Die Saar-Grünen haben Widerspruch gegen die Nichtzulassung ihrer Liste zur Bundestagswahl eingelegt. Unabhängig vom Ausgang sind die Vorgänge ein Lehrstück über demokratische Regeln und verspieltes Vertrauen.
Über weite Strecken konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, einem Gerichtsverfahren beizuwohnen. Da verlas der stellvertretende Landeswahlleiter Andreas Bittner eidesstattliche Versicherungen, zählte mit den Fingern an erhobenen Händen die Pro und Contra-Erklärungen sichtbar mit. Landeswahlleiterin Monika Zöllner wird später feststellen, dass sie nicht zu der Überzeugung gelangt sei, einer davon „vollständig Glauben zu schenken". Selbst an einer „verminderten Verlässlichkeit" könnte man seine Zweifel haben.
Alles sehr komplex und schwer verständlich
Es war nicht der einzige Punkt, der die Frage aufwarf, wieviel Vertrauen man in eine Partei haben kann, die sich derart öffentlich präsentiert. Die Entscheidung darüber ist im Grunde eine Sache der Wähler. Der Wahlausschuss hat zunächst einmal nach rein formalen Kriterien zu entscheiden, ob die Liste einer Partei gemäß demokratischen Grundstandards zustande gekommen ist. Und da gab es Zweifel in mehr als einem Punkt. Zwischen der Einreichung der grünen Landesliste und der Sitzung des Wahlausschusses muss die Landeswahlleitung wohl einiges an Energie aufgewendet haben, um rauszufinden, womit sie es eigentlich zu tun hat. Denn auf den ersten Blick muss die Liste wohl einen durchaus korrekten Eindruck gemacht haben. Erst die eingereichten Beschwerden haben Ermittlungen ausgelöst, die einem Fernsehkommissar wohl auch gut angestanden hätten. Wobei vermutlich kein Drehbuchautor auf die Idee gekommen wäre, eine derartige Geschichte einzureichen. Was weniger an mangelender Dramatik liegt. Davon gab es jede Menge, vor allem kurz vor der zweiten Versammlung. Einige bislang noch nicht öffentlich bekannte Details dazu hat der „Sachstandsbericht" vor dem Wahlausschuss ergeben.
War nun ein Beisitzer in der Vorstandssitzung zurückgetreten, weil er die kurzfristige Absage (freitagabends) der geplanten Versammlung für eine neue Liste (samstags) nicht mittragen wollte? Bei der Vielzahl bereits vorausgegangener Rücktritte der Wochen zuvor wäre das womöglich nicht weiter ins Gewicht gefallen, wenn nicht ausgerechnet dieser Beisitzer die tags darauf neu gewählte Liste zur Abgabe bei der Landeswahlleitung mitunterzeichnet hätte. Bei einem vollendeten Rücktritt wäre er dazu nicht befugt gewesen. Schon alleine das hätte zu einer Ablehnung der Liste geführt.
Der Vorstand hat die Versammlung abgesagt, aber nur per Mitteilung an die Medien. Ob eine Pressemitteilung dafür reicht, war heftig umstritten, spielte am Schluss keine entscheidende Rolle mehr. Die Voraussetzung für den angedrohten Rücktritt waren eigentlich eingetreten.
Nur war zu diesem Zeitpunkt freitagabends bereits bekannt geworden, dass ein vom Bundesverband organisierter Notvorstand bereit für den Weg nach Saarbrücken war. Die Bundeszentrale hatte gedroht, im Fall einer Absage den verbliebenen Rest-Landesvorstand abzusetzen, um die Versammlung durchführen zu lassen. Das war auch dem Beisitzer bekannt, weshalb er davon ausging, dass die Versammlung stattfindet (was ja auch der Fall war). Damit war sein Rücktrittsgrund aus seiner Sicht hinfällig.
