Nur 15 Kilometer von der Landeshauptstadt liegt in einer anmutigen Parklandschaft das imposante Schloss Wiligrad. Ende des 19. Jahrhunderts von einem Herzog errichtet, durchlebte es eine wechselvolle Geschichte.
Wer Schwerin, den zwischen Seen und Wäldern gelegenen Regierungssitz von Mecklenburg-Vorpommern, besucht, kommt an dem Wahrzeichen der beschaulichen, entschleunigten Stadt nicht vorbei. Dieses scheinbar verwunschene Schloss, das mit seinen vielen Türmen weithin sichtbare Baudenkmal, liegt auf einer flachen Insel im Süden des Schweriner Sees. Es ziert Ansichtskarten und Kalender, bildet eine Bühne für Open-Air-Kultur und Promi-Paraden und so pilgert nicht nur der Tourist selbstverständlich an diesen beeindruckenden Ort, der ideale Kulisse für jedes Handyfoto ist. Wem es nur um den Hochglanzhintergrund geht, für den wird die Grenze zu Disney World mitunter fließend. Mitunter scheint es, als ginge es beim Reisen gar nicht mehr um das eigentliche Ziel, sondern nur noch um ein passendes Ambiente für den Smartphone-Beweis „Ich war hier". Wie so oft lohnt es sich jedoch, die touristischen Trampelpfade zu verlassen, um andere, weniger bekannte Sehenswürdigkeiten zu entdecken. Kaum Gedränge, weniger Selfies.
Nur 15 Kilometer nördlich vom Zentrum der Landeshauptstadt, unweit des kleinen Ortes Lübstorf gelegen, führt durch dichten Forst eine schmale Straße zu einer anmutigen Parklandschaft. Sie endet an dem einzigen Steilufer des Schweriner Außensees. Hier am Rand, nur einen Steinwurf entfernt von der beeindruckend weiträumigen Wasserfläche, liegt, eingebettet in große Waldungen, das Schloss Wiligrad mit seinen Nebengebäuden. Im Vergleich zu dem berühmten Schweriner Schloss erscheint das Ensemble gewiss bescheiden, die Bezeichnung „Schloss" ein wenig zu pompös – dafür aber ist Wiligrad der jüngste Schlossbau Mecklenburgs, der in direkter Verbindung zur ältesten Geschichte des Landes gesehen werden will. Die Namensgebung sollte ganz bewusst an eine Herrschaftstradition erinnern, die mit der Unterwerfung der einst ansässigen Slawen begann. „Wiligrad" ist ein Wort slawischen Ursprungs, gleichbedeutend mit „Große Burg". Der Bauherr Herzog Johann Albrecht zu Mecklenburg, der das Schloss vom hannoverschen Architekten Albrecht Haupt entwerfen und zwischen 1896 und 1898 errichten ließ, wollte es so.
Ein standesgemäßer Familiensitz
Dem Herzog schwebte ein standesgemäßer Familiensitz vor, sein ganz persönlicher Geschmack prägte die Ausgestaltung der Fassaden, die Struktur und die Innenausstattung des beeindruckenden Bauwerks. Die Fassaden am Haupthaus sind mit auffälligen, rotbraunen Terrakottaplatten im Stil des 16. Jahrhunderts versehen, Anleihen aus der norditalienischen und flandrischen Renaissance; die Baustruktur ist der Architektur englischer Herrenhäuser entlehnt, die Herrschafts- und Wirtschaftsflügel strikt voneinander trennt, die Technik auf dem neuesten Stand. Schloss Wiligrad verfügte über eine Zentralheizung, elektrisches Licht, einen Aufzug und sogar über eine Sprinkleranlage, die benötigte Energie wurde gespeist aus einem angrenzenden Maschinenhaus.
Vor allem aber zeigt die pompöse Innenarchitektur und Ausstattung, wes Geistes Kind der Bauherr war. Es ist der Prunk der Macht, der offizielle Geschmack des wilhelminischen Kaiserreichs, der den Besucher beeindrucken will. Über die wuchtige Treppe gelangt man zur U-förmig umlaufenden Galerie, die durch Rundbögen und Pilaster gegliedert wird. Herrschaftlich die Bibliothek, weiträumig der Salon mit Blick auf den 30 Meter tiefer liegenden See, alles gefügt zu einer Atmosphäre ordnender Herrschaft und Erhabenheit. Kein Wunder, dass Wiligrad bis zum Tod des Herzogs im Jahr 1920 zu einem Treffpunkt der wilhelminischen Oberschicht wurde, beliebt bei Mitgliedern des Hochadels und der Staatsmacht. Als Präsident der Deutschen Kolonialgesellschaft lud Johann Albrecht allzu gern politische Entscheidungsträger in sein Schloss. Er war ein flammender Unterstützer der expansiven Außen- und Militärpolitik von Kaiser Wilhelm II., auch ihm ging es um die Aufteilung der Welt zugunsten des Reiches. Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges und der Abschaffung der Monarchie gingen die deutschen Kolonien jedoch verloren und es hatte vorerst ein Ende mit dem „deutschen Wesen, an dem die Welt genesen" sollte. Vielleicht nicht ganz. Denn in den unteren Räumen des Schlosses wurde ab 1921 ein Museum eingerichtet, in dem zahlreiche Mitbringsel gezeigt wurden, die der Herzog in seinen besseren Zeiten von seinen Reisen in die deutschen Kolonien mitgebracht hatte.
