Das alte nordische Seefahrervolk gründete einst Ribe, die älteste Stadt Dänemarks. 13 Jahrhunderte spannende Geschichte und die wunderbare Natur des Wattenmeers warten auf Besucher.
In Ribe kann sich eigentlich niemand verlaufen. Neulinge, die per Bahn angereist sind, folgen zunächst der Dagmarsgade, überqueren ein Flüsschen und steuern zwei hohe Türme an. Das sind die Domtürme, und damit ist das Stadtzentrum erreicht. Das mächtige Bauwerk begeistert sofort und ebenso der von weiteren schönen Bauten gesäumte, Torvet genannte Platz.
Torvet bedeutet Markt, und mit einem im Jahr 710 von den Wikingern angelegten Markt begann Ribes Geschichte. Demnach ist die Stadt nun 1.311 Jahre alt. Der Dom aus dem 12. Jahrhundert ist also wesentlich jünger, jedoch der älteste in Dänemark.
Ribe, nahe der Nordsee und an einem schiffbaren Fluss gelegen, war damals eine reiche Handelsstadt und ließ das nötige Baumaterial auf Lastkähnen anliefern, darunter Tuffgestein aus dem Rheinland, Sandstein aus dem Wesergebiet und Granit aus Jütland. Aus dem hellen Gestein wurde der romanische Dom errichtet.
Die roten Backsteinanbauten wurden später hinzugefügt und hatten auch unterschiedliche Haupttürme zur Folge. Der helle Turm mit den Rundbögen stammt aus romanischer Zeit, der eckige rote, Bürgerturm genannt, wurde 1311 fertig – jedoch aus traurigem Anlass: „Im Jahr 1283, am Weihnachtsmorgen, fiel einer der Türme in sich zusammen und stürzte in die gut besuchte Kirche. Es gab zahlreiche Tote", weiß Stadtführer Sven Pedersen. Ersetzt wurde er durch den 50 Meter hohen Bürgerturm. 248 Stufen führen hinauf zur Aussichtsplattform. Der Blick auf Ribe und seine grüne Umgebung lohnt die kleine Mühe.
Tolle Aussicht vom Bürgerturm
Wer, wieder unten, auf dem alten Kopfsteinpflaster ins Stolpern gerät, könnte geschwind den Bronzering an der „Katzentür" ergreifen. Den trägt dort ein Löwe im Maul, der sich angeblich im Jahr 1308 – bei der Flucht vor Verfolgern – an den damaligen Türzieher klammerte. Damit war er an einem heiligen Ort und erhielt Kirchenasyl. Wichtiger ist jedoch ein Blick aufs Tympanon über der „Katzentür", das die Abnahme Jesu vom Kreuz zeigt und zu Dänemarks ältesten Steinmetzarbeiten zählt.
Durch den Haupteingang geht nun Sven Pedersen in den Dom und sogleich durchs rechte Seitenschiff, um dort auf einige schiefe, vom Domgewicht aus dem Lot geratene Säulen zu deuten. „Um die und die Wände zu stabilisieren, hat man Seitenkapellen angebaut, die aber während der Reformation wieder beseitigt wurden. Seither ist dieser Dom die einzige fünfschiffige Kirche Dänemarks", betont Sven. Übrigens eine mit bester Akustik und Mut zur Moderne. In der Apsis beleben farbstarke Fenster und Malereien den alten Dom.
Draußen ist noch ein Rendezvous mit einem metallenen St. Ansgar fällig, dem Bremer Bischof, der im 9. Jahrhundert das Christentum nach Nordeuropa brachte. Der Wikinger-König Horik II. gestattete Ansgar, der schon in Haithabu eine Kirche gegründet hatte, in Ribe das Gleiche zu tun. Was der bauen ließ, war jedoch eine kleine Holzkirche jenseits des Flusses, wo nun – nach Funden und Forschungen – ein Wikingerdorf rekonstruiert wurde, sogar mit damaligen Werkzeugen. Kinder können Bogenschießen probieren und auf Islandpferden reiten. In der Küche im Langhaus wird in einer großen Eisenpfanne Gemüse gegart.
Das Kirchlein, ein Nachbau von 860, liegt Museumsleiterin Christin Clausen, die in Wikingerkleidung daherkommt, besonders am Herzen. Die Wandmalereien und den Altar hat die Künstlerin Trine Theut geschaffen. Geweiht ist das Kirchlein auch. „Ostern und Weihnachten feiern wir hier einen Gottesdienst", strahlt sie schon jetzt.
Das älteste Hotel Dänemarks
Zurück in Ribe steht noch der Kreuzgang im Catharinae-Kloster auf dem persönlichen Programm, gehört doch dieses Bauwerk von 1228 zu den besterhaltenen Klosteranlagen Dänemarks. Der Wächter, der mit zwei angereisten Dänen plaudert, hat kurz vor 17 Uhr die Tür zum Kreuzgang schon zugesperrt, schließt sie aber wieder auf. Zu dritt dürfen wir noch eine Runde durch den stillen Kreuzgang drehen.
Die nächste Runde gilt der Suche nach einem noch sonnigen Terrassenplatz. Vor der Rathaus-Konditorei sind alle Tische besetzt, vor dem Ex-Gefängnis „Den gamle Arrest" wäre noch Platz. Mehr Andrang herrscht – und das ist ein gutes Zeichen – vor dem „Hotel Dagmar", dem ältesten Hotel Dänemarks. Insider sitzen auch gern am früheren Hafen Skibbroen vor dem Restaurant Saelhunden. „Dort gibt es die besten Fischgerichte", hatte Sven empfohlen, und das hat sich bestätigt. Mithalten kann das „Restaurant Kolvig" gegenüber.
