Er war ein junger Mann, als er 1961 den Einstieg ins Musikgeschäft schaffte. Franz Reuther gelangte in den 70er-Jahren als Frank Farian zu weltweiter Berühmtheit. Der Produzent vieler erfolgreicher Acts hat sein Leben der Musik verschrieben. Am 18. Juli feierte er seinen 80. Geburtstag.
Herr Farian, wie geht es Ihnen?
Sehr gut! Aber ich muss gestehen, dass ich Heimweh habe. Meinen kleinen Enkel, den Sohn meiner Tochter Nicole, habe ich seit über einem Jahr nicht mehr gesehen. Ich war ja immer ein schlechter Vater, aber den Jungen will ich aufwachsen sehen. Der Kleine ist ein echter Musikfreak, spielt mit dreieinhalb schon Schlagzeug und Gitarre, das finde ich natürlich toll.
Wie heißt er denn?
Er hat einen echten Berliner Namen: Kalle. Aber ich nenne ihn Kallie, das ist ein bisschen niedlicher. Ich bin total verliebt in ihn! Meine Kinder hab ich ja früher … wie soll ich sagen … die hat man wahrgenommen, und dann machte man seine Arbeit, mit der man ja verheiratet war. Kinder waren Nebensache. Heute ist das nicht mehr so. Im Alter wird alles anders, da wird man etwas weiser.
Sie feiern dieses Jahr nicht nur Ihren 80. Geburtstag, sondern auch 60-jähriges Bühnenjubiläum. Gibt es aus dieser Zeit, in der Sie so viele Erfolge gefeiert haben, eine Sache, auf die Sie ganz besonders stolz sind?
Da fällt mir eigentlich nur die Gesamtsituation ein. Das ist schon eine außergewöhnliche Geschichte. Meine Mutter sagte damals, ich solle Koch werden, dann hätte ich immer etwas zu essen. Also wurde ich Koch, ein leidenschaftlicher und auch ganz guter dazu. Aber dann kam dieser entscheidende Moment für mich, den ich nie vergessen werde: Ich sah eine Rock’n’Roll-Band live, und danach konnte ich einfach nicht mehr kochen. Über Nacht bin ich von dem Hotel in Luxemburg, wo ich gearbeitet hatte, nach Hamburg in den Star Club gefahren, um mir Rock’n’Roll anzusehen. Dann ging’s Schlag auf Schlag, und dieses Gefühl hat mich nie mehr verlassen: Musik ist mein Leben, daran gibt es keinen Zweifel!
Sie haben anfangs im Saarland, dann in Frankfurt produziert, und nun sind Sie bereits seit zehn Jahren im sonnigen Florida. Arbeitet es sich dort anders?
Nein, wir haben in Miami und in Frankfurt genau das gleiche Studio. Das gleiche Mischpult, die gleichen Mikrofone, die gleichen Farben. Alles ist genau gleich. In meinem Studio muss ich mich immer zu Hause fühlen, egal wo es steht.
Fließen in Miami nicht auch Latinoklänge, Sonne, Strand und Meer in Ihre Musik ein?
Ja, doch die Musik in Miami ist natürlich schon ein bisschen anders. In Deutschland ist alles, wie soll ich sagen, vielleicht etwas „Deutsch." Aber ich habe ja immer unterschiedliche Musikrichtungen gemacht und internationale Künstler um mich herumgehabt. Für Rock’n’Roll nehme ich natürlich andere Musiker als für Soul. Das muss alles von den richtigen Musikern gespielt werden, damit es auch richtig klingt.
Was hat Sie eigentlich in die USA verschlagen? Früher soll Amerika Sie eher nicht gelockt haben, weil Europa bessere Lizenzen gezahlt hat.
Da war eine Frau dran schuld, der ist man dann gefolgt. Außerdem bietet Miami eine wunderschöne karibische Szene, tolle Musik, super Wetter. Ich bin ja ein Schönwetterfreak. Ich möchte nirgends leben, wo es nass und kalt ist. Diesen Luxus leiste ich mir.
Meinen Sie, das nasskalte Wetter drückt so sehr auf die Stimmung, dass es Ihre Musik verändern würde?
Nein. „Baby Do You Wanna Bump", der erste Boney M. Hit, hatte ja dieses karibische Soulfeeling, und den habe ich in Deutschland kreiert. Wenn man im Studio sitzt, kann man sich auch schnell an andere Atmosphären gewöhnen.
Boney M., eine Wahnsinnserfolgsstory: Aus dem kleinen Elversberg hinaus in die große weite Welt. Sie wurden die Superstars der Disco-Ära, selbst hinter dem Eisernen Vorhang. Sie waren die ersten Popkünstler aus dem Westen, die in der ehemaligen Sowjetunion öffentlich auftreten durften. Warum blieb Ihnen ein ähnlicher Erfolg in den USA eigentlich versagt?
