Vernunft gilt als Tugend. Schon die Schöpfungsgeschichte lehrt uns, dass auf Unvernunft eine bittere Strafe folgt. Von Kind auf lernen wir, wo die Grenzen unserer Neugierde und unseres Tatendrangs liegen. Dabei gibt es gute Gründe für Leichtsinn und Narreteien.
Christian Ankowitsch wundert sich manchmal über sich selbst. Auf die Nachricht eines Freundes etwa, dessen Handy sei kaputt, fällt ihm nichts Besseres ein, als diesen umgehend auf dem Handy anzurufen. Der österreichische Journalist und Schriftsteller begibt sich daraufhin auf eine Spurensuche nach dem ganz alltäglichen Irrsinn – und findet zahlreiche beruhigende Beweise dafür, dass er nicht der einzige Tölpel ist. In einer U-Bahn-Station beobachtet er zum Beispiel Männer in Malerkleidung, die dabei sind, dem Fahrkartenautomaten einen neuen Anstrich zu verpassen. Auf einem bereits übermalten Gerät prangt derweil ein großes Schild: „Frisch gestrichen!". Und was tun die Passanten, die daran vorbeiwollen? Halten sie gebührenden Abstand? Ganz im Gegenteil. Immer wieder streckt jemand im Vorbeigehen den Finger aus, um sich selbst von der Klebrigkeit der Oberfläche zu überzeugen. Verwundert fragt Ankowitsch die Männer in den Overalls, ob das häufig vorkomme. „Ständig", antworten sie. Man brauche nur ein Schild aufzuhängen, und schon gehe jeder zweite mit dem Finger dran.
Lange galt der Mensch als rationaler Nutzenmaximierer, der weiß, was am besten für ihn ist und stets danach handelt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts prägten Wirtschaftswissenschaftler einen Begriff für diesen Typus: Homo oeconomicus. Nach gut einem Jahrhundert Verhaltensforschung ist jedoch klar: Der Homo sapiens ist auch nur ein Mensch. Wir nehmen gedankliche Abkürzungen statt objektiv abzuwägen, reagieren emotional statt rational, bringen uns unnötig in Gefahr und setzen uns über gute Ratschläge hinweg. Und doch hat unsere seltsame Gattung eine unvergleichliche Erfolgsgeschichte geschrieben. Warum blieb die Unvernunft fest in uns verankert?
Unvernunft macht kreativ
Um Neues in die Welt zu bringen, muss man ausgetretene Denkpfade verlassen. Viele Wunderkinder wurden deshalb für ihre revolutionären Ideen zunächst von ihren Zeitgenossen verspottet. Etwa Albert Einstein: Der Physiker stellte die geltende Vorstellung vom Universum auf den Kopf und ging als widerspenstiger Andersdenker in die Geschichte ein. Man denke nur an das Porträt mit verwuschelter Mähne und herausgestreckter Zunge. Als Kind wurde er vom Hausmädchen nur „der Depperte" genannt. Und seine Hauslehrerin soll er in einem Wutanfall mit einem Stuhl geschlagen haben, sodass diese sich nie mehr blicken ließ. Eine gewisse Exzentrik zeichnet auch viele andere Dichter und Denker aus. Salvador Dalí etwa hielt sich für die Reinkarnation seines toten Bruders und trug gern einen Laib Brot als Hut zu seiner eigenwilligen Gesichtsfrisur. Alexander Graham Bell wollte seinem Hund das Sprechen beibringen. Nebenbei erfand er das Telefon.
Braucht Genialität auch Wahnsinn?