Zum Genuss wird aber auch der tägliche Gang von meinem Ferienhaus im „Ribe Byferie Resort" durch die Puggårdsgade, wo sich rote und gelbe Rosen an alten Häuschen emporranken. Mit Salzaroma und einer großartigen interaktiven Ausstellung kann andererseits das 2017 eröffnete Wattenmeer-Zentrum punkten. Die flachen Bauten, entworfen von der Kopenhagener Architektin Dorte Mandrup, passen perfekt in die Landschaft und trotzen mit ihren heruntergezogenen Reetdächern der Nordseebrise.
Drinnen warten sieben helle Räume, die das „Das Wattenmeer der Zugvögel" zum Hauptthema haben. 1.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche und mitunter der Chef Klaus Melbye erwarten die Besucherinnen und Besucher. Er greift eine rote Krabbe aus einem Bassin, widmet sich dann aber intensiv den Zugvögeln.
Im Frühjahr und Herbst stärken sich etwa 15.000 Vögel im nahrungsreichen Wattenmeer für ihre langen Flüge zu den Brutplätzen im Norden oder ins warme Winterquartier. Die Pfuhlschnepfen haben es ihm besonders angetan, denn diese hübschen Leichtgewichte sind die Langstreckenrekordler. Im September 2020 ist solch ein mit einem Sender versehener Vogel in gut neun Tagen nonstop 12.200 Kilometer von Alaska bis nach Neuseeland geflogen!
Die Kraft für diese enorme Leistung holen sich die Pfuhlschnepfen im Wattenmeer und in anderen Feuchtgebieten. „Pfuhlschnepfen fressen sechs Wochen lang täglich rund 600 Muscheln und legen so ein Fettdepot an", erklärt der Experte. Bis zur Abreise erweitern sich auch die Lungen und das Gehirn. Die Videos mit den bunten Vogelschwärmen machen dann vollends süchtig nach dem Wattenmeer.
Gleich mal eine Tour mit einem Mandø-Traktorbus unternehmen, der vor dem Wattenmeer-Zentrum parkt? Ad hoc geht das nicht. Dieser von einem Traktor gezogene Bus fährt nur bei Ebbe hinüber zur Insel Mandø. 10.30 Uhr am nächsten Morgen erlaubt der Tidenkalender.
Hexenmuseum im Fachwerkbau
Als ich mit Bus 411 aus Ribe ankomme, ist der Mandø-Bus schon startklar. Gleich geht’s rumpeldiepumpel durchs Niedrigwasser. In den Meeresboden gesteckte Zweige weisen Fahrerin Beret den Weg. Die zierliche Frau macht das seit 32 Jahren und hat alles im Griff.
Auf Mandø rattert der Traktorbus bis zu einem Dorf. Einige Häuser und Ferienquartiere, ein Restaurant, ein Café, ein Laden und eine kleine Kirche – das ist so ziemlich alles. Und nun keine Zeit beim Mittagessen vertrödeln. Nach einigen Blicken in die kleine Kirche und die Rettungsstation wandere ich ganz allein am Wattenmeer entlang. Von Buhnen geschützt dehnt es sich endlos. Einige Vögel sind im Watt zu sehen und grasende Schafe am Ufer. Alles wirkt so friedlich.
Während der Rückfahrt sitzen alle oben auf dem Busdeck. Nordsee- und Fahrtwind zerzausen die Haare. Erneut rumpelt der Traktorbus, manchmal leicht schlingernd, durchs Wasser. Wieder auf dem Festland fühlen sich alle wie Abenteurer. Für mich endet diese Seefahrt zunächst im Vester Vedsted Vingård unweit vom Wattenmeer-Zentrum. Das Weingut ist ein Familienbetrieb. Vater und Mutter kümmern sich um die Weinstöcke und den Gemüseanbau, das junge Paar Marie und Xavier um den Laden und die Bewirtung der Gäste. Xavier brät ein köstliches Omelett zum angenehm fruchtigen Weißwein. Marie bringt noch Kuchen und Tee in den sonnigen Garten.
Schließlich bleibt noch das Hexenmuseum in Ribe, das im Sommer 2020 in dem fast 500 Jahre alten Fachwerkbau Quedens Gaard in der Sortebrødregade eingerichtet wurde. Zumeist waren es Frauen, die man für diverse Übel verantwortlich machte und denen man einen Pakt mit dem Teufel unterstellte. Sie wurden gefoltert und verbrannt, in Dänemark etwa 1.000, in Deutschland 25.000 und in ganz Europa mindestens 60.000. Ein kurzes Video zeigt unablässig solch ein Geschehen. Die Ausstellung endet positiv mit einem Blick auf die heutigen Hexen: Moderne Frauen, die ihren Weg gehen. Eine solche Hexe begegnet mir gleich um die Ecke im Restaurant Quedens Gaard, wo ich ein Stück Schokoladentorte mit einer Kugel Eis bestelle. „Wir haben leider kein Eis", bedauert die junge Frau am Kuchenbuffet. Als sie mir den Teller zum Tisch bringt, liegen dennoch drei Eiskügelchen neben dem Tortenstück. Die hat sie wohl darauf gezaubert.