Um fernöstliche Traditionen zu erleben, muss man nicht unbedingt ins Flugzeug steigen. In Berlin und Umgebung gibt es drei wunderbar durchkomponierte Japanische Gärten.
Ach Japan, Du Land der aufgehenden Sonne, zu Dir zu reisen, das wäre schön. Aber sich 9.000 Kilometer weit in den Osten der Welt auf den Weg zu machen, ist zum einen wohl erst wieder 2023 möglich – zum anderen nicht gerade einen Steinwurf entfernt. In Berlin und Umgebung gibt es Alternativen: drei japanische, grüne Enklaven – filigrane mit wissender Hand durchkomponierte Gärten, die traditionelle Teehäuser mit zartblättrigen Grüntees beherbergen.
Zum einen sollte es ein Frühlingsritual werden, sich eine Promenade durch die Asahi-Allee zu gönnen – eine 1,5 Kilometer lange, von über 1.000 Kirschbäumen gesäumte Allee, entlang des Mauerwegs in Teltow. Nur kurze Zeit im April inhaliert man das japanische Symbol für Schönheit, Aufbruch und Vergänglichkeit mit Augen und Nasenflügeln. Der bekannteste Japanische Garten in Berlin ist wohl der in den Gärten der Welt, der sich in einer Reihe von elf europäischen und überkontinentalen befindet. Asien ist vertreten durch China, Korea und Bali. Im Rahmen der Städtepartnerschaft Berlin-Tokio eröffnete dort Berlins erster Japanischer Garten 2003 seine Pforten: „Yū Sui En" (Garten des zusammenfließenden Wassers). Am Berliner Stadtrand – in Marzahn – erschuf Gartenmeister und Zen-Priester Shunmyo Masuno ihn als Ort der Stille – von Schatten und Licht. Die von Steinen, Trockenwasserfall, Zengarten und dem Chaya – Weltfriedens-Pavillon „Nyo Sui Tei" – umsäumten Wege verbinden Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Wasser ist stets das Leitmotiv. Ein Wasserfall, der als Quelle in einen Rasen fließt, symbolisiert die Vergangenheit. Ein Bach, der in einen Teich mit Pavillon plätschert, steht für die Gegenwart. Der Zen-Meditationsgarten – ein typischer Trockengarten mit wellenförmiger Kiesornamentik wird täglich sorgfältig geharkt. Er steht für eine Zeitlosigkeit, die in eine ungewisse Zukunft strömt. Das Element Wasser existiert meist nur durch Vorstellungskraft und wird durch Steine symbolisiert. Bambus umsäumt standfest. Anmutig vom Wind bewegt, steht er für den Menschen, der im Leben steht. Pflaumen- und Kirschbäume blühen und verblühen im Jahreszyklus als Zeichen der Vergänglichkeit. Immergrüne japanische Rotkiefern trotzen als Gegenpol hingegen der Zeit.
„Die Natur besser wahrnehmen"
Dass japanische Pflanzen sich auch in unseren Gefilden wohlfühlen, weiß Tilo Gragert, der vor 25 Jahren im Familienverbund den Japanischen Bonsaigarten in Ferch erschaffen hat: „In Japan herrschen mit relativ viel Feuchtigkeit ähnliche klimatische Bedingungen wie bei uns", weiß der in sich ruhende Mann mit dem Strohhut und den Zori-Sandalen. Seine Liebe zu Japanischen Gärten habe er 1979 in einem Büchlein von der Mutter entdeckt, war dann 1994 zu einer Studienreise nach Japan gereist und pflegt und hegt seitdem ebenso sanft wie streng getaktet die über 30-jährige „Gartenvirus-infizierte" Familientradition – nur eben auf Japanisch.
Im Bonsaigarten – einem Ort nicht von dieser Welt – werden die bis zu 180 Jahre alten Bäumchen, zumeist Miniatur-Azaleen, wie eine geliebte Kinderschar rund um die Uhr versorgt. Ursprünglich und noch vor der kalendarischen Zeitrechnung kommen die „Bäume in Schalen" aus China.
