Freiheiten künftiger Generationen müssen auch beim Thema Klimawandel konsequent berücksichtigt werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt und neue Maßstäbe formuliert. Der Experte für Energieumweltrecht, Rainald Enders, zu weitreichenden Folgen und offenen Fragen.
Umweltverbände und Klimaschützer vom WWF bis zu den Fridays for Future waren begeistert. Ein „wahrlich historisches Urteil", so der WWF, hatte das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung als völlig unzulänglich eingestuft. Vor allem, weil es keinen Plan für die Zeit nach 2030 gab. Angesichts der Herausforderungen des Klimaschutzes sei das absehbar freiheitsgefährdend für die jungen und kommenden Generationen. Wenn jetzt nicht konsequenter und energischer gearbeitet werde, müssten ab dem nächsten Jahrzehnt umso drastischere Maßnahmen ergriffen werden. Die Bundesregierung hat bekanntlich in Rekordzeit reagiert und ihr Klimaschutzgesetz deutlich nachgebessert.
Ein erster Schritt. Denn die Karlsruher Entscheidung kann vermutlich sehr viel weitreichendere Konsequenzen in Sachen Generationengerechtigkeit entfalten.
Zumal die Obersten Richter mit Begriffen wie der „intertemporalen Freiheitssicherung" oder einem „Grundrecht auf das ökologische Existenzminimum" Maßstäbe für künftige Diskussionen geprägt haben.
Karlsruhe verlangt Nachbesserungen für mehr Klimaschutz
Maßgeblich entscheidend für das Urteil waren ein älterer Artikel im Grundgesetz, dessen aktuelle Auslegung durch das Verfassungsgericht und ein davon abgeleiteter neuer juristischer Fachbegriff. Der Artikel, auf den sich das Gericht bezieht, ist erst 1994 aufgenommen worden: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung." (Artikel 20a GG). Klingt erst mal sperrig, bedeutet aber nichts anderes als das Staatsziel Umwelt- und Tierschutz. „In der Juristerei führte der Artikel bisher aber eher ein Aschenputtel-Dasein und wurde für Diskussionen zum Thema Grundrechte noch nie so herangezogen. Das liegt auch daran, dass es sich dabei eigentlich um ein Staatsziel handelt und diese normalerweise nicht direkt einklagbar sind", erläutert Rainald Enders, Professor für Energieumweltrecht, insbesondere Recht der erneuerbaren Energien und Recht des Klimaschutzes, am Umwelt-Campus Birkenfeld. „Dass dieses Staatsziel zum Umweltschutz, das auch einen Generationenbezug hat, mit dem Neuansatz der intertemporalen Freiheitssicherung einklagbar ist, war bisher noch nicht anerkannt."
„Intertemporale Freiheitssicherung", der zentrale Begriff in der Urteilsbegründung, beschreibt, was sich das Karlsruher Gericht unter Generationengerechtigkeit vorstellt. Es geht um die Freiheiten, die unsere Verfassung jedem Bürger gewährt, und die auch in Zukunft für jeden Menschen weiter bestehen soll. Genau hier entstand ein Problem mit dem alten Klimaschutzgesetz. Das legte zwar Reduktionsziele für die nächsten Jahre fest, sah aber für den Zeitraum ab 2031 keine Maßnahmen vor. Da viele der Ziele davor außerdem als sehr geringfügig angesehen wurden, forderte Karlsruhe Nachbesserungen. Ohne diese Neuregelungen sahen die Richter die Freiheiten ab 2031 in erhöhter Gefahr, weil ab dann Klimaschutzziel nur mit erheblich größeren Kraftakten zu erreichen, was Handlungsspielräume entsprechend erheblich einschränken würde. Professor Enders: „Das heißt für den Klimaschutz, dass die kommende Generation davor geschützt werden muss, dass die Treibhausgasminderungslast einfach in die Zukunft verlagert wird. Also muss Deutschland den Klimaschutz, den es sich mit dem Übereinkommen von Paris rechtsverbindlich verpflichtet hat, schon jetzt ambitioniert betreiben. Nur so können die Folgegenerationen ihre Freiheiten ohne radikale Einschränkungen oder immer rigider werdende Klimaschutzmaßnahmen ausüben." Das bedeutet für die Politik, das richtige Gleichgewicht zwischen ökologischer und ökonomischer Generationengerechtigkeit zu finden. Bei der Umsetzung ergeben sich aber auch andere Aspekte. Würde man für die Klimaschutzziele massiv Geld in die Hand nehmen und damit einen Schuldenberg auftürmen, würde das auf der anderen Seite auch Freiheitsminderungen für die nächste Generation bedeuten. Wobei gleichzeitig aber klar ist, welche Folgen es hätte, Klimaschutzziele zu missachten oder zu verfehlen.