Soweit nur einer der Punkte, an denen die Landeswahlleitung mühsam versucht hat, die Abläufe aufzuklären. „Komplex und schwer verständlich" sei das alles, betonte Bittner. Er versuche zwar, das nachvollziehbar darzustellen, „das heißt aber nicht, dass es jeder verstehen muss". fügte er an einer Stelle seiner Ausführungen hinzu.
Einen erklärten Rücktritt vom Rücktritt gab es wohl nicht, dafür fand eine abgesagte Veranstaltung statt. 87 von 89 Vertreterinnen und Vertreter waren gekommen, ließen sich offensichtlich nicht von der medialen Absage irritieren. Dafür hatten sie auch schon in den Wochen zuvor von den heillos zerstrittenen Protagonisten zuviel an Irritationen erlebt.
Ganz zum Schluss spielt die Bundesebene eine entscheidende Rolle. Die Nichtzulassung der Delegierten des Saarlouiser Ortsverbandes durch das Bundesschiedsgericht gab schließlich den Ausschlag für die Nichtzulassung der Liste im Saarland. Das habe „in eklatanter Weise gegen das Demokratieprinzip" verstoßen. Einen Wahlberechtigten an der Ausübung seines Wahlrechts zu hindern ist schlicht ein No-Go. Das sollte auch der Grünen-Bundesspitze bekannt sein. Der war schon übel aufgestoßen, dass im Saarland ein Mann und eben keine Frau, wie nach Frauenstatut vorgesehen, nach der ersten Versammlung an der Spitze der Landesliste stand. Schon die Begründung für den Ausschluss der Saarlouiser Grünen, auf die sich Ex-Parteichef Hubert Ulrich stützen kann, war grenzwertig. Die Vermutung einer politisch motivierten Entscheidung steht im Raum und ist keineswegs unplausibel.
Nachhaltiger Vertrauensverlust
Die Ablehnung der Liste ist für die Saar-Grünen desaströs. Daran würde auch eine Korrektur durch den Bundeswahlausschuss nichts ändern (lag bei Redaktiosschluss noch nicht vor). Das Schauspiel, das der Landesverband in den fünf Wochen zwischen der ersten Versammlung bis zur Entscheidung der Wahlausschusses geliefert hat, ist an atemberaubender Selbstzerfleischung kaum zu überbieten. Derart verspieltes Vertrauen lässt sich nur extrem mühsam wieder gewinnen, wenn es überhaupt möglich sein sollte. Landespolitisch hat sich Partei erst einmal abgemeldet. Für den politischen Wettbewerb um die besten Ideen für das Land werden die Grünen absehbar nichts beitragen können. Nicht wenige sehen bereits die Landtagswahl im kommenden März für die Grünen als gelaufen an. Das Projekt Rückkehr in den Landtag ist weit zurückgeworfen. Selbst wenn es gelänge und rein rechnerisch noch mehr möglich wäre, kann sich momentan kein anderer eine Zusammenarbeit mit den derzeitigen Hauptakteuren der Grünen vorstellen. Dabei ist die Ansicht ziemlich weit verbreitet, dass gerade in den nächsten Jahren, in denen es unausweichlich mit Klimaschutz ernst werden muss, eine grüne Stimme im Landesparlament dringend gebraucht würde. Dafür bietet sich jetzt die ÖDP an. Kontakte zum „Grünen Bündnis", den innerparteilichen Ulrich-Gegnern, soll es schon vor der Entscheidung des Wahlausschusses gegeben haben.
Was die Grünen an der Saar geritten hat, sich derart anzustellen, löst weiterhin völliges Unverständnis aus. Alle äußeren Umstände, gesellschaftliche Entwicklungen und selbst höchstrichterliche Beschlüsse beflügelten die Partei. Erstmals schien sogar ein zweites Bundestagsmanadat für die Saar-Grünen nicht völlig utopisch. Stand bei Redaktionsschluss ist selbst das eine jetzt futsch.