In Deutschland hat das Wort „Pflicht" offenbar einen schlechten Klang. Eine Impfpflicht werde es hierzulande nicht geben, beteuern alle führenden Politiker. Nein, das sei keine Option, sagt auch Merkel. Das ist in vielen europäischen Ländern ganz anders.
Dass es so etwas wie eine Impfpflicht in Deutschland nicht gibt, ist nicht so ganz richtig. Denn seit dem Inkrafttreten des Masernschutzgesetzes zum 1. März 2020 gibt es eine Impfpflicht für Kinder bis zum ersten Lebensjahr und für Lehrer, Eltern und Erzieher sowie für medizinisches Personal. Keiner hatte damit ein Problem. Zur gleichen Zeit aber lehnten es alle Verantwortlichen ab, zumindest für Krankenschwestern und Altenpfleger eine Impfung gegen Covid-19 vorzuschreiben.
Wie sieht das in anderen Ländern aus? In Frankreich müssen sich Angestellte in Krankenhäusern und Pflegeheimen bis Mitte September impfen lassen, sonst dürfen sie nicht mehr arbeiten und werden nicht mehr bezahlt. Ein entsprechendes Gesetz hat die Nationalversammlung am Wochenende beschlossen, obwohl Tausende dagegen demonstriert haben. Präsident Emmanuel Macron hat sich zuvor erbost an die Impfgegner, die Freiwilligkeit fordern, gewandt: „Was ist eure Freiheit wert, wenn ihr ihr mir sagt, ‚Ich will nicht geimpft werden‘, ihr aber morgen euren Vater, eure Mutter oder mich infiziert?"
In Griechenland können Impfungen gegen Corona laut Regierungschef Kyriakos Mitsotakis verpflichtend gemacht werden. Dies sei nicht verfassungswidrig, wie Impfgegner immer wieder behaupteten, sagte Mitsotakis. „Der Staat ist berechtigt, von allen Bürgern die Erfüllung ihrer Pflicht zu gesellschaftlicher und nationaler Solidarität zu fordern." So stehe es auch in Artikel 25 der griechischen Verfassung. Im März 2021 wurde die Corona-Impfung als verpflichtend für medizinisches Personal eingeführt.
In Italien verpflichtet ein Gesetz vom 25. Mai 2021 Ärzte und Mitarbeiter des Gesundheitswesens, sich impfen zu lassen. Beim Unterlassen drohen Suspendierung vom Dienst und eine Versetzung in eine Abteilung, die nicht in Kontakt mit Menschen steht oder aber eine unbezahlte Suspendierung vom Dienst.
In England hat die Regierung eine Impfpflicht für Mitarbeiter in Seniorenheimen verkündet. Eine Pflicht, die auch für Friseure und andere Dienstleister sowie freiwillige Helfer gilt. Auf der Insel macht die hochansteckende Delta-Variante inzwischen rund 85 Prozent der Neuinfektionen aus. Die Regierung in London fährt dennoch einen Schlingerkurs. Zwar hat der britische Premier Johnson die Bevölkerung zu Vorsicht und Rücksichtnahme aufgefordert. Auf der anderen Seite fährt Johnson unter dem Druck der öffentlichen Meinung einen rigorosen Öffnungskurs, der sämtliche Lebensbereiche betrifft.
Das spanische Gesundheitsministerium hat sich bislang von einer Impfpflicht distanziert, auch wenn es theoretisch Möglichkeiten gäbe, diese im „Fall von Epidemien" einzuführen. Allerdings ist die Impfbereitschaft auf der Iberischen Halbinsel sehr hoch. Gerade bei Beschäftigten in Krankenhäusern und Gesundheitszentren liegt die Impfquote bei fast 98 Prozent, beim Pflegepersonal bei rund 90 Prozent.