Braucht es womöglich einen Funken Wahnsinn, um Geniales zu vollbringen? Tatsächlich zeigen verschiedene Studien, dass außergewöhnlich kreative Menschen überzufällig oft psychologische Auffälligkeiten aufweisen. Der britische Psychiater Felix Post analysierte die Biografien von 291 Berühmtheiten aus Wissenschaft, Musik, Kunst, Politik, Philosophie und Literatur, darunter Charles Darwin, Gustav Mahler, Wassily Kandinsky, Sigmund Freud und Ernest Hemingway. Auffallend oft erfüllten sie aufgrund ihres wunderlichen Verhaltens einige Kriterien für eine psychische Störung – für eine Diagnose reichte es jedoch nur selten aus. Auch andere Studien weisen darauf hin, dass hochkreative Menschen charakterliche Auffälligkeiten aufweisen, die allerdings so mild sind, dass sie noch nicht als Krankheit gelten. Neurotische Wesenszüge und ein gewisser Hang zum Extremen tun der Schaffenskraft offenbar gut. Gleichzeitig zeigte Posts Untersuchung, dass die Koryphäen zudem überdurchschnittlich fleißig und sorgfältig waren. Diese Mischung aus Chaos und Struktur könnte ihnen zu Meisterleistungen verholfen haben. „Die erfolgreichsten Künstler und Erfinder waren zwar allesamt unkonventionell, sie hatten aber die Gabe, das Unvernünftige mit dem Vernünftigen zu vereinen", meint auch der Psychiater Rainer Holm-Hadulla von der Universität Heidelberg.
Dieser Zusammenhang scheint buchstäblich in unserer DNA zu liegen. Es gibt Hinweise darauf, dass Gene, die die Entwicklung einer Psychose – einem Zustand bei dem das geordnete Denken und der Sinn für die Realität abhandenkommen – wahrscheinlicher machen, gleichzeitig eine außergewöhnliche Kreativität begünstigen. So fand etwa ein Forscherteam um Kari Stefansson von der Universität Reykjavik bei der Analyse des Erbguts von 150.000 Menschen heraus, dass jene, die Risikogene für Schizophrenie in sich trugen, überdurchschnittlich oft in kreativen Berufen arbeiteten. Dieser positive Nebeneffekt könnte ein Grund dafür sein, dass sich solche pathologischen Genvarianten halten konnten, wie manche Forscher glauben.
Unvernunft hilft uns, uns weiterzuentwickeln
Immer wieder kommt es zu Großeinsätzen wegen S-Bahn-Surfern – Leuten, die sich an der Außenwand eines fahrenden Zugs festklammern. Ähnlich gefährlich: auf Baukräne klettern und Autorennen durch Innenstädte. Dass mit solchen Aktionen fast ausschließlich Jugendliche Schlagzeilen machen, ist kein Zufall. Die Pubertät macht uns offenbar teilweise unzurechnungsfähig. „Ich wollte, es gäbe gar kein Alter zwischen zehn und 23, oder die jungen Leute verschliefen die ganze Zeit: Denn dazwischen ist nichts, als den Dirnen Kinder schaffen, die Alten ärgern, stehlen, balgen", schrieb schon William Shakespeare. Der Staat begegnet der Jugend daher mit größerer Nachsicht. Von 14 bis 17, manchmal auch noch mit 20 Jahren, gilt das mildere Jugendstrafrecht. Das ist nicht selbstverständlich: Im alten Rom galten Kinder ab sieben Jahren als strafreif.
„Kinder müssen die Welt kennenlernen, indem sie Dinge ausprobieren", sagt der Psychologe Jürg Frick, der bis 2016 an der Pädagogischen Hochschule Zürich als Dozent und Berater tätig war. „Was davon unvernünftig war, sehen sie erst an der Reaktion der anderen – oder wenn es schiefgeht." Doch gerade Teenager unterlassen nichts, um ihr Schicksal herauszufordern. In vieler Hinsicht verhalten sie sich noch törichter als Kinder. Fast scheint es, als hätten sie einen Rückschritt in Sachen Vernunft gemacht. Schuld daran ist die ungleichmäßige Reifung unseres Denkorgans. Das Belohnungssystem, das sich erst relativ spät entwickelt, reift während der Pubertät sehr schnell – schneller als der präfrontale Kortex, der als „Sitz der Vernunft" Impulse im Zaum hält und für besonnenes Nachdenken, Entscheiden und Planen verantwortlich ist. Dieses Ungleichgewicht führt zu einer überschießenden Risikobereitschaft, der das restliche Gehirn nicht viel entgegensetzen kann. Vor allem in emotional aufgeladenen Situationen gewinnen das weiter gereifte limbische System und das Belohnungssystem die Oberhand. Dabei sind Jugendliche nicht per se unfähig, rationale Entscheidungen zu treffen. Fragebogen-Studien zeigen, dass sie Risiken für bestimmte Verhaltensweisen ähnlich gut abschätzen können wie Erwachsene. Der Verstand setzt vor allem dann aus, wenn Gleichaltrige anwesend sind. Das zeigen etwa Experimente, bei denen die Teilnehmer bei einem virtuellen Autorennen ihren Wagen möglichst schnell und unfallfrei ans Ziel bringen sollen. Schauen Freunde zu, rasen Jugendliche viel eher über rote Ampeln und riskieren einen Crash. Soziale Anerkennung ist in dieser Phase einer der wichtigsten Anreize. Dahinter steckt offenbar ein evolutionärer Sinn.
