Die Linke hat sich im Bundestag als Oppositionspartei bewährt. Sie kann konstruktiv sein, aber ein Bündnis will niemand so recht.
Opposition ja, das können sie. Das zeigt allein die Anzahl der Großen und Kleinen Anfragen, die Schwachpunkte in den Ministerien aufgedeckt haben. Das zeigen die geschliffenen Reden ihrer Protagonisten wie Gregor Gysi oder Dietmar Bartsch. Sie sprechen auch die richtigen Themen an, wie sie gerade nach der Corona-Zeit auf dem Tisch liegen; Mindestlöhne, Privatisierung des Gesundheitswesens, Vermögensabgabe, Kurzarbeitergeld, Mietsenkungen, Erhöhung des Rentenalters. Darin unterscheiden sie sich auch nicht allzu sehr von den Grünen. Doch weder die SPD noch Habeck/Baerbock sind an einer Zusammenarbeit wirklich interessiert.
Eine sozialistische Partei ist sie nicht, eher eine Partei mit linker politischer Ausrichtung und einem Fokus auf feministisch-sozialistischen Themen. Ihre Umfragewerte liegen heute mit 6,9 Prozent nicht komfortabel über den nötigen fünf Prozent – und obwohl Fraktionschef Dietmar Bartsch den sicheren Eindruck vermitteln möchte, seine Zukunft sei auf der Regierungsbank, sind die Aussichten eher schlecht. Denn über ein Dilemma kommt die Linke nicht hinaus: Warum profitiert die Partei nicht, wenn ihre Themen Konjunktur haben?
Knapp über der Sperrklausel
Die Linke entstand 2007 durch die Verschmelzung der Linkspartei PDS und einer Abspaltung der SPD, der WASG (Wahlalternative Arbeit & Soziale Gerechtigkeit). Seit 2021 sind Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch die Fraktionsvorsitzenden. Sie ist die zweitkleinste Partei im Bundestag (37 Männer, 32 Frauen). In ihrer jetzigen Zusammensetzung hat sie erst drei Bundestagswahlen miterlebt. 2009 erreichte sie mit 11,9 Prozent der Zweitstimmen ein gutes Ergebnis. Obwohl es 2013 nur für 8,6 Prozent der Zweitstimmen und vier Direktmandate reichte, wurde die Partei damit vor den Grünen drittstärkste Kraft im Bundestag. 2017 verbesserte sich das Ergebnis leicht mit 9,2 Prozent.
Der ostdeutsche Teil der Linken war in der Wende aus der SED hervorgegangen. Nach einigem Personalaustausch und programmatischen Wandel nannte man sich zunächst Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) und ab 2005 Die Linkspartei PDS. Bei der Bundestagswahl 1998 überwand sie zum ersten Mal mit 5,1 Prozent die Sperrklausel und zog in den Bundestag als Fraktion ein. Der westdeutsche Teil, die WASG entstand ab 2003 aus von Schröders Hartz-IV-Reformen enttäuschten Sozialdemokraten. 2004 brachte der aus der SPD ausgeschiedene Oskar Lafontaine einen Zusammenschluss mit der PDS ins Spiel. Bei der Wahl am 18. September 2005 erreichte das Linksbündnis 8,7 Prozent der Stimmen und wurde somit im Bundestag die viertstärkste Kraft.
Die Traditionslinien, die sich aus der gemeinsamen Vergangenheit ergeben, bestimmen die Linke bis heute. Die nur etwa 60.000 Mitglieder der Partei gliedern sich unter anderem auf in die 1.200 Mitglieder starke Kommunistische Plattform, die antikapitalistische Linke, die in der DDR vor allem eine stalinistische Bürokratie sahen, die junge progressiv-emanzipatorische Bewegungslinke, die Reformlinke, die Ökologische Plattform und das ideologietreue Marxistische Forum. Sahra Wagenknechts Aufstehenbewegung scheint entschlafen zu sein. Umweltschutz, emanzipatorische Ansätze spielten also von Anfang an mit hinein.
Diese vielen Strömungen erzeugen Reibungsflächen unter den Genossen. Und wenn Linke sich streiten, ist das nicht einfach Streit, es sind ideologische Auseinandersetzungen, es geht ums Ganze, die „Linie". Ein Brief mit Glückwünschen zum 85. Geburtstag von Fidel Castro sorgte für erhebliches Aufsehen genau wie die Absicht einiger Linker, den 50. Jahrestag des Mauerbaus zum Anlass zu nehmen, die Mauer zu verteidigen. Jüngster Fall: Sahra Wagenknechts Abrechnung mit den „Selbstgerechten", für die sie beinah aus der Partei ausgeschlossen wurde. Solche Spannungen und Spaltungen machen die Arbeit einer Fraktion nicht leichter – sie untergraben im Gegenteil ihre Glaubwürdigkeit.
