Rund 500 Filme wurden für das diesjährige Bundesfestival junger Film „filmreif!" eingereicht, doch nur die besten schaffen es in den Wettbewerb. Filme, die bewegen und umdenken lassen.
Mit den Gedanken ist das so eine Sache. Eine schöne Gedankenwelt dient als Quelle für Inspiration. Sie beflügelt, motiviert und bietet einen Ausweg aus der oft so trist erscheinenden Realität. Doch was passiert, wenn die Gedanken plötzlich abdriften? Wenn die Vorstellungskraft zur Qual wird, die sich nicht mehr einfach so abschütteln lässt, und die Grenze zwischen dem Gedachten und der Fantasie immer weiter verblasst? Diesem Thema widmet die HBK Saar-Absolventin Katharina Schacke ihre Bachelorarbeit und erzählt in einem 22-minütigen Kurzfilm – welcher gleichzeitig auch ihr Debütfilm ist – die Geschichte von A. und seiner psychischen Erkrankung, die in Form von Zwangsgedanken auftritt.
„Durch die langjährige Freundschaft zu meinem Protagonisten habe ich seine Leiden teilweise miterlebt und auf diesem Weg bereits viel über die Krankheit erfahren", schreibt sie im Regiekommentar zu ihrem Dokumentarfilm „Undenkbar", der beim Bundesfestival junger Film „filmreif!" auf einer Kinoleinwand in St. Ingbert zu sehen sein wird. Im Gegensatz zu seinen Altersgenossen kann sich A. nicht richtig von seiner Vorstellungskraft lösen. Vielmehr werden seine Überlegungen immer zwanghafter. bis A. die Kontrolle und schließlich auch den Bezug zu sich selbst verliert. „Er zögerte nicht und sagte mir sofort zu, als ich ihn fragte, ob er sich vorstellen könnte, mit mir diesen Film zu realisieren", schildert die junge Regisseurin die Zusammenarbeit. „Ihm war es genauso wichtig wie mir, auf dieses Thema aufmerksam zu machen. Denn wäre er sich früher über das Krankheitsbild im Klaren gewesen, hätte er schneller Hilfe erhalten können. Ich habe großen Respekt vor dem Vertrauen, das er mir gab. So erhielt ich einen sehr intimen Einblick, der es mir ermöglichte, eine greifbare, emotionale Ebene für einen Film zu schaffen."
Dieses Jahr gibt es viele Dokumentarfilme
Dabei bleibt „Undenkbar" natürlich nicht die einzige Dokumentation, die es zum größten Bundesfestival für junge Filmmacher unter 29 Jahren geschafft hat. „Vor allem in diesem Jahr wurden sehr viele Dokumentarfilme eingereicht", weiß der Gründer von „filmreif!", Jörn Michaely. Und die hätten es in sich: Von der Erzählung eines Mannes, der Kinder missbraucht hat, über Einblicke in ganz persönliche Krankheitsverläufe bis hin zu einem Kurzfilm über einen Menschen, der aus Geldnot eines seiner Organe verkaufen musste. „Also alles sehr heftige Themen, die bewegen, umdenken lassen, die ans Eingemachte gehen und tief in die Psyche eindringen", kommentiert Michaely das Programm des diesjährigen Festivals.
Auch das 13-minütige Kurzfilmdrama „Das abstürzende Luftschiff" von Regisseur Ivan Dubrovin regt zum Nachdenken an. Die dystopische Erzählung handelt von einem in sich geschlossenen Mikrokosmos in Form eines in der Atmosphäre gleitenden Luftschiffs, das immer tiefer absinkt und aufzuschlagen droht. Mit diesem vor allem visuell sehr aufwendig gestalteten Kurzfilm schafft der in Münster geborene Regisseur eine perfekte Metapher für die Klimakrise und den damit verbundenen Problemen und Herausforderungen, vor denen die Gesellschaft aktuell steht. Wird die junge weibliche Protagonistin es schaffen, den Bürgermeister der 400 Einwohner kleinen Stadt zu überzeugen, sich vom Ballast zu trennen, um ihre Luftschiff-Welt zu retten? Oder hängen die Entscheider der fiktiven Stadt zu sehr an ihren Luxussymbolen und lassen das gleitende Schiff untergehen?
Besondere Zugänge schaffen
Der achtminütige Animationsfilm „Jeijay" von Petra Stipetić und Maren Wiese ist dagegen viel fröhlicher. Auch, wenn das Thema des Kurzfilms alles andere als einfach ist. „Jeijay" beginnt nämlich dort, wo die meisten Liebesfilme enden. Dabei handelt die Geschichte von zwei Personen, die den langsamen, aber unaufhaltsamen Verfall ihrer Beziehung zu verdrängen versuchen. Doch mit der Isolation in ihrer kleinen Wohnung, bröckelt auch die Fassade ihres glücklichen Liebeslebens immer mehr. „Die Geschichte entstand aus einem autobiografischen Kontext heraus", kommentieren die beiden Regisseure das liebevoll animierte Werk. „Obwohl es sich nicht um eine Adaption eines bestimmten Erlebnisses handelt, waren wir inspiriert von eigenen Erfahrungen und Geschichten aus unserem Freundeskreis. Die Frage um die Bedeutung der klassischen Zweisamkeit in der heutigen Zeit beschäftigt uns immer wieder, in unseren Beziehungen und unserem Alltag. Wir leben in einem Zeitalter der digitalen Partnersuche und der Selbstoptimierung. Obwohl das Internet die Partnersuche immer mehr erleichtert und öffnet, waren noch nie so viele Menschen Single in Deutschland wie heute. Alle streben nach Selbstverwirklichung, das Sexleben und die Beziehungsstrukturen verändern sich." Dabei leiten die beiden Regisseure die Zuschauer durch die Erzählung lediglich mithilfe von Mimik und Gestik ihrer animierten Protagonisten und verzichten damit gänzlich auf die Sprache, was den Kurzfilm noch ausdrucksstarker und persönlicher macht. „Das sind auch unsere wichtigsten Kriterien bei der Auswahl der Filme, die anschließend im Bundesfilmfestival gezeigt werden", weiß Michaely. Filme, die was wagen und Themen auf eine ganz neue Art und Weise präsentieren, „die besondere Zugänge schaffen und damit die Zuschauer berühren können, wenn dieser Spagat gelingt, dann landet man einen Jackpot, den wir natürlich sehr gerne in unserem Festival aufnehmen und mit dem Filmpublikum teilen."