Rebellentum und Unternehmergeist
Risikoreiches Verhalten in der Adoleszenz trägt dazu bei, dass Jugendliche sich aus dem sicheren Nest der Ursprungsfamilie lösen können, um selbstständig die Welt zu erkunden und sich einen Partner zu suchen, glauben Forscher wie die Neurologin Kerstin Konrad, die sich an der Universitätsklinik Aachen mit dem Umbau des Gehirns in der Pubertät befasst. „Dass wir uns heute so frei ausprobieren können, ist ein Privileg", findet Jürg Frick. Das war in der Geschichte nicht immer so. „Vernunft ist ein kultureller Begriff. Die Epoche und die Gesellschaft in der wir leben, bestimmt, was wir für vernünftig halten", stimmt der Anthropologe Karl-Heinz Kohl, ehemaliger Direktor des Frobenius-Institut der Goethe-Universität Frankfurt zu. Eigensinniges Verhalten sei kulturell unterschiedlich stark akzeptiert: „Bei indigenen Völkern werden die Impulse der Jugend meist noch stärker sanktioniert als in der westlichen Welt." Ein Inuit etwa würde ein „Frisch gestrichen"-Schild womöglich nicht so bereitwillig ignorieren. Dem Kapitalismus scheint eine heftige Pubertät sogar zu nützen: Viele der einflussreichsten Personen der Gegenwart tanzten in ihrer Jugend aus der Reihe. So kursiert etwa vom Microsoft-Gründer Bill Gates ein Verhaftungsfoto – er beging als junger Mann wiederholt Verkehrsdelikte. Forscher um Martin Obschonka von der Queensland University of Technology zeigten 2013 anhand von Langzeitdaten aus 37 Jahren den Zusammenhang zwischen Unternehmergeist und frühem Rebellentum. Männer, die in ihrer Jugend kriminelles Potenzial gezeigt hatten, waren später eher als Unternehmer tätig. Dabei handelte es sich nicht um Kapitalverbrechen, sondern um mildere Delikte wie Schulschwänzen, Kiffen und Ladendiebstahl. Bei Frauen trat dieser Zusammenhang allerdings nicht zutage. Unternehmertum könnte, so heißt es in der Studie, eine produktive Form des Bruchs mit Konventionen darstellen. Frühes Brechen von Regeln schule womöglich den Blick über den Tellerrand.