Schon jetzt müssen sich die Kinder in Tschechien verpflichtend gegen neun Krankheiten impfen lassen, darunter Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten, Hepatitis B, Masern, Röteln und Mumps. Kindergärten und Krippen können eine Aufnahme ohne nachgewiesenen Impfschutz ablehnen. Den Eltern droht zudem eine Geldbuße. Eine größere öffentliche Debatte darüber gibt es nicht. Inzwischen denkt die Regierung auch an eine Pflichtimpfung gegen das Corona-virus nach. Ausdrücklich unterstützt hat diese Politik der der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Die tschechische Gesundheitspolitik sei im „besten Interesse" der Kinder, so die Richter.
In Österreich ist auf Bundesebene Impfpflicht kein Thema, aber in den Ländern wird über eine Pflicht für bestimmte Berufsgruppen diskutiert, neben dem Gesundheits- und Pflegepersonal auch für Lehrer- und Erzieher. Dagegen ist in der Schweiz alles freiwillig, eine Pflicht ist nicht vorgesehen, heißt es vom Bundesamt für Gesundheit.
Der Druck auf Ungeimpfte steigt
Ungarn setzt auf eine Impfpflicht fürs Gesundheitspersonal. Für geimpfte Menschen gibt es einen „Sicherheitspass", der bereits nach dem Erhalt der ersten Impfdosis ausgestellt wird. Er wird auch beim Besuch von Restaurants, Schwimmbädern, Bibliotheken und anderen öffentlichen Einrichtungen verlangt. Ungarn hat bereits die generelle Maskenpflicht außer Kraft gesetzt. Einzige Ausnahme: Gesundheitszentren und Krankenhäuser.
Die Niederlande, Belgien und Luxemburg haben keine Impfpflicht, auch Island und Finnland nicht. In Dänemark gibt es wie in Frankreich, Deutschland und Luxemburg einen „Safe" oder „Corona-Pass", der den Besuch von Restaurants, Bars, Theatern, Kinos und Frisörsalons ermöglicht. Die Besucher können auch einen Nachweis über die Genesung oder einen aktuellen, negativen PCR-Test vorlegen.
Schweden und Norwegen setzen auf freiwilliges Impfen. Impfpflicht für alle Arbeitnehmer im Dienstleistungssektor gilt in Russland. Wer in diesem Bereich arbeitet, muss bis 15. August einen Impfnachweis vorlegen. Polen prüft eine Impfpflicht für Risikogruppen. In Bulgarien, Slowenien und Rumänien gilt Freiwilligkeit.
Eine gesetzliche Impfpflicht gibt es in den USA nicht, allerdings wird die Impfkampagne von Unternehmen und Verbänden vorangetrieben. So haben Krankenhausverbände schon Impfpflichten eingeführt.
Auch viele Universitäten haben angekündigt, bei Beginn der Vorlesungen im Herbst nur geimpfte Studenten zuzulassen. Unternehmen machen ebenso Druck. So hat etwa Delta Airlines angekündigt, nur noch Menschen einzustellen, die bereits geimpft sind.
Fazit: In vielen Ländern gilt eine Pflicht, sich impfen zu lassen, für diejenigen Personen, die mit Menschen zu tun haben, die sie anstecken und damit schwer gefährden könnten: Kinder, Alte, Kranke und Verletzte. Wer selbst gefährdet ist, darf andere nicht gefährden. Eine konsequente Impfpflicht für alle gibt es nirgends, selbst im autoritären Russland nicht. Aber durch die Hintertür setzt sich in vielen Ländern doch so etwas wie eine Impfpflicht durch, weil Nichtgeimpfte in Restaurants, Bars oder Theatern ausgeschlossen bleiben oder weil sie berufliche Nachteile befürchten müssen. In Deutschland sprechen sich bereits Kanzleramtschef Helge Braun und Innenminister Horst Seehofer für weniger Rechte für Ungeimpfte aus. Der Druck könnte steigen, und damit eine neue gesellschaftlichen Auseinandersetzung auslösen.