Seit sie eine gesamtdeutsche Partei sind, hat sich ihre Rolle als Anwältin des Ostens geändert. Die Aufgabe des „Kümmerers" hat nun die AfD übernommen, sie organisiert Spieleabende, Mieterberatungen, Sammelaktionen und ist da, wenn es etwas gibt, worüber man sich empören kann. Der Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch hält dennoch fest: „Ich werbe trotzdem dafür, dass wir uns weiter als besondere ostdeutsche Interessenvertretung verstehen. Gründe gibt es genug: Ostdeutsche arbeiten länger und verdienen bei gleicher Arbeitsleistung immer noch weniger als Westdeutsche, die versprochene Angleichung der Renten gibt es weiter nicht, und wir haben eine enorme Repräsentationslücke: In keinem Bundesministerium zum Beispiel steht ein Ostdeutscher an der Spitze."
In der Corona-Zeit hat auch die Linke sich den Gemeinsamkeiten mehr geöffnet. Gerade am Anfang der Krise rückten Regierung und Opposition – mit Ausnahme der AfD – im Bundestag dicht zusammen. Amira Mohamed Ali, Co-Vorsitzende der Linksfraktion: „Also, ich hatte schon den Eindruck, dass zumindest so am Anfang, als es um dieses große Hilfspaket ging, dass auch eine nennenswerte Bereitschaft der Regierungsparteien da war, da auch einfach Anregungen aufzunehmen. Also, es war so spürbar, dass das eine Sondersituation ist, wo man ein Stück weit anders zusammensteht als vorher."
Nicht mehr die Partei der „kleinen Leute"
Mit dem Erfolg in Westdeutschland vor allem in den urbanen Zentren – Hamburg, Bremen, andere Großstädte – aber ist sie „deutlich westlicher und in gewisser Weise auch urbaner geworden", sagt Parteienforscher Thorsten Holzhauser. Damit stellt sich die Frage: Wen vertritt die Linke eigentlich? Sind es noch die „kleinen Leute", die das letzte Mal AfD gewählt haben, oder ist es eine linksliberale, intellektuelle und vor allem städtische Minderheit?
Die Fraktion jedenfalls arbeitet im Bundestag konstruktiv mit. Vorbei sind die Zeiten wie Anfang 2012, als herauskam, dass 27 Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion und damit mehr als ein Drittel der Abgeordneten der Linksfraktion gesondert durch den Verfassungsschutz beobachtet werden. Unter den Beobachteten befand sich fast die gesamte Führung der Bundestagsfraktion. Politiker von FDP, SPD, Grünen und der CDU kritisierten dies, doch selbst 2013 standen noch einige der Linken unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Erst 2014 teilte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) dem Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi mit, dass Bundestagsabgeordnete der Linken nicht mehr vom Verfassungsschutz beobachtet werden und dass Bundestagsabgeordnete „künftig generell von der Beobachtung durch den Inlandsgeheimdienst ausgenommen" seien.
Heute setzen sie Untersuchungsausschüsse durch wie dem „Cum/Ex"-Ausschuss, den sie zusammen mit der grünen Bundestagsfraktion zur Aufklärung des Skandals durchgesetzt hat, wobei sie laut eigener Aussage mit diesem Ausschuss Millionen Steuergelder für den deutschen Staat retten konnte. Dazu schrieb der beste Finanzexperte, den die Linke je hatte, Fabio die Masi: „Es war die perfekte Anleitung zur Selbstbedienung aus der Steuerkasse. Ein Netzwerk aus Banken, Anwälten und Superreichen raubte über das sogenannte Dividendenstripping jahrelang die Steuerzahlenden in Deutschland und Europa aus. Im Finanzjargon heißen die schmutzigen Geschäfte Cum-Ex oder Cum-Cum-Deals. Der Schaden beträgt inzwischen viele Milliarden Euro." Genau dieser Abgeordneten hat sich leider zurückgezogen, offiziell wegen Arbeitsüberlastung, aber auch, weil er in der Fraktion für Wagenknechts Positionen eingetreten ist.
Der Untersuchungsausschuss zur Pkw/Maut-Affäre wurde auf Antrag aller drei Oppositionsfraktionen im November 2019 eingesetzt. Auch der ein Jahr später eingesetzte Wirecard-Ausschuss ging auf die drei Fraktionen zurück. Allein in der 19. Legislaturperiode stellte die Fraktion die Linke 11.000 Kleine und Große sowie schriftliche und mündliche Anfragen an die Bundesregierung. Diese Anfragen müssen von den Ministerien bearbeitet und beantwortet werden. Sie bringen manchmal erstaunliche Dinge zutage: Wo zum Beispiel das für die Handyherstellung benötigte Kobalt herkommt und unter welchen Bedingungen in Argentinien Lithium gewonnen wird.
Als es in der letzten Sondersitzung des Bundestages um die Frage ging, ob die Grünen für die Rettung der Afghanistan-Flüchtlinge durch die Bundeswehr mitstimmen würden, enthielten sich die meisten. Fünf stimmten für, sieben gegen die Evakuierungspläne. Es war das erste Mal, dass Linke einem Bundeswehreinsatz zustimmten.