Das Herz der hochautomatisierten neuen Halbleiterfabrik von Bosch in Dresden ist 10.000 Quadratmeter groß. Es ist der Reinraum, in dem sogenannte Roh-Wafer mit Halbleiterchips bestückt werden. Ein Wafer ist mit 60 Mikrometern dünner als ein Haar und sehr empfindlich. Wir sind beim virtuellen Rundgang dabei.
Mit einem halben Jahr Vorsprung gegenüber dem Plan wurde die AIoT-Fabrik Mitte Juni hochgefahren. Mit einer Milliarde Euro ist sie die höchste Einzelinvestition, die Bosch in seiner 135-jährigen Geschichte geleistet hat. Als einziger Automobilzulieferer beschäftigt sich das Unternehmen aus Stuttgart seit den 1950er-Jahren mit Mikroelektronik.
Eine Eröffnungszeremonie mit Rundgang ist der offizielle Start des „Showcases", wie die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Margrethe Vestager, diese Unterstützung der Halbleiterfertigung „im gemeinsamen Interesse Europas" nennt. Schließlich will die Europäische Union ihren Anteil an der weltweiten Chipproduktion bis 2030 auf 20 Prozent steigern, unabhängiger von Asien und den USA werden und sich in Sachen Hightech nicht abhängen lassen. Das IPCEI-Förderinstrument (Important Project of Common European Interest) der EU nutzen auch andere, wie Zeiss, Osram, Infineon, Globalfoundries. Mit 200 Millionen Euro darf die Waferfab wegen des „Common Interest" vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert werden, sie soll „made in Germany" mit neu definieren.
Mikroelektronik ist mehr als ein Steckenpferd des weltgrößten Automobilzulieferers, weil für die mittlerweile mehr als 1.000 Chips in modernen Autos das Wissen um Chips und Systeme ineinanderfließen muss. Weil diese winzigen Bauteile in der Unfallvermeidung, in der Fahrunterstützung bis hin zum Autonomen Fahren mit Künstlicher Intelligenz viel können, noch mehr aushalten und besonders widerstandsfähig sein müssen. Weil etwa die Frage, wieweit die nächste Ladesäule entfernt sein darf, auch von den Silizium-Karbid-Chips abhängt, die Bosch in der Leistungselektronik einsetzt, um die Reichweite von Elektroautos zu vergrößern.
Chips für Fahrzeuge sind Königsdisziplin
Erhebungen des Elektronikverbandes ZVEI zufolge, machte noch 1998 der Wert der Mikroelektronik in einem Neuwagen nur 120 Euro aus. Bis 2018 wuchs dieser Wert auf 500 Euro, und 2023 könnte er 600 Euro übertreffen. Bosch integriert seine Chips aus „Silicon Saxony" und Halbleiter für Automotive aus Reutlingen vor allem in eigenen Produkten. Kein Wunder also, dass 2016 weltweit jedes Neufahrzeug durchschnittlich etwa neun Chips von Bosch verbaut hatte. Beispielsweise im Airbag-Steuergerät, im Bremssystem oder im Parkassistenten. Bei der jüngsten Zählung 2019 hatte sich die Menge auf 17 Chips gesteigert. Experten rechnen mit den größten Zuwächsen für Halbleiter bei Fahrerassistenzsystemen, im Infotainment sowie in der Elektrifizierung des Antriebs.
„Halbleiter sind Bausteine des Fortschritts. Elektronische Komponenten, die mit den Chips aus Dresden ausgestattet sind, ermöglichen Anwendungen wie automatisiertes und ressourcenschonendes Fahren sowie bestmöglichen Insassenschutz", beschreibt Harald Kröger, Vorstand bei Bosch, die Mission von Steuergeräten, die mit massenhaft, vollautomatisch gefertigten Halbleitern ausgestattet sind.
