Bezahlbarer Wohnraum ist auch im Saarland ein brennendes Thema. Die SPD hat ein eigenes Aktionsprogramm vorgelegt. Heike Becker, wohnungsbaupolitische Sprecherin, drängt auf ein Wohnraumfördergesetz, mehr Transparenz und genossenschaftliche Modelle.
Frau Becker, die SPD hat ein eigenes Aktionsprogramm Wohnraum vorgelegt. Warum?
Im Jahr 2005 hatten wir noch rund 5.000 echte Sozialwohnungen im Saarland, aktuell sind es 637. Das ist ein erschreckendes Signal. Für uns besonders besorgniserregend: Von 2018 bis jetzt gab es nur eine Steigerung von rund einhundert Wohnungen. Gleichzeitig hat eine Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung ergeben, dass allein in der Landeshauptstadt Saarbrücken 17.000 bezahlbare Wohnungen fehlen. Das zeigt schon rein mathematisch, dass es bei dem, wie in den letzten zwei, drei Jahren verfahren wurde, nicht bleiben kann. Deswegen haben wir ein eigenes Aktionsprogramm erarbeitet. Wir sprechen dabei ausdrücklich nicht nur von den typischen Sozialwohnungen. Wir brauchen im Saarland ausreichend bezahlbaren Wohnraum.
Solche Zahlen führen ja regelmäßig zu Diskussionen, manche halten sie für zu hoch gegriffen.
Dann bleiben wir bei der Stadt Saarbrücken: Der Prozess der Segregation ist hier voll im Gange. Etwa 60 Prozent der Menschen müssen 30 Prozent und mehr ihres monatlichen Einkommens für Miete aufwenden. Auch das ist ein klares Signal, dass es Verbesserungen am Markt geben muss.
Ist das aber nicht ein typisches Phänomen in Ballungszentren?
Im ländlichen Raum sieht es in der Tat anders aus. Bezahlbarer Wohnraum ist dort oft nicht das Problem. Vielmehr stehen etliche Wohnungen leer, da das Leben auf dem Land mitunter als weniger attraktiv wahrgenommen wird. Das kann viele Gründe haben: fehlende Anbindung von Bus und Bahn, fehlende Einkaufsmöglichkeiten, ärztliche Unterversorgung, fehlende Schul- und Kitaplätze. Das stellt alle Altersgruppen vor Probleme – junge Familien wie Senioren. Wenn wir lebendige Ortskerne und Quartiere wollen, brauchen wir deutlich mehr Investitionen. Doch es stellt sich die Frage, ob Kommunen überhaupt in der Lage sind, zu investieren. Bei kleineren Kommunen ist das eine finanzielle und personelle Frage. Da fehlen oft die Ressourcen, um Maßnahmen einzuleiten und sich quartiersbezogen zu entwickeln.
Was die Überbelastung angeht, konzentriert sich das Problem im Saarland auf das Oberzentrum Saarbrücken. Wir bekommen aber auch viele Rückmeldungen aus dem Bereich Merzig-Wadern an der luxemburgischen Grenze. Dort haben wir es mit einer speziellen Situation zu tun.
Würde man rein zahlenmäßig Leerstände und fehlenden Wohnraum aufrechnen, würde es gar nicht so schlecht aussehen. Was macht Aktivierung von Wohnraum so schwer?
Zunächst brauchen wir valide Daten, da sich die demografische Entwicklung im ländlichen Raum anders darstellt als in den Zentren. Wir fordern daher ein Leerstands-Monitoring und wollen Kommunen bei der Erhebung der Daten unterstützen. Diese Forderung kommt nicht von ungefähr: Der Landesentwicklungsplan – auch wenn er schon etwas älter ist – verpflichtet uns dazu, bestehende Wohngebiete attraktiver zu machen, also die sogenannten Innenverdichtungen voranzutreiben und nicht nur Neubaugebiete zu fördern.
Was muss jetzt also passieren?
Zum einen müssen unsere Förderrichtlinien auf eine marktgerechte und attraktivere Basis gestellt werden. Wir können uns dabei an unseren Nachbarn in Rheinland-Pfalz orientieren. Dort existieren ganz andere Einkommensgrenzen. Wir fördern bis maximal 50 Prozent über diese Grenze, Rheinland-Pfalz 60 Prozent. In Rheinland-Pfalz gibt es also einen größeren Spielraum. Rheinland-Pfalz hat über diese Grundförderung hinaus auch weitere Fördermöglichkeiten. Bei uns gibt es so etwas nicht. Damit haben sie marktgerechtere Instrumente.
