Auf den am Äquator gelegenen Galapagosinseln im Pazifik leben die Tiere ganz ohne Scheu. Sehr nahe können Menschen an sie heran – mitten in der Natur. Während der Corona-Pause hat sich das Paradies erholt.
Wie alt bist du denn, mein Fräulein?" fragt sogleich eine Besucherin, doch die Angesprochene stört diese Neugier keineswegs. Sie ist eine Riesenschildkröte, hat die Ruhe weg und lebt auf Santa Cruz, der wichtigsten Insel des Galapagos-Archipels.
Ist sie überhaupt eine Dame? Ein Experte blickt auf ihr Hinterteil. „Die männlichen Tiere haben ein deutlich längeres Schwänzchen als die weiblichen. Diese Riesenschildkröte ist eine recht junge Dame", erklärt er und weist auf den noch deutlich gemusterten Panzer. Sogar der Name Galapagos stammt vom Panzer einiger Riesenschildkröten-Arten.
Die Vielfalt ist faszinierend. Auf jeder der 13 größeren und zahlreichen kleineren Inseln gibt es unterschiedliche und weltweit einmalige (endemische) Tier- und Pflanzenarten. Im Laufe der Zeit haben sie sich den jeweiligen Lebensbedingungen angepasst.
Vor rund drei Millionen Jahren begann das Leben auf den Galapagosinseln. Pflanzensamen gerieten durch Wind und Wasser dorthin, Insekten im Gefieder von Vögeln. Säugetiere sind vermutlich auf Treibholz mit der Strömung auf die Inseln gelangt.
Der Forscher Charles Darwin, der 1835 mit dem Schiff „Beagle" auf San Cristóbal landete, war sehr bald „erstaunt über die Menge der Schöpfungskraft, die sich auf diesen kleinen, kargen und felsigen Inseln offenbart." Auf den auf Galapagos gewonnenen Erkenntnissen basiert seine Evolutionstheorie und sein berühmtes Werk „Die Entstehung der Arten".
Darwin begeisterte sich sofort für die Riesenschildkröten genau wie die Piraten, jene aber aus einem ganz anderen Grund. Da Riesenschildkröten wochenlang ohne Wasser und Nahrung auskommen können, nahmen die Seeräuber die Tiere als lebende Konserven mit an Bord, was ihre Zahl stark dezimierte.
Doch seit 1959 sind die Galapagosinseln Nationalpark und außerdem ein Unesco-Weltnaturerbe. Der Schutz von Flora und Fauna steht seither obenan. 1964 wurde die Charles-Darwin-Forschungsstation in Puerto Ayora auf der Insel Santa Cruz gegründet, gerade noch rechtzeitig, um die Riesenschildkröten vor dem Aussterben zu bewahren.
Helferinnen und Helfer sammeln nun die Eier in der Natur ein, legen sie in Brutkästen und pflegen die geschlüpften Tiere. Auf Isabela und San Cristóbal geschieht Ähnliches. Wenn die Riesenschildkröten vier Jahre alt sind, werden sie in die Natur entlassen. Schon mehr als 7.000 Tiere wurden erfolgreich ausgewildert.
Auf natürliche Weise schaffte jedoch der äußerst potente Schildkrötenmann Diego die Rettung seiner Art. Seit 1979 zeugte er in der Zuchtstation auf Santa Cruz etwa 800 Nachkommen. Im Juni 2020 wurde der circa Hundertjährige auf seine Heimatinsel Española zurückgebracht.
Schnorcheln zwischen bunten Fischen
Was wird er nun tun? „Riesenschildkröten können bis 200 Jahre alt werden. Sie paaren sich erst mit 60 bis 80 Jahren. Ein Hundertjähriger ist also noch ein Mann im besten Alter", weiß der Experte. Auf alle Fälle haben die Riesenschildkröten besten Appetit, auch das angesprochene „Fräulein". Alle schnabulieren, Kräuter und Guaven-Reste hängen um ihre Mäuler.