Unter dem Einfluss des Zen-Buddhismus wurde die Kultur bis heute weiter gepflegt. „Unsere Besucher kommen von weit her, um die über 1.000 individuell gezogenen Bonsais zu erstehen. Auch ins brandenburgische Ferch am Schwielowsee kommt seit zehn Jahren ein japanischer Gartenmeister und klettert zum Beschneiden der Bäume in die Wipfel der Hochwüchse. Die kleinwüchsigen Gewächse seien hingegen nicht das Komplizierteste in der Pflege. Der sensible Umgang mit Wässerung und Licht sei entscheidend. Von den kleinen Kiefern, die kniehoch in der weißen Sandfläche stehen, bis zu den überhaushohen Bäumen müsse alles, bestimmt von einem festen Tagesrhythmus äußerst sorgsam gepflegt und geformt werden. Sie sollen groß und stark wie Shogune werden oder für immer knorrig und klein bleiben – alles versinnbildlicht Beständigkeit. Das hohe Alter merke man einem Bonsai an, wenn man sich achtsam auf ihn einlasse. Bevor man sich im Herzstück – der Veranda vor dem Teehaus – in einem Pavillon mit geschwungenem Dach zum innigen Verweilen niederlasse, sei der Besucher eingeladen, durch den als Rundgang angelegten Garten zu wandeln. Die Landschaften seien wie lebendige Gemälde angelegt. Je ruhiger der Gedankenstrom wird, desto lebendiger entwickelt sich die Fantasie. Hier dürfen Imagination und Interpretation walten. Der Sand könnte für den einen ein Ozean sein, für den anderen feiner Nebel über Wasser. Auch wenn sich alles im Wandel der Jahreszeiten verändere, bleibe alles doch gleich – wie eine kleine Ewigkeit. „Der Garten lehrt, die Augen zu sensibilisieren und die Natur besser wahrzunehmen", so Gragert, in dessen Stimme etwas unaufgeregt Andächtiges mitschwingt. Japanische Gärten werden seit vielen Jahrhunderten angelegt und faszinieren durch Klarheit und Perfektion. Die luftig-akkurate Leichtigkeit, die in diesem stillen Garten im Berliner Gefilde durch den Raum flirrt, wird auch von den tonnenschweren, aus Japan importierten Findlingen nicht erschwert, die nach japanischer Auffassung eine Seele haben. Ob farbenprächtige kugelförmige Azaleen, feinblättriger japanischer Ahorn oder anmutige Zierkirschen: Die Vegetation scheint die Schwerkraft gänzlich aufzuheben. Kleine Steinbrücken und ein Sandweg navigieren durch hügelige Moosflächen, „Farbkarpfen" schimmern unter der Wasseroberfläche des zentralen Teichs.
Die Nishikigoi – bekannt als Kois – haben es auch Dr. Eckhardt Albert angetan. Der Fischliebe des pensionierten Chefarztes und seiner Frau ist es zu verdanken, dass es seit 2019 auch im Sorben- und Wendenland des Spreewalds –
in Burg – eine preußisch-asiatische, private aber öffentlich zugängliche Gartenenklave gibt. Schon der Größe von 21.000 Quadratmetern wegen kann sie keine „Japanerin" sein. Typisch Japanische Gärten sind übersichtlich. Aber im weitläufigen, beindruckend ausgestalteten „Gartenreich mit asiatischen Elementen" und dem zentralen 120 Quadratmeter großen Teich leben aktuell an die 120 der rot, schwarz, gelb, orangenen japanischen Prachtexemplare. Früher habe Albert seine Kois direkt aus Japan importieren lassen, habe ihnen Namen gegeben wie Yellow Submarin, Blacki oder Captain Sparrow. Red Lips, ein viele Jahrzehnte alter Fisch, sei noch übrig von der ersten Garde. Bis zu 90 Zentimeter groß, über 100 Jahre alt werden diese japanischen Haustiere. Der Liebling aller Japaner sei der Tancho – weiß mit rotem Punkt auf dem Kopf ist er mit den Farben der japanischen Flagge ein Wahrzeichen des ostasiatischen Landes.
Göttin Shiva steht im Klanggarten
Die feinen Fische werden nach allen Regeln mit sensiblen Temperaturen und sorgsamen Überwinterungsstrategien versorgt, aber Seeadler, Waschbär und Nachbars Katze minimieren als natürlichen Feinde den Bestand. Viele habe er verloren. Lange hatte Albert auch mit behördlichen Auflagen gekämpft, um mit Jahren Vorlauf seinen wahr gewordenen Lebenstraum 2019 zu eröffnen. Eine Synergie aus preußisch-asiatischer Gartenkultur hat sich durch die Geschichte Friedrich des Großen ergeben, der eine große Affinität zu Asien hatte. Jeden Samstag um 11 Uhr führt der „alte Fritz" alias Eckhardt Albert seine Besucher durchs Gartenparadies, berichtet über die Besiedlung von Burg und die Lausitz. Sein Wissen über die asiatische Gartenkultur hat er sich angelesen, die Regeln der Gartenkunst studiert und sukzessive mit zwei Gärtnern in den Raum übertragen. Und er liebe asiatische Filme – koreanische und chinesische. Davon habe er 3.000 Videos als Vorlage einer selbst erdachten Gartentopografie. Unzählige Pflanzen und Formgehölze und sechs Mammutbäume wachsen so gemäß Anleitung im Koigarten. Selbst entworfen auch die Pagode, von der der Blick auf Wasserläufe, Steinbrücken, gewundene Wege und das zentrale Teehaus mit Dachterrasse, Gastronomie und Biergarten fällt. Am 150 Meter langen Rundweg, der in einer Stunde zu ergehen ist, stehen Steinfiguren aus dem gesamten asiatischen Raum. Der Mix macht’s, die Ziersteine kommen statt aus dem fernen Asien aus dem Tagebau der Lausitz. Im Klanggarten stehen verschnörkelte Holzstühle um eine Steinlaterne und Göttin Shiva breitet am grünen Horizont die Arme aus, während am Eingang die Büste vom Preußenkönig vom Sockel grüßt. Auch hier atmet man, wie in allen Japanischen Gärten in Berliner Gefilden den Geist des fernen Japans. Das Weite liegt am Ende doch so nah.