Ab Mai 1945 (die herzogliche Familie setzte sich zum Kriegsende in Richtung Schleswig-Holstein ab) diente das Schloss als Hauptquartier der 15. Schottischen Division und auf Wiligrad verhandelten im Juni die britischen und sowjetischen Besatzungsmächte über den künftigen Grenzverlauf zwischen Mecklenburg und Schleswig-Holstein. Geschichte hautnah. Ein bisschen Symbolpolitik dann auch: Im Herbst des gleichen Jahres richtete die sowjetische Verwaltung im Schloss ein Typhuslazarett ein, bis 1948 die neuen Machthaber die Schutzpolizei der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern einquartierten. Es folgte eine Parteischule der SED, ab 1952 nahm die Bezirkspolizeibehörde Schwerin das Anwesen in Beschlag. Natürlich mussten dann erst einmal zwei Munitionsbunker und eine Schießanlage gebaut werden und dafür Bäume und Rhododendronbüsche gerodet werden. Große Teile des Parks wurden so verwüstet.
Exotische Bäume im Garten
Nach der Wende und der Übernahme des ganzen Anwesens durch das Land wurde der Weg endlich frei für eine weitaus sinnvollere, zivile und künstlerische Nutzung, von der die Menschen der Region und auswärtige Besucher heute profitieren. In die restaurierten Räumlichkeiten zogen das Landesamt für Bodendenkmalpflege sowie der Kunstverein Wiligrad ein, der sich seit nunmehr 30 Jahren mit über 220 Ausstellungen zu einem viel beachtetem Forum vor allem für zeitgenössische Kunst entwickelt hat – Künstler, Ehrenamtliche, engagierte Bürger und Förderer haben dies ermöglicht. Neben ständig wechselnden Ausstellungsprojekten lohnt sich ein Besuch des Art Shops, in dem unter anderem Skulpturen, Schmuck und Keramik erworben werden können. Alles andere also als ein touristischer Ramschladen. Lesungen und musikalische Veranstaltungen in dem besonderen Schlossambiente runden das kulturelle Angebot ab.
Doch wer sich nur auf einen Besuch des Schlosses konzentriert, versäumt eine der anmutigsten Landschaftsanlagen im Raum Schwerin. Vielleicht ist sie sogar sehenswerter als das Schloss selbst. Denn zeitgleich zum Bau des Schlosses und der Nebengebäude wie Maschinenhaus und Wagenremise ließ Herzog Johann Albrecht den „Großherzoglichen Haushaltsforst" zu einem naturnahen Park umgestalten. Vom Schloss aus geht der weite Blick in die Gartenanlage, Sichtachsen führen zum Marstall und zu der Insel Rethberg im Schweriner See, verschlungene Pfade statt geometrischer Anordnung. Und weil es früher in Mode war, ausländische und exotische Gehölze zu pflanzen, finden sich in dem weitläufigen Park unter anderem auch Tulpen-, Gingko- und Trompetenbaum. Vom Steilufer führen Treppen zu einem laubengangartigen Hangweg und zu einem Spazierweg am Seeufer. Ein Schluck aus der Elisabethquelle versprach schon damals Schönheit, Anmut und dauerhafte Vitalität. Stille Plätze für Verliebte und für alle, denen in der Natur das Herz aufgeht, Vogelgezwitscher und Romantik zwischen Buchen, Kiefern und Rhododendron. Der angrenzende Friedwald fügt sich geradezu symbolisch in den ewigen Kreislauf der Natur. Schon 1930 wurde der Park zu den drei schönsten Mecklenburgs gezählt und seit seiner behutsamen und nachhaltigen Restauration gehört er sicher wieder dazu. Wer durch den Park flaniert und dieses landschaftliche Kleinod am Schweriner See für sich entdeckt hat, sollte sich belohnen. Ein idyllisches Gartencafé mit Sitzplätzen zwischen frei laufenden Hühnern ist dafür gerade der richtige Ort.