Es ist ja nicht so, dass uns in den USA keiner kannte. Die amerikanische Rap-Formation Naughty by Nature zum Beispiel haben Boney M. gesampelt und Lady Gaga hat „Poker Face" gemacht.
Lady Gaga klang schon verdächtig nach „Ma-Ma-Ma Ma Baker".
Die haben ja am Anfang sogar meine Stimme benutzt, bis sie gemerkt haben, das wird Ärger geben. Also Boney M. war auch immer ein Thema in den USA. Wir haben dort nie Promotion gemacht, weil ich mich in Deutschland, in Europa wohlgefühlt habe und nicht über den großen Teich fliegen wollte. Ist mir zu gefährlich, acht Stunden in der Luft muss nicht sein. Aber Boney M. war in den Clubs, auf den Dancefloors immer ein absoluter Favorit.
Sie waren der absolute Renner auf den Tanzflächen und sind es auch heute noch.
Stimmt. Dank Internet ist man heute bei Milliarden Menschen bekannt als Produzent, und Boney M. ist auf der ganzen Welt erfolgreich. Man muss also nicht unbedingt nach Amerika um Promotion zu machen. Manchmal ist Erfolg auch machbar ohne große Aktivitäten.
Nach 43 Jahren feiert Ihr Titel „Rasputin" wieder einen Riesenerfolg: Auf dem Internetportal TikTok findet man neun Millionen Videoclips mit über 22 Milliarden Views. Unglaubliche Zahlen!
Das ist richtig, das ist der Wahnsinn! Ich bin selbst überrascht, gerade auch, weil es „Rasputin" ist. Es gibt ja größere Hits von Boney M., zum Beispiel „Daddy Cool". Aber die Leute lieben diese Rasputin Dance Challenge. Es ist eine witzige Geschichte, alle haben Spaß, und ich freue mich darüber.
Ja, die Musik von Frank Farian macht großen Spaß. Das hat 2006 auch das Boney M. Musical mit großem Erfolg im Londoner West End bewiesen. Sollte die Produktion denn nicht auch nach Paris, Shanghai und an den Broadway kommen?
Definitiv. Das ist noch nicht zu Ende. Wir arbeiten gerade an zwei Projekten: einem Kinofilm über Milli Vanilli und einer achtteiligen Serie für Netflix „The Überproducer." Dazu wird es ein neues Musical geben, was nicht viel anders sein wird als das Original. Wenn die Netflix-Serie erst einmal in Amerika läuft, wird sicher auch bald das Musical am Broadway zu sehen sein.
Stichwort Milli Vanilli: Mit der Aberkennung des Grammys 1990 wurde ein Exempel statuiert. 30 Jahre nach dem Skandal gibt es Stimmen, die fordern, dass der Musikpreis an Milli Vanilli zurückgegeben werden sollte.
Nein! Viele Leute sagen, der Frank Farian, als Macher, als Produzent, hätte den Grammy bekommen sollen, dann hätte man ihn auch nicht zurückgeben müssen. Aber die Jungs mussten ihn zurückgegeben und Schluss.
Was hat es mit Ihrem neuen Projekt Frankie & Die Schatten auf sich?
In meinem Leben gibt es eine unvollendete Story: Im Herzen war ich Rock’n’Roller, aber Monty Lüftner, der Big Boss bei Ariola, sagte, englische Musik gäbe es schon tonnenweise, ich müsse deutschen Schlager singen und produzieren. Das Geld war knapp, das Angebot war da, also sagte ich zu. Ich hatte keine andere Möglichkeit, in dem Geschäft Fuß zu fassen. Aber nach ein paar Jahren bekam ich einen neuen Vertrag und man erkannte: Dieser Produzent Frank Farian, der produziert anders als die anderen.
Wie haben Sie sich von anderen Produzenten abgehoben?
Ich hatte eine andere Auffassung davon, wie etwas klingen sollte. Deutsche Schlager wurden damals komplett anders produziert. Und ich hatte eine Rock’n’Roll-Vergangenheit. 1961 habe ich Frankie & Die Schatten gegründet und wir hatten beispielsweise Titel von Buddy Holly im Repertoire. Das war mein Vorleben. Und das haben die Leute nicht realisiert, als ich plötzlich aufgetaucht bin in der Hitparade ab 1969 als Schlagersänger. Dabei war meine Musik Rock’n’Roll und Soul. Und die habe ich anders interpretiert als irgendjemand sonst in Deutschland. Jack White zum Beispiel hat ganz anders gearbeitet als Frank Farian. Da hört man einen deutlichen Unterschied. In meinen Produktionen steckt einfach ein anderes Feeling. Mit meinem ersten karibisch angehauchten Soultitel, „Baby Do You Wanna Bump?", kam ich plötzlich unter dem Namen Boney M. in die Soulcharts in England und Holland. Aber Boney M. war der Schlagerfuzzi Frank Farian, und ich konnte ja nicht als karibischer Soulinterpret auf die Bühne gehen.