Unvernunft macht attraktiv
James Byron Dean brachte die Frauen in den 50er-Jahren reihenweise um den Verstand. Nur drei Filme drehte er, und mimte darin stets den Rebellen. Die Hollywood-Legende verkörperte die Revolte der Jugend gegen die Werte der Erwachsenen. Sogar sein Stil war eigenwillig: Er wollte nichts von Krawatten und Manschettenhemden wissen, die die konservative Männermode der 50er bestimmten. Immer dabei: die obligatorische Zigarette im Mundwinkel. Heute nicht mehr salonfähig, aber – man muss es zugeben – irgendwie doch cool. Das Leben der Ikone der Freiheit und Unvernunft fand ein jähes, aber passendes Ende: Mit nur 24 Jahren verunglückte James Dean mit seinem Sportwagen auf dem Sunset Boulevard. James Dean, der unvernünftige Herzensbrecher – eine Ausnahme? Nein, denn ein Blick in die Forschung bestätigt die Anziehungskraft der Rebellion: Sich der Gruppe unterzuordnen und aus der Menge herauszustechen sind zwei konkurrierende Motive menschlichen Handelns. In Momenten, in denen wir Gefahr wittern, orientieren wir uns vermehrt an anderen. Wenn es jedoch darum geht, einen potenziellen Partner zu bezirzen, geben wir uns wild und unangepasst, so die Vermutung der Forscher um die Psychologen Vladas Griskevicius und Robert Cialdini, damals beide an der Arizona State University. Für den Fortpflanzungserfolg unserer Vorfahren sei es schließlich wichtig gewesen, sich von Rivalen abzuheben. Das testeten sie mit einem Experiment. Die Forscher brachten einige Versuchspersonen in romantische Stimmung, indem sie ihnen ein Szenario vorlegten, in das sie sich so gut wie möglich hineinversetzen sollten: Du bist mit deinen Freunden im Urlaub und lernst eine sehr attraktive Person des anderen Geschlechts kennen. Ihr verbringt einen romantischen Tag, der mit einem leidenschaftlichen Kuss im Mondlicht endet. Andere Probanden lasen eine Geschichte, die ihr Bedürfnis nach Sicherheit wecken sollte: Du bist nachts allein zuhause. Seltsame Geräusche ertönen zuerst von draußen und später auch aus dem Inneren des Hauses. Der Text endete damit, dass jemand die Schlafzimmertür öffnet. Der Rest der Teilnehmer las entweder eine alltägliche oder gar keine Geschichte. Anschließend sollten alle ein abstraktes Gemälde bewerten. Die Abstimmung war dabei öffentlich. Die Probanden sahen also vermeintlich die Wertung der anderen Teilnehmer. In Wahrheit steckten jedoch die Versuchsleiter dahinter und hatten nach dem Zufallsprinzip hohe oder niedrige Wertungen abgegeben. Die Forscher schauten sich nun an, ob die Teilnehmer der Herde folgen oder gegen den Strom schwimmen würden. Jene Probanden, die in eine ängstliche Stimmung gebracht worden waren, orientierten sich stärker an der vermeintlichen Gruppenmeinung und passten ihre Einschätzung an die der anderen an. Die romantische Stimmung veränderte das Rating der Probanden ebenfalls signifikant. Allerdings unterschied sich der Effekt je nach Geschlecht: Männer im Paarungsmodus wichen stark von der Meinung der Gruppe ab, Frauen verhielten sich hingegen extra angepasst. Männer folgen demnach dem Vorbild von James Dean und verhalten sich nonkonformistischer, wenn sie eine potenzielle Partnerin beeindrucken wollen. Damit transportieren sie Unabhängigkeit und Durchsetzungsstärke, schlussfolgern die Autoren. Frauen wählen offenbar die gegenteilige Strategie. Doch geht diese Strategie auch auf? Ein Team um Matthew Hornsey von der University of Queensland in Brisbane ging der Frage auf den Grund. Die Wissenschaftler legten Studenten Datingprofile vor, die verschiedene Facetten von Nonkonformität beziehungsweise Konformität widerspiegelten. Das Ergebnis: Frauen wie Männer bevorzugten gleichermaßen die eigensinnigeren Singles. Andere Studien der Autoren zeigten Ähnliches: Je nonkonformer Befragte waren, desto mehr Erfolg hatten sie in der Liebe. Und ihre Ex-Partner hatten Probanden als attraktiver in Erinnerung, je nonkonformer sie diese einschätzten.
