Holland ist von Kanälen und Flüssen durchzogen. Und von vorbildlich beschilderten Radwegen. Eine kombinierte Fahrradflusskreuzfahrt ist die ideale Form, das Land auf typische Weise zu bereisen.
Aus dem Maschinenraum brummt es tief, fast meditativ. Den Bug der „Magnifique IV“ umspült glucksend das Fahrwasser. Am Ufer gleiten Wochenendhäuser, Wohnriegel, Windräder vorbei. Parallel zum Amsterdam-Rijnkanaal heizen auf einem Radweg die Biker entlang, Richtung Radlerhochburg Utrecht. Der Wind bläst. Ein Ausschnitt einer Hollandreise wie sie kaum holländischer sein könnte.
Wasser und Land haben sich die Menschen im Nachbarland bekanntermaßen gefügig gemacht. Und so geht es erstmal schnurgeradeaus auf dem Highway der Binnenschifffahrt, auf dem diese Flusskreuzfahrt beginnt. 100.000 Schiffe im Jahr zählt man auf dem Amsterdam-Rijnkanaal, es herrscht buntes Treiben, Kähne überholen die „Magnifique IV“ im Zeitlupentempo, Sportboote kommen ihr schneller entgegen. Dann, gegen Abend, erreicht das Schiff die erleuchtete Industriekulisse Utrechts.
Eintönige Seetage gibt es hier nicht, sagt der Kapitän
Die „Magnifique IV“ ist ein zum Passagierschiff umgebauter Lastkahn, berichtet Kapitän Walter van Berkum nicht ohne Stolz – er war es, der den Umbau des einst 1964 gebauten Nutzschiffes durchführte. Im Bug stehen ordentlich aufgereiht drei Dutzend Fährräder. Sand, Schotter oder Tierfutter beförderte das Schiff früher – und heute kleine Gästegruppen, die bei Landgängen mit den Rädern ausschwärmen. 16 Reisende sind an Bord gegangen. In normalen Zeiten nimmt van Berkum 36 Passagiere mit. Doch die Zeiten sind nicht normal.
Kreuzfahrten auf Fließgewässern erlebten vor Corona einen Boom, von dem derzeit nur ein großes Verlangen geblieben ist, endlich mal wieder ein Schiff zu boarden – das auch Daniel Thiriet, Vize-Präsident der Interessengemeinschaft europäischer Flusskreuzfahrt-Reedereien IG RiverCruise, beobachtet. Einer Branchenumfrage des Marktforschungsinstituts Centouris der Universität Passau vom März 2021 zufolge sind immerhin die Geschäftserwartungen für die Saison 2022 überwiegend positiv.
Geht es durch Binnengewässer, gibt es aber immer was zu sehen. Eintönige Seetage, wie an Bord der Kreuzfahrtriesen auf dem Meer – die gibt es nicht, sagt Kapitän Berkum und blickt von der Brücke in die Ferne.
Am Voorhavendijk in Utrechts Vorort Nieuwegein macht der Kahn über Nacht fest. Am Morgen schaltet sich Hester van Vliet, Guide von Boat Bike, per Kurzbriefing über WhatsApp ein: „Wir radeln heute über ruhige Wege durch Südholland.“ Die Crew entlädt die Räder, auf dem Deich verteilt Hester laminierte Zettel mit der Route: „Hängt sie Euch einfach an den Fahrradlenker.“ In Holland gibt es ein idiotensicheres Radverkehrsleitsystem: das Radwegenetz der Knotenpunkte – „knooppunten“. An Kreuzungen stehen Schilder mit Nummern, die zugleich die Richtung zum nächsten Knotenpunkt mit Kilometerangaben anzeigen. So strampeln sich auch die Flusskreuzfahrtradler ganz analog von Punkt zu Punkt, ohne Navi-App.
Das Radwegenetz umfasst sagenhafte 35.000 Kilometer
Es gibt kaum eine typischere Reiseform als Fahrradflusskreuzfahrten, um Holland kennenzulernen. Medien der Fortbewegung sind das allseits beliebte Fahrrad und das omnipräsente Wasser. Knapp 2.400 Kilometer an Autobahnen gibt es, mehr als doppelt so lang ist das Wasserstraßennetz, und das Radwegenetz übertrifft mit mehr als 35.000 Kilometern alles.
Auf einer Kombi-Tour mit Schiff und Fahrrad werden die Teilnehmer zu Kreuzfahrern, die nicht nur dabei sind, sondern immer wieder mittendrin: Mal sitzt man im Blubberwasser des Whirlpools an Deck und genießt das vorüberziehende Land, selbst wenn der Blick an den Deichen hängen bleibt, über die die Häuserspitzen lugen. Mal lässt man sich durchs malerische Polderland strampelnd den Wind um die Nase wehen, der im berglos platten Land leichtes Spiel hat. Es geht entlang an schmalen Kanälen, in denen Wasservögel abtauchen, durch Dörfer aus kleinen Backsteinhäusern mit Reet auf dem Dach.
