sagte er über die Szene 84 Sekunden vor dem Ende: „In dem Moment hatte ich das Gefühl, unser Team hat die Kurve bekommen. Es hat sich sehr gut angefühlt."
„Auf einem Level mit Dirk Nowitzki"
Im Spiel darauf sorgte erneut Antetokounmpo mit einer spektakulären Aktion für den siegbringenden Moment: 13,5 Sekunden vor der Schlusssirene nahm er einen Alley-oop-Pass von Jrue Holiday auf und vollendete mit einem krachenden Dunk. Den Ball hatte Holiday zuvor von Suns-Profi Devin Booker stibitzt. „Das war ein großer Steal und Pass", lobte Antetokounmpo, „er hätte auch die Uhr runterlaufen lassen können, aber er vertraute mir." Natürlich vertraute Holiday seinem Teamkollegen – denn der macht die richtigen Dinge zur richtigen Zeit. „Giannis hob ab und wollte den Ball", beschrieb Holiday die Situation, „in diesem Moment habe ich ihn so hoch geworfen, wie ich konnte".
Beim Monsterdunk konnte man wieder mal Antetokounmpos unfassbare Athletik bewundern. Der 2,11-Meter-Riese ist mit seinem muskelbepackten Körper von den Gegenspielern kaum zu stoppen, dazu kommt eine für physisch so starke Spieler seltene Geschmeidigkeit. Antetokounmpos Bewegungen sind bei aller Wucht sehr flüssig, sein Timing herausragend. Und sein Gefühl in den Händen eine Gabe, daher trifft er auch jenseits der Drei-Punkte-Linie. Anders als zum Beispiel LeBron James, der als Flügelspieler auch den Spielaufbau übernahm, kann und muss Antetokounmpo auch sogenannte „Big-Men-Aufgaben" wie das Stellen von Blocks und Rebounding übernehmen. Er ist so etwas wie ein Alleskönner.
Einzig die Freiwurf-Ausbeute ist für einen Mann seiner Klasse, der oft gefoult wird, ausbaufähig. Im Spiel sechs überzeugte er aber auch in dieser Kategorie (17 von 19 verwandelt), was ihn besonders freute: „Ich habe die verdammten Freiwürfe gemacht, und ich bin ein Champion. Ich habe sie gemacht, als ich sie machen musste." Antetokounmpo arbeitet hart an seinen Schwächen, so nahm er zum Beispiel in den vergangenen vier Jahren 23 Kilo an Muskelmasse zu. Zudem verbesserte er seine Fußarbeit und sein Stellungsspiel. „Er lebt in der Halle", sagte jüngst sein Ex-Trainer Jason Kidd. „Er ist, was den Trainingsfleiß angeht, auf einem Level mit Dirk Nowitzki."
Früher, als Giannis Antetokounmpo von einer erfolgreichen und schillernden NBA-Karriere nur träumen konnte, schlief er tatsächlich in der stickigen Halle. So sparte er sich den fünf Kilometer langen Weg nach Hause, den er oft zu Fuß gehen musste. Und so konnte er schon früh morgens trainieren. Er habe alles wirklich getan, damit er und seine Familie ein besseres Leben haben, sagen Wegbegleiter. Nun ist der Grieche mit afrikanischen Wurzeln im Basketball-Olymp angekommen, sein neuer Vertrag macht ihn um 228 Millionen US-Dollar reicher. Eine ganze Stadt, ja eine ganze Liga liegt ihm nun zu Füßen.