Ein Abheben von unseren Rivalen
In einer weiteren Untersuchung testeten die Wissenschaftler den Effekt aufs Neue. Diesmal glaubten die Versuchspersonen, mit einer Gruppe von Gleichaltrigen des anderen Geschlechts über ihre Meinung zu grafischen Mustern zu chatten, die ihnen präsentiert wurden. In Wahrheit hatten die Forscher die Aussagen der anderen wieder vorbereitet. Eine der Personen aus der Gruppe hatte entweder immer die gleiche Meinung wie der Rest oder widersprach der Mehrheit ständig. Am Ende sollten die Versuchspersonen angeben, wie sehr sie denjenigen mochten. Die Rebellen unter den erfundenen Zielpersonen kamen durch die Bank besser an. Sie wirkten interessanter, klüger, zugewandter und freundlicher. Nach echtem romantischem Interesse gefragt, zeigte sich allerdings etwas Überraschendes: Eigensinn machte sexy – allerdings vor allem Frauen. Abtrünnige Männer wurden von Frauen in diesem Versuch hingegen nicht als sexuell attraktiver bewertet. „Ein flüchtiger Blick auf Bücher des frühen 20. Jahrhunderts über Etikette, Benehmen und Partnerwahl lässt erwarten, dass Frauen stets zurückhaltend, bescheiden und brav sein sollten", sagt Matthew Hornsey. „Aber die Zeiten haben sich geändert. Die Gesellschaft gibt nun vor, dass Unabhängigkeit ein Zeichen von Integrität und Charakterstärke ist."
Unvernunft beweist uns unsere Freiheit
„Ihr dürft von allen Bäumen im Paradies essen", nur nicht von diesem einen, mahnt Gott. Die Frucht des Baums der Erkenntnis ist für Adam und Eva also tabu – von einem Apfel ist in der Bibel übrigens nie die Rede. Doch schon in dieser uralten Geschichte siegt die Neugier: Die Frau pflückt das Obst und der Mann isst mit. Adam und Eva werden daraufhin aus dem Paradies verjagt. Ab jetzt ist der Mensch selbst verantwortlich für sein Schicksal – mit allen Rechten, aber auch mit allen Pflichten, die dazu gehören. „Regelverstöße spielen in allen Mythologien eine Rolle. Die großen Kulturheroen sind allesamt Regelbrecher", sagt Karl-Heinz Kohl. „In der germanischen Mythologie ist es Loki, in der griechischen Sage Prometheus." Prometheus, dessen Name „Vordenker" bedeutet, gehört dem Göttergeschlecht der Titanen an, ist aber wie alle der Herrschaft des Göttervaters Zeus unterworfen. Gegen dessen Willen entwendet er den Göttern das Feuer und bringt es den Menschen. Daraufhin lässt Zeus ihn an einen Berg ketten, wo ein Adler regelmäßig an seiner Leber pickt. Den zweiten Teil der Strafe richtet Zeus an die Menschen. Er schafft eine Frau namens Pandora und gibt ihr eine geheimnisvolle Büchse. Diese soll sie an die Menschen weitergeben, ihnen aber verbieten, sie zu öffnen. Wieder einmal siegt die Neugier: Pandora selbst hebt den Deckel und bringt so alle möglichen Übel in die Welt.
Autoritäten nicht blind folgen
Der Wunsch nach Selbstbestimmung, der dem Reiz des Verbotenen zugrunde liegt, ist tief in uns verankert. „Wer Schilder aushängt, auf denen er davor warnt, etwas sei frisch gestrichen, der signalisiert uns indirekt, dass es ab sofort ein paar Dinge gibt, von denen wir uns fernhalten sollten", stellt Christian Ankowitsch fest. Und wenn jemand es wagt, unseren Handlungsspielraum einzuschränken, wollen wir uns erst recht unsere Freiheit beweisen. Psychologen sprechen dann von Reaktanz. Diese mag manchmal kindisch erscheinen, hat aber durchaus Vorteile: Sie sorgt dafür, dass wir Autoritäten nicht blind folgen und tut darüber hinaus gut. So fand ein Forscherteam um Christina Mühlberger von der Universität Salzburg heraus, dass Reaktanz mit positiven und motivierenden Affekten wie Stärke und Entschlossenheit einhergeht. Wie wichtig das Gefühl ist, die Zügel selbst in der Hand zu haben, zeigt das Phänomen der erlernten Hilflosigkeit: Machen wir wiederholt die Erfahrung, dass wir unserem Schicksal nicht entrinnen können, hören wir irgendwann auf, es zu versuchen – selbst, wenn es nun gelingen könnte. Diese fatale Form der Passivität kann zu Depressionen führen.