An einem der Knotenpunkte, mit 4,40 Meter unter dem Meeresspiegel einer der niedrigsten Orte der Niederlande, macht die Radlergruppe halt. Das Land unter den Füßen würde wie viele Orte in Holland versumpfen – wenn nicht andauernd Elektropumpen liefen, sagt Hester. „Man muss sich schützen vor den Flüssen und vor dem Meer.“ Jeder Zentimeter Wasserunterschied werde gemanagt: „Unsere Wasser-Expertise ist ein gefragtes Exportgut.“ Was die Wasserkunst hervorbringt, zeigt die Weiterfahrt: rechts vom Radweg ein Kanal, links daneben ein saftig grüner Deich –
hinter dem ebenfalls Wasser fließt, allerdings auf zwei Meter höherem Niveau.
Am Ufer des Lek, Mündungsarm im Rheindelta und für niederländische Verhältnisse scheinbar wild, sehen die Reiseteilnehmer vom breiten Sandstrand aus ihr schwimmendes Hotel vorbeischippern, die „Magnifique“ auf dem Weg zum nächsten Nachtliegeplatz, Berkum lässt das Schiffshorn ertönen. Weiter geht’s im Sattel durch holländische Postkartenmotive: Über meist asphaltierte Fietspaden erreicht die Gruppe Schoonhoven, die „Silberstadt“ Hollands. Hier widmete man sich vor Jahrhunderten, anders als im nahen Gouda dem Käse aus wirtschaftlicher Not, der Schmiedekunst – die in den Auslagen der Geschäfte fortlebt.
Die Pedalkraft trägt die Radler ins Epizentrum holländischer Sehenswürdigkeiten – nach Kinderdijk im Südosten Rotterdams, Unesco-Erbe. Nirgendwo sonst stehen so viele Windmühlen so arrangiert. In vorindustriellen Zeiten pumpten noch sie das Wasser, um die Polder urbar zu machen. Der Radweg führt entlang der Wasserstraße, an der sich die geflügelten Gebäude aus dem 18. Jahrhundert aufreihen – man fährt wie durch einen Käse-Werbespot, doch die Holland-Sehenswürdigkeit live zu sehen, ist trotzdem erhebend. Am Gastro-Fahrrad schmecken die frisch gebackenen Poffertjes, puderzuckerbestäubte Minipfannkuchen, gleich doppelt so gut.
Später geht’s vom nahen Alblasserdam mit dem „Waterbus“, eine Art Fahrradfähre, nach Dordrecht, eine der ältesten Städte der Niederlande mit Stadtrechten seit 1220, wo man die Häuser schief baute, um die Fassaden auf der Wetterseite vor Regen zu schützen und die „Magnifique IV“ schon am Kai liegt. „Das Hotel fährt immer mit“, sagt Schiffsbaumeister Berkum beim Schiffsrundgang. Am Ende einer Tagesetappe im Sattel, meist zwischen 30 und 60 Kilometern lang, betritt man nicht nur wieder seine Kajüte, mit allem Krimskrams, den man dort so verteilt hat, sondern auch ein kleines Soziotop. Auf einer Flusskreuzfahrt mit überschaubaren Passagiergruppen ist man schnell per Du. Doch es gibt auch Möglichkeiten des Rückzugs – indem man alleine losradelt. Die nächste Etappe von gut 60 Kilometern nutzen einige der Reiseteilnehmer, um sich ohne Begleitung entlang der Kontenpunkte durch das weite Ackerland Zeelands treiben zu lassen. Sie durchstrampeln von Kanälen gerahmte Apfelplantagen, Pferdekoppeln, mit Linden alleenartig bestandene Deiche – und Tholen, stellvertretend für die vielen Inseln und Halbinseln der Provinz und zudem eine hübsche, unaufgeregte Kleinstadt.
Vorbei an Apfelplantagen und Pferdekoppeln
Endpunkt der Tagesetappe in den Tiefeinsteigerrädern – manche Reisende haben gegen Aufpreis und als Mittel gegen den Gegenwind das E-Bike gewählt – ist Bergen op Zoom in der Provinz Noord-Brabant. Durchs Gevangenpoort, dem letzten verbliebenen Stadttor aus dem 14. Jahrhundert, geht es vorbei am Stadtpalast Markiezenhof bis in den Industriehafen, wo die „Magnifique IV“ per App „Vesselfinder“ aufgespürt wird. Denn nicht immer ist schon beim Morgenbriefing sicher, wo der Captain gegen Abend einen Liegeplatz findet.
Kurz darauf ist im Whirlpool Entspannung angesagt. Die Waden sind müde, der Geist genügsam. Die Arme der Kräne am Kai veranstalten ihre Choreografie. Ein Container hierhin, einer dorthin, die Sonne geht unter, das Flutlicht an. Auch diese Art von Abwechslung bietet eine Fahrradflusskreuzfahrt durch die Niederlande.
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