Auf jeder der Inseln lässt sich viel Überraschendes erleben, sei es im Wasser oder beim Wandern auf den angelegten Wegenetzen, die man nicht verlassen sollte. Als Vulkan-Schönheit zeigt sich Bartolomé. Auch wenn die Sonne brennt – den Berg hinauf über Stufen zum Aussichtspunkt ist ein Muss.
Aus 114 Metern Höhe bietet sich nun eine Farbsinfonie sondergleichen: pechschwarze und rostrote Lava, grelles Grün, heller Sand und das blaue Meer mit der Felsnadel Pinnacle Rock. Gegenüber in der Sullivan Bay lässt es sich zwischen bunten Doktor- und Papageienfischen herrlich schnorcheln. Tauch-Fans erzählen von Mondfischen, Barracuda-Schwärmen und Rochen, konnten Dutzende Hammer- und Weißspitzenriffhaie beobachten. Auch die tun den Tauchenden nichts zuleide. Im auffällig klaren Wasser konnten sie alles bestens sehen.
Die Tauchlehrerinnen bestätigen diesen Eindruck, eine positive Folge des mehrmonatigen Lockdowns im Vorjahr. Nach rund 270.000 Gästen 2019 war plötzlich Pause. Die Bevölkerung musste darben, doch das Paradies konnte sich erholen. Den Tieren und Pflanzen hat diese Auszeit, die im August 2020 endete, ebenfalls gutgetan. Bisher kommen jedoch recht wenige Besucherinnen und Besucher.
Noch zutraulicher als bisher schon zeigen sich die Vögel auf der Insel Isabela und dem unbesiedelten Eiland Genovesa. Nur einen Meter entfernt hat ein Rotfußtölpel in einem Busch sein Nest gebaut. Neugierig schaut er die leise näher tretende Besucherin an. Unter seinem bräunlichen Federkleid lugt ein wattiges Küken hervor. Ein Stück weiter sitzt solch ein weißes Wollknäuel auf den roten Füßen der Mama.
Rot ist ohnehin beliebt. Bei den zierlichen Gabelschwanzmöwen passt das „Augen-Make-up", ein roter Ring auf schwarzen Federn, perfekt zu den roten Füßen. Ein Fregattvogel im Gesträuch treibt es noch toller. Rund 20 Minuten dauert es, bis er seinen leuchtend roten Kehlsack voll aufgeblasen hat, um den Weibchen in der Paarungszeit zu
imponieren.
Flirt vom Feinsten bieten dagegen die Blaufußtölpel auf Española. Einige kreuzen verliebt die Schnäbel, andere schauen im Duett ins Weite oder zeigen einander neckisch die kalte Schulter.
Leguane findet man auf der Insel Plaza Sur
Die schwarz-weißen Nazcatölpel, die schlicht auf dem Boden brüten, leben auf mehreren Inseln. Zwei Eier legt die Vogelfrau, doch nur ein Küken wird großgezogen. Putzmunter hüpft gerade ein frisch geschlüpftes noch splitternackt umher.
Paradiesisch wirkt auch so mancher Strand, der oft nur den Seelöwen und den Kurzzeit-Besuchern gehört. Die Jungtiere schmusen oder dösen. Die Großen schauen zumeist gelassen auf den Strand oder neugierig auf den blauen Pazifik.
Manche Seelöwen sonnen sich gern auf Bänken, und ein kesser Kleiner, Leo genannt, watschelt neuerdings durch die Casa Rosada auf Isabela, um sich gute Happen abzuholen. Diese gibt’s frisch gefangen in den Restaurants. Roter Thunfisch, Hummer und Garnelen direkt aus dem Meer begeistern die Gäste.
Die Leguane haben sich vor allem die winzige Insel Plaza Sur zur Heimat erkoren. Die Meeresleguane sind in der Paarungszeit rot mit grünen Kämmen, die Landleguane wirken beim Hautwechsel bunt und zerlumpt. Zu Hunderten kriechen sie umher, doch keine Bange. Sie sind Vegetarier und scheinen ständig fröhlich zu grinsen. Kein Wunder – sie leben nach wie vor in einem Paradies.