In der Praxis ist vieles noch unklar
Grundsätzlich sind juristisch drei Ebenen zu unterscheiden: Das Völkerrecht, die europäische und die nationale Ebene. Die 2015 auch von Deutschland unterschriebenen Pariser Klimaziele sind völkerrechtlich nicht sanktionsfähig, also quasi nur eine freiwillige Selbstverpflichtung. Auf der europäischen Ebene sieht das anders aus. Mit dem europäischen Klimagesetz vom Juni dieses Jahres verpflichten sich die EU-Staaten, bis 2050 klimaneutral zu sein. Diese Verpflichtung ist juristisch durchsetzbar, etwa durch Vertragsverletzungsverfahren mit drohenden (Geld-)Strafen, sofern Mitgliedsstaaten die Ziele erheblich verfehlen.
In Deutschland ist in vielen Fällen die juristische Lage offen und umstritten. Könnten beispielsweise mögliche Klimaschäden zu einer Staatshaftung führen? „Ich habe da so meine Zweifel. Wenn wir uns an die Klagen zum Themenfeld Waldsterben aus dem Jahr 1987 erinnern, ist festzustellen, dass der BGH damals eine Staatshaftung verneint hat", so Rainald Enders, „Aber das müssen wir uns jetzt natürlich noch mal genauer ansehen. Vielleicht ist ja durch das aktuelle Postulat des Bundesverfassungsgerichts eine abweichende Sichtweise als damals realistisch."
Ein anderer Aspekt bleibt ebenfalls ungeklärt: Was passiert eigentlich, wenn die aktuellen Klimaschutzmaßnahmen trotz konsequenter Umsetzung nicht den erhofften Erfolg erzielen und der Klimawandel im schlimmsten Fall nicht mehr zu verhindern ist? Das Verfassungsgericht stellt hierzu fest: „Soweit der Klimawandel nicht aufgehalten werden kann oder bereits eingetreten ist", ist „den Gefahren durch positive Schutzmaßnahmen zu begegnen. Diese sind ergänzend erforderlich, um die Gefahren durch die tatsächlich eintretenden Folgen des Klimawandels auf ein verfassungsrechtlich hinnehmbares Maß zu begrenzen." Was das allerdings in der Praxis dann bedeutet, muss erst noch konkret formuliert werden.
Die Bekämpfung des Klimawandels bleibt also auch als juristisches Thema weiter hoch spannend – und das nicht nur in Deutschland. Auch in anderen Ländern gibt es bereits richtungsweisende Klimaschutzurteile, die auch zu weiteren Klagen ermutigt haben, die wohl bis vor einigen Jahren so nicht möglich gewesen wären. So konnten sich in den Niederlanden Kläger gegen den Großkonzern Shell durchsetzen, dem sie vorwarfen, übermäßig Treibhausgase zu produzieren. Dieser muss nun bis 2030 seinen CO2-Ausstoß um 45 Prozent im Vergleich zum Jahr 2019 senken. Auch in Irland hatte eine Klimaschutzklage vor kurzer Zeit ähnlichen Erfolg.