Das originär schwäbische Unternehmen, das weltweit rund 400.000 Mitarbeiter hat, setzt auf Volumen: Doppelt so groß wie im Schwester-Halbleiterwerk in Reutlingen ist die Fläche des Reinraums in Dresden, für den sich Eintretende in komplett staubfreie Anzüge umkleiden müssen. Grund: Die sogenannten Roh-Wafer sind mit künftig 60 Mikrometern dünner als ein Haar und sehr empfindlich. Schmutz wäre fatal: Bei einem extra großen Durchmesser von 300 Millimetern entstehen auf Roh-Wafern in bis zu 700 Fertigungsschritten etwa 31.000 Halbleiterchips, je nach Größe, Ausgestaltung und späterem Einsatzgebiet der Mikrochips.
Im Reinraum ist der Verkehr belebt: Wochenlang fahren jeweils bis zu 25 Wafer in einer Transportbox die 100 Anlage-Stationen vollautomatisch ab. Dabei werden auf die Wafer winzige Strukturen mit der Tiefe und Breite von Bruchteilen eines Mikrometers aufgebracht. Ohne manuelle Eingriffe in die Beförderung fertigt Bosch so Leistungshalbleiter, die später beispielsweise in Gleichspannungs-Wandlern in Elektro- und Hybridfahrzeugen zum Einsatz kommen. Auf aufwendigeren Siliziumchips, die nur wenige Quadratmillimeter groß sind, verbergen sich komplexe Schaltungen mit bis zu mehreren Millionen elektronischen Einzelfunktionen. Als anwendungsspezifische, integrierte Schaltungen (ASIC) verarbeiten sie die Informationen von Sensoren und stoßen weitere Aktionen an.
Sie veranlassen beispielsweise Airbags dazu, bei abruptem Aufprall in Bruchteilen von Sekunden auszulösen. Hier geht es um Sicherheit, nicht um Minimalismus. „Wir sind nicht im Nanometer-Rennen. Chips im Automotive müssen viel höhere Ströme und Spannungen aushalten. Das geht physikalisch gar nicht mit diesen kleinen Strukturbreiten. Daher dürfen Sie die Modernheit der Fabrik nicht in Nanometer bewerten", sagt Dr. Volkmar Denner, Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH.
Die Welt hungert nach Mikrochips
Zuverlässig müssen diese Halbleiter funktionieren. Egal, ob es um Umwelt oder Unfallvermeidung geht. Deshalb muss bei Entwicklung und Fertigung alles passen. „Chips für Fahrzeuge sind die Königsdisziplin der Halbleitertechnik. Denn im Auto müssen die kleinen Bausteine besonders widerstandsfähig sein", erklärt Kröger. Bei starken Vibrationen, bei Temperaturschwankungen, mal weit unter dem Gefrierpunkt, mal weit über dem Siedepunkt von Wasser, was auch immer ein Fahrzeug erlebt: Es darf keine Ausfälle der Chips geben.
Hinzu kommt die Künstliche Intelligenz, die Produktion und Serienstarts in der smarten Fabrik beschleunigen sowie die Qualität erhöhen soll. Bosch-Chef Denner beschreibt das vor seinen virtuellen Gästen so: „Halbleiter sind die Muskeln, die Sinnesorgane und das Gehirn im Internet der Dinge. KI-Algorithmen erfassen kleinste Fehler und jede minimale Abweichung. Sie sind präziser als das Auge und schneller als der Verstand."
Die Maschinen arbeiten nicht nur selbstständig, sondern lernen über die Echtzeit-Analyse riesiger Datenmengen mithilfe der KI – englisch: „AI" – aus ihren Fehlern, um immer schneller, immer bessere Chips zu produzieren. Denner: „Bei Bosch gehen wir den nächsten Schritt: Wir verbinden das Internet der Dinge mit Künstlicher Intelligenz – wir sprechen von AIoT. Aus Daten entsteht Wissen. In Dresden eröffnen wir unsere erste AIoT-Fabrik: vollvernetzt, datengesteuert, selbstoptimiert."