Und jetzt ist die Zeit gekommen, Ihre Vergangenheit als Rocker musikalisch aufzuarbeiten?
Ganz genau. Dieses Rock’n’Roll-Vorleben wird jetzt in Form eines Doppel-Albums mit schönen Fotos aufgearbeitet, sodass die Leute wissen: Aha, das waren also seine echten Anfänge. Die early days müssen leben!
Mit den Schatten gehen Sie zurück in die Vergangenheit. Geht es mit der Single „Cherish" in die Zukunft? Den Kool & the Gang-Klassiker haben Sie mit Ihrer Tochter Yanina aufgenommen. Sie hat eine tolle Stimme. Tritt sie in Ihre Fußstapfen?
„Cherish" ist auf dem neuen Album „Boney M. Meets Soul", mit vielen wunderschönen Titeln, wie „Papa Was A Rolling Stone". Die Stimme hat Yanina wohl vom Papa geerbt (lacht). Ich hab’ meine Stimme ja von meiner Mutter geerbt, und Gott sei Dank konnte ich das weitergegeben an meine Tochter. Aber Yanina muss selbst entscheiden, was sie damit macht. Da mische ich mich nicht ein. Momentan studiert sie erst einmal Jura. Ich habe ihr nur gesagt: Vergiss das Singen nicht!
Sie sind ein Bastler und Tüftler, immer am Arbeiten. Gehen Sie dabei eher nach dem Bauchgefühl oder sind Sie ein Kopfmensch?
Ich denke, ich bin ein Bauchmensch. Wenn mir etwas einfällt, dann verfolge ich es. Ob es letztendlich ein Erfolg wird, weiß man nicht, Erfolg kann man ja nicht planen. Aber aus dem Bauch heraus kann man schon ganz gute Sachen machen. Ich denke, das ist ganz wichtig. Man muss die Musik lieben und dann kommt vieles von selbst. Und ich bin natürlich sehr fleißig. Zum Jahresende kommen viele Sachen raus. Ein Rasputin-Album ist in der Mache, ein Frank Farian-Doppelalbum „Early Days". Es ist alles schon fertig produziert. Gerade habe ich eine spanische Version von „Rasputin" fertiggestellt, auch in Spanisch gesungen. Das war eine schöne Herausforderung. Jetzt arbeite ich an einem „Best of Boney M."-Album in Spanisch.
Ein Extra-Bonbon für die Latino Community in Miami?
Nicht nur. Weltweit sprechen mehr Menschen Spanisch als Englisch. Und wir haben eine riesige spanisch sprechende Fangemeinde. Die werden sich freuen, Songs wie „Rasputin", „Rivers of Babylon" und so weiter in ihrer Muttersprache zu hören. Das klingt dann noch musikalischer. Auf dieses Album bin ich sehr stolz und ich freue mich, wenn ich es mit den Fans teilen kann.
Wenn man sich heute in der Medienlandschaft umschaut, sieht man viele Jungstars und Sternchen, die schon mit Anfang 20 ihre Biografie veröffentlichen. Sie haben so viel erlebt, so viel zu erzählen, wann kommt endlich die Frank-Farian-Biografie?
Bald! Momentan konzentriere ich mich auf das Buch zur Netflix-Serie „The Überproducer." Ich erinnere mich an eine Situation, da war ich vier Jahre alt. Es war mitten im Krieg und wir mussten in den Bunker rennen. Meine Tante wollte Pfannkuchen essen, aber da waren keine. Also hat sie unerschrocken gesagt „Ich lauf’ jetzt zurück ins Haus, mach’ Pfannkuchen und bring sie euch rüber." Solche Anekdoten aus der Kindheit, wie ich in Kirn aufgewachsen bin, das wird jetzt alles aufgeschrieben. Oder meine erste Gage als Zwölfjähriger, wie der Pfarrer mir für „Der Mond ist aufgegangen" einen Groschen in die Hand gedrückt hat. Ich war so stolz, das hab ich nie vergessen.
Fühlen Sie sich eigentlich wie 80?
Nein, höchstens wie 65! Ich bin voller Tatendrang. Ich bin umgeben von jungen Menschen, arbeite jeden Tag von 9 bis 19 Uhr. Musik hält jung!
Was wünscht sich so ein Überproduzent wie Sie zum Geburtstag?
Ich wünsche mir nur, dass ich Kallie aufwachsen sehe, dass meine Familie gesund ist, dass ich gesund bleibe und meine Musik machen kann. Das ist alles.