Anett Franke ist Gründerin, Inhaberin und Designerin des Labels TAF Woman. Sie gestaltet eine Mode für Frauen, die stilvoll und selbstverständlich zugleich ist: im Homeoffice ebenso wie auf den Laufstegen der täglichen Geschäftigkeit.
Ein betörender Duft frischer, weiß blühender Lilien umhüllt einen geschmackvoll eingerichteten Raum. An den Wänden Kunstdrucke. Abstrakte Bilder, Porträts. Ein langer Tisch mit Tüchern, Schals, Stulpen. In einer Ecke ein kleiner runder Beistelltisch, eingerahmt von zwei Ledersesseln aus den 60er-Jahren. Einer olivgrün, der andere bordeauxrot, die zum Innehalten einladen. Das Ladengeschäft liegt im Herzen von Leipzig im ruhigen Hof des Gebäudekomplexes „Städtisches Kaufhaus".
Auf Schneiderpuppen und Damenbüsten präsentieren sich Blusen, Pullis, Tops, Shirts, Kleider, Hosen, Mäntel, Festtagsmode. Allesamt selbst gefertigt von Anett Franke. Die Designerin ist 57, trägt einen schwarzen, schräg geschnittenen Rock, dazu ein weißes Shirt. Die blonden Haare hat sie zu einem Zopf zusammengebunden. „Mode ist unsere zweite Haut. Unübersehbar. Sie prägt Denk- und Glaubensmuster, ist Ausdruck unserer Persönlichkeit. Und wir entscheiden, ob wir uns darin wohlfühlen wollen", sagt sie und stellt dabei einige ihrer außergewöhnlichen Entwürfe vor.
TAF Woman ist ein kleines, urbanes Unternehmen. „So ein kleines Label zu entwickeln, ist nicht üblich, und es war für mich oft eine Gratwanderung zwischen dem Bedienen des Mainstreamtrends und dem Bewahren der eigenen Aussage", erinnert sich die Modegestalterin. Einzigartig in ihrem Mode-Repertoire sind die Röcke, deren Oberflächen bei immer gleicher Schnittform wandelbar sind. Teils werden sie von Künstlern gleich einer Leinwand im Original bemalt oder auch durch die Designerin selbst mittels verschiedener textiler Techniken gestaltet. So entstand eine ganze Serie unter dem Slogan „Rock-Kultur". Ein halblanger Wickelrock mit einem verdeckten Knopfverschluss, der zugleich eine Größenregulierung von 34 bis 42 ermöglicht.
„Oft ergeben sich neue Möglichkeiten im Design. Wenn ich merke, die Idee taugt für eine Kollektion, gehe ich weiter und entwickle weitere typische TAF-Modelle mit einem ganz besonderen und zugleich selbstverständlichen Charakter."
Vielfach setzt sie bei den Schnitten auf minimalistische Gestaltung, auf Asymmetrien, und drapiert die Kleider schwungvoll. „Asymmetrien vermitteln Dynamik. Frauen werden nicht nur in den Proportionen freundlich bedacht, sondern auch durch junge, moderne Optik, durch sportliche Akzente. Das verjüngt und suggeriert der Trägerin auch eine geistige Beweglichkeit: Ich bin modisch und zugleich auch dynamisch mit einem klassisch, sportlich-eleganten Ausdruck." Ihre Mode soll gelebt sein, sich in den Alltag der Frauen integrieren und trotzdem die individuelle Persönlichkeit unterstreichen. „Der Aspekt des Schönen, des nicht Allzugefälligen, ist mir wichtig."
„Mode ist unsere zweite Haut und ein Ausdruck unserer Persönlichkeit"
Manche der gedruckten Textilien entstehen, inspiriert durch Bilder des von ihr verehrten Malers Gerhard Richter. In Rakeltechnik, die Farbe wird mit der Rakel auf dem Stoff verschoben. Auf anderen Textilien sind spontane, gestische Abstraktionen abgebildet. Originelle, freie grafische Muster, einfache Linien und Bögen. Mit Riesenpinsel und feuchten Farben. Ab und an ein Klecks. Einige ihrer Röcke und Blusen, Shirts und Tops ähneln der japanischen Tuschemalerei. Variationen in grauweiß und gelbgrün. Echte Hingucker. Farbe ohne Buntheit. Minimalistisch. Stilvoll.
Minimalistisch ging es nicht immer in ihrer Schneiderwerkstatt zu. Früher sei ihr Mode nicht wichtig gewesen. Das habe sich im Laufe ihres Lebens geändert. Anett Franke wurde in der Porzellanstadt Kahla in Thüringen geboren. In Halle an der Saale absolvierte sie zunächst ein wissenschaftliches Studium als Agraringenieurin für Pflanzenzucht. Mit der Wende musste sie sich neu orientieren. Sie jobbte als Anzeigenberaterin in Verlagen. Sie entwarf Kinderspielzeug und nähte Raumtextilien, improvisierte märchenhafte Kostüme für Faschingsfeiern. Aus Unterröcken Prinzessinnenkleider, Kleider für Feen und Elfen, Kostüme für Könige und Ritter. „Das hätte ich gern ewig weiter gemacht, doch plötzlich gab es überall fertige Faschingskostüme zu kaufen. Ich bekam kaum noch Aufträge. So setzte ich mich auf den Hosenboden, erlernte die klassische Schneiderei, Schnitt und Konstruktion." Alles Wissen holte sie sich autodidaktisch aus Büchern und anderen Lehrmaterialien. „Kurse gab es damals keine. Man musste sich kümmern. Bei der Handwerkskammer konnte man mich nirgendwo einordnen." Drei Jahre nach der deutschen Einheit wagte sie den Schritt in die Selbständigkeit. Gut zehn Jahre später zog sie mit Firma und Familie nach Leipzig.