Auch unter Berücksichtigung der steigenden Baukosten müssen wir handeln. Und bei Mietobergrenzen brauchen wir für Haushalte mit geringem Einkommen gestaffelte Fördermietstufen. Wir haben im Koalitionsvertrag festgelegt, dass wir ein eigenes Landeswohnraumförderungsgesetz erlassen, doch hier hat sich noch nichts bewegt. Wir sind damit eines der wenigen Bundesländer ohne landesgesetzliche Regelung.
Was wäre der Unterschied zum Ist-Zustand?
Mit einer gesetzlichen Regelung schaffen wir Transparenz und bringen alle Beteiligten an einen Tisch: Die Regierung, Sachverständige und sozial-karitative Einrichtungen und regeln die Problematik nicht nur über Verordnungen. Es ist auch wichtig, alle Bündnispartner ins Parlament einzuladen. Nur so können wir soziale Härten vermeiden.
Seit dieser Legislaturperiode gibt es ein Bauministerium. Allerdings klagt der Minister über eine zu spärliche Ausstattung.
Die Bilanz des Bauministeriums ist meiner Meinung nach ernüchternd. Es wurden zwar einige Änderungen an den Förderrichtlinien vorgenommen, doch hier hätte man in den letzten Jahren deutlich mehr gestalten können. Für mich ist das auch eine Frage der Organisation. Wenn wir als Gesetzgeber die Mittel zur Verfügung stellen, dann erwarten wir auch eine Organisation, mit der die Aufgaben bewältigt werden können. Das ist kein leichter Schritt. Als Verwaltungsfachwirtin und -organisatorin kann ich dies durchaus beurteilen. Wenn man aber ein Ziel, das man öffentlich kommuniziert, erreichen will, dann erwarte ich auch eine zielführende Organisation. Und es ist wichtig, dass die vorhandenen – und zum Teil schlummernden – Mittel sinnvoll eingesetzt werden.
Der Minister selbst betont, angesichts der Herausforderungen brauche es eigentlich ein eigenständiges Bauministerium.
Mich hat diese Forderung etwas überrascht. Solch eine Forderung hätte der Minister zu Beginn der Legislatur stellen müssen. Jetzt Forderungen zu stellen, nachdem man die eigenen Ziele nicht erreicht hat, halte ich für schwierig.
Wieviel hängt in diesem Zusammenhang an den Kommunen?
Mit der Kommune steht und fällt vieles. Wenn eine Kommune Zukunftsinvestitionen, die sich rechnen, tätigen will, muss es auch möglich sein, Kredite dafür aufzunehmen. Bei den straffen Genehmigungsverfahren für kommunale Haushalte sehen wir Handlungsbedarf. Wenn eine Kommune investiert, ist das eine Leitinvestition. Dazu gehören nicht nur Betreuung, Bildung und Infrastruktur, sondern auch Quartiersmanagement, von dem wichtige Impulse für die Entwicklung ausgehen. Es geht also um mehr Flexibilität bei der Genehmigung von kommunalen Haushalten.
Es geht aber auch um Unterstützung für die Kommunen etwa im Bereich Projektierung und Beratung. Das könnte durch die Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) erfolgen. Ein wichtiger Punkt für uns ist außerdem genossenschaftliches Wohnen, das ist im Saarland nicht so verbreitet. Beim genossenschaftlichen Wohnungsbau steht nicht der Renditeaspekt an erster Stelle. Das bietet große Potenziale. Die Erfahrung in anderen Bundesländern hat gezeigt, dass man soziale Durchmischung in einem Wohnquartier mit genossenschaftlichen Konzepten besser erreichen kann. So verhindern wir auch aktiv Segregation.
Welche Rolle spielt dabei die Ökologie? Neubaugebiete sind umstritten, aber es geht auch um die Frage, wie bauen?
Das greifen wir auf. Wenn wir über klimafeste Innenstädte nachdenken, dürfen wir beim Wohnungsbau nicht Halt machen – ganz im Gegenteil. Ich denke da an eine Förderung erneuerbarer Energien beim Wohnungsbau. Wohnungsbau, Klima- und Umweltschutz gehören für uns zusammen.
Was passiert jetzt mit Ihrem Aktionsprogramm?
Unser Programm soll Grundlage sein für eine breite Diskussion. Konkret müssen wir eine Verbesserung der Marktlage im Saarland herbeiführen. Wir sind überzeugt, dass wir die Lage nur gemeinsam mit allen Akteuren verbessern können. Deswegen brauchen wir dringend ein Landeswohnraumförderungsgesetz.
Wird das noch was in dieser Legislaturperiode, also vor der Landtagswahl im kommenden Frühjahr?
Wir werden da nicht lockerlassen.