Das heißt, die komplette Automation und der Aufbau einer modernen Infrastruktur stehen in dieser AIoT-Fabrik im Vordergrund. „Hier gehen natürliche und Künstliche Intelligenz mit dem Internet der Dinge eine produktive Symbiose ein. Hier zeigt sich, wir können Hightech, wir können Innovation. Damit können wir zuversichtlich in die Zukunft blicken", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel, die zur Eröffnungszeremonie und im Reinraum virtuell zugeschaltet war.
Die Welt ist hungrig nach Mikrochips. Allein in diesem Jahr soll der Markt für Halbleiter um elf Prozent wachsen, auf mehr als 400 Milliarden Euro. Ohne Mikrochips geht in Autos und in sehr vielen Alltags- und Hochtechnologie-Produkten sowie in smart aufgebauten Produktionsstätten im Digitalisierungszeitalter nichts mehr – weshalb Bänder in der Fahrzeugindustrie stillstehen, wenn Halbleiter-Lieferungen infolge von unterschätzter Nachfrage, Naturkatastrophen und Pandemie stocken.
Bildschirme, Tablets, Grafikkarten und andere IT-Hardware werden teurer, wenn ihre kleinsten Bauteile in zu geringen Mengen produziert werden, im Bitcoin-Mining aufgekauft werden, zuzuliefernde Komponenten fehlen oder die Container aus Asien seltener Nachschub bringen. „Die Halbleiter-Industrie ist verwoben", betont Denner. Auch im Fertigungsverbund von Bosch würden über den Bedarf an Halbleitern für eigene Produkte hinaus Micro-Electro-Mechanical Systems (MEMS) für Smartphones und Unterhaltungselektronik gefertigt, die weltweit verbaut werden, während Bosch wiederum einzelne, spezielle Komponentenchips ankauft.
Pro Wafer 700 Fertigunggsschritte
Ingenieure werden für Mikroelektronik, Infrastruktur-Aufbau, Prozesse und Maintenance von Maschinen in vernetzten Hightech-Fabriken gebraucht, wobei digitale Lösungen stets dabei sind. Als während der Pandemie Experten etwa vom geeigneten Fördersystem in Japan nicht vor Ort sein konnten, leiteten sie die Mitarbeiter in Dresden mithilfe von Datenbrillen und Augmented Reality an. Distanzen wurden so in Echtzeit überwunden, Blicke über die Schulter aus Tausenden von Kilometern Entfernung via Videokamera-Bildern in der Datenbrille möglich.
„Für die Automobilindustrie haben wir den Produktionsstart um ein Vierteljahr vorgezogen, von Dezember auf September", berichtet Denner. Die AIoT macht’s möglich. „KI-Algorithmen detektieren Prozess-Anomalien aus täglich Abermillionen Daten – und sie optimieren die komplexe Reihenfolge von bis zu 700 Produktionsschritten für jeden Wafer", erklärt der Vorstandsvorsitzende. Bosch könne in seiner vollvernetzten Fabrik mit den Methoden Künstlicher Intelligenz frühzeitig eine hohe Prozess-Stabilität garantieren. „Dies erspart unseren Kunden in der Automobilindustrie aufwendige Erprobungen, wie sie sonst zur Freigabe einer neuen Fertigung notwendig sind. Wir können also nicht nur früher produzieren, sondern zuverlässig auch früher liefern."
Die Maschinen verständigen sich bei der AIoT-Halbleiterfertigung direkt und live über Daten, damit Fehler gar nicht erst entstehen. „Wir arbeiten mit selbstoptimierenden Algorithmen, die uns dabei helfen, aus einer Ableitung der Prozessdaten die Prozessparameter anzupassen und gute Erzeugnisse in hoher Qualität in schneller Abfolge zu bekommen", erläutert „Mr. Reinraum".
Ein „Paradebeispiel für die Fabrik der Zukunft, die Chips vor allem für die Mobilität der Zukunft liefern wird", nennt Merkel die AIoT-Waferfab. „Früher war es das Öl. Jetzt ist ohne Halbleiter Mobilität nicht denkbar", bilanziert die scheidende Bundeskanzlerin und Physikerin ihre Begegnung mit dem smarten Reinraum.