„Ich fragte mich, was leistet Mode? Entweder wir ‚ver-kleiden‘ uns, oder wir kleiden uns an. Angemessen und mit der klaren Ansage: Wer möchte ich sein? Wer kann ich sein? Wie möchte ich gesehen werden? Anfangs wollte ich nur die Vorstellungen der Frauen bedienen, das war reine Auftragsarbeit. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich verzettelte." Bald aber war der Wunsch nach einer eigenen Aussage so stark, dass sie begann, Kollektionen zu entwickeln. Gestaltung, das war schon immer ihre Leidenschaft. „Ich wollte ehrlicher sein, einfache häusliche Alltagsbekleidung sollte nicht getrennt sein von der Kleidung, die draußen getragen wird. Viele meiner Kundinnen müssen einem bestimmten Dresscode folgen. Andere müssen repräsentieren. Wieder andere sagen, sie seien ja nur im Homeoffice. Da müsse es nicht so perfekt sitzen." Doch ist nicht die Art und Weise, wie wir leben, denken, handeln – wie wir uns kleiden, eine Form von Kultur, fragt Anett Franke und meint: „Auch zu Hause sollten wir uns nicht hängen lassen, sondern uns einen gewissen Stil wert sein." Anett Franke schaut etwas nachdenklich aus dem Fenster ihres kleinen Ladens auf den Gehsteig am Neumarkt. Häufig erlebe sie auch Frauen, als wollten sie sich bewusst zurückziehen, ihre Schönheit und Eleganz verstecken.
Franke macht keine schnelllebige Mode
„Nur nicht zu schick, sagen sie. Oft stehen sie verunsichert vor dem Spiegel, fühlen sich zu dick, zu alt, wollen nicht auffallen. Natürlich geben wir mit der Kleidung immer Auskunft über uns selbst. Das kann auch missverstanden werden." Anett Franke ermutigt ihre Kunden, ohne sie zu bedrängen. „In dem Sinne: Ich bin präsent um meiner selbst willen als Mensch. Ohne dabei laut zu sein. Ohne dass einem etwas entgegenknallt.
„Meine Mode muss stimmig sein, ohne darüber zu stolpern. Da sollte nichts rutschen, nichts einengen, nichts zwicken und zwacken. Bestenfalls für mehrere Gelegenheiten tragbar. Im Büro wie auch zu festlichen Anlässen." Das lässt sich über kleine Accessoires wie Tücher, Schals oder Stulpen variieren. So kann die Frau ihr Outfit schnell wechseln. Zeitloses Design heißt nicht, altmodisch sein.
Von ihrem Verkaufsladen führt eine schmale Wendeltreppe hinauf in ihr Design-Atelier. Hier lagern feinste Stoffe, Seide, Spitzen, Jersey. Naturstoffe. Auf dem Werktisch Nähmaschine, Scheren, Garne, Zentimetermaß. Patchwork-Muster anfallender Stoffreste in verschiedensten Farbvariationen. Kleiderpuppen mit angeschnittenen Textilien.
Hier erfolgen Entwurf, Zuschnitt, Einzelanfertigung.
Anett Franke macht keine schnelllebige Mode, die rasch satt macht und derer man bald überdrüssig wird. Die Modemacherin arbeitet langjährig mit Schneiderinnen aus der Region zusammen. Das seien langjährige, wertschätzende Beziehungen, die nicht einfach austauschbar sind. Nachhaltigkeit und Langlebigkeit sind ihr wichtig. „Wenn man sich zu stark dem kommerziellen Geschmack beugt, kann man für die Aussicht auf einen schnellen Verdienst den Wertgehalt der eigenen langjährigen Designarbeit verlieren", so die Erfahrung der Modedesignerin. Sie möchte, dass sich ihre Kundinnen wohlfühlen auf eine selbstverständliche Art, ohne unnötigen Schnickschnack. „Mein Anliegen ist es, ihnen den Alltag zu verschönern, und dass sie ihre schönsten Kleider nicht wie einst nur sonntags tragen, so als würden sie einen Schonbezug um ihr Sofa legen. Dass sie wissen, sie sind gut angezogen, haben eine gewisse Klasse, ein gewisses Lebensgefühl: Ich bin da, aber ich bin nicht die lauteste im Raum."
„Ich weiß nicht, wie es mit meinem Label weitergehen wird"
Still wurde es im Geschäft der Modefrau während des Lockdowns. „Das war keine leichte Zeit. Doch über die Möglichkeit des Onlineshops wurde ich von meiner deutschlandweiten Stammkundschaft mit gezielten Einkäufen toll unterstützt." Als sie ihr Verkaufsgeschäft wieder öffnen konnte, gab es anfangs viel Betrieb. Jetzt aber kommen wieder weniger Leute.
„Es herrscht offenbar eine große Verunsicherung. Ich weiß nicht, wie es mit meinem Label weitergehen wird. Werde ich meinen Laden halten können? Werden die Mieten steigen?" Vorsichtig wird sie sich nach Geschäftspartnern umschauen, wird das überregionale Angebot verstärken und auf Messen präsenter sein. „Ich denke, mit Ideen und Witz, mit Beharrlichkeit und Gründlichkeit in meiner Mode blicke ich spannungsvoll und zuversichtlich in die Zukunft."
Anett Franke gehörte in den Jahren 2010 und 2011 zu den Finalistinnen des Innovationspreises für Modedesign im Bereich Gala und Festmoden. In ihren Entwürfen spielt die Modedesignerin immer wieder gern unter einem neuen Aspekt mit Formen und Materialien und gestaltet ihre außergewöhnlichen Modestücke als Frau für Frauen.