Die Tage der Afghanistan-Krise waren „eine Zeit ganz großer Sorge", sagt die Bundesverteidigungsministerin. Annegret Kramp-Karrenbauer beim FORUM-Redaktionsgespräch über die Konsequenzen der Krise, den Wahlkampf der CDU und ihre eigenen Ambitionen.
Frau Kramp-Karrenbauer, wie waren die Tage der Afghanistan-Krise aus ihrer Sicht?
Es war eine sehr intensive Zeit, zwei Wochen, in denen keiner wirklich geschlafen hat, weder in Kabul, noch in Taschkent, noch in Berlin. Es war eine Zeit ganz, ganz großer Sorge um die, die evakuiert werden mussten, aber natürlich auch um unsere Soldatinnen und Soldaten. Aber auch eine Zeit, die das Beste in vielen Leuten hervorgebracht hat. Eine Zeit, in der unsere Soldatinnen und Soldaten Herausragendes geleistet haben, General Arlt und seine Männer und Frauen alles gegeben und wo ich aus tiefer Überzeugung sagen kann: Ich bin stolz auf die Truppe, und wir alle stehen ganz tief in ihrer Schuld.
Wie sind Sie persönlich damit umgegangen: auf der einen Seite die Situation in Afghanistan, auf der anderen die Diskussionen hier?
Diesen politischen Diskussionen muss man sich stellen, das habe ich auch in aller Offenheit getan und gesagt, jeder muss für sich entscheiden, wo er seine Verantwortung trägt. Ich habe aber auch gesagt: Ich bin dankbar, dass auch der Großteil der Kolleginnen und Kollegen des Bundestages den Einsatz mitgetragen hat. Für mich stand der Einsatz im Vordergrund. Darauf konnte ich mich dann auch konzentrieren.
Über Folgen und Konsequenzen wird weiter geredet, auch auf europäischer Ebene.
Wie viel Nachholbedarf gibt es da, sowohl strategisch als auch materiell?
Der erste Punkt, den wir nicht vergessen dürfen, ist: Wir haben immer noch viele Menschen in Afghanistan, die gefährdet sind, denen wir verpflichtet sind und die wir rausholen müssen. Das läuft im Moment mehr auf der diplomatischen Ebene. Diese Menschen dürfen wir nicht vergessen, auch wenn die Frage die Schlagzeilen nicht mehr dominiert. Das Zweite ist: In der Frage, dass Amerika diese Entscheidung einseitig getroffen hat, muss man feststellen, dass wir als Europäer eigentlich keinen Widerstand geleistet haben, weil wir alle wussten, dass wir diesen Einsatz ohne Amerika nicht weiterführen können. Deswegen haben wir als Europäer darüber diskutiert, was wir brauchen, um insgesamt stärker zu werden. Nicht, um die Amerikaner zu ersetzen oder uns von ihnen zu lösen, sondern um mehr auf Augenhöhe agieren und eigenständiger handeln zu können. Ich habe konkrete Vorschläge gemacht, wie so etwas gehen könnte. Dabei ist weniger die Frage, wie viel Truppen wir zur Verfügung stellen können, sondern wie die Entscheidungsprozesse laufen, wie schnell wir ins Handeln kommen und ob wir den politischen Willen dazu haben.
Ist es dabei hilfreich, mit Frau von der Leyen jemanden an der Spitze der EU-Kommission zu haben? Mit langjähriger Erfahrung als Verteidigungsministerin?
Das ist hilfreich, weil sie aus eigener Erfahrung weiß, wie schwierig es ist, so etwas aufzubauen. Das kann helfen. Aber die entscheidenden Impulse müssen, das ist meine feste Überzeugung, von den Mitgliedsstaaten selbst kommen. Die militärischen Fähigkeiten, die wir haben, liegen alle in nationaler Verantwortung. Alle Armeen haben Spezialkräfte. Aus meiner Sicht wäre es hilfreich, wenn diese regelmäßig miteinander trainieren würden. Es wäre auch wichtig, dass wir festlegen, wie man in einer solchen Situation schnell zu Entscheidungen kommt.
Das heißt, es fehlt weniger an den Kräften als an der Willensbildung?
Wir haben das in der Nato seit vielen Jahrzehnten eingeübt. In der EU haben wir die Agentur für europäische Verteidigung, trotzdem sind die Verfahren noch nicht so eingeübt. Ich habe vorgeschlagen, dass wir den Artikel 44 der EU-Verträge nutzen. Der besagt für den Fall, dass man einen Staat unterstützen will, aber sich nicht alle Mitglieder beteiligen wollen, dies in einer Koalition der Willigen zu machen. Die Nordeuropäer haben zum Beispiel vorgeschlagen, zu definieren, welche Ländergruppen für welche Regionen die Federführung haben. Es gibt also viele kluge Vorschläge, da sollten wir jetzt die ersten Schritte machen.
Zum Wahlkampf: Die Ausgangssituation für die Union nach dem Stand der letzten Umfragen ist bekannt. Wie sehen Sie die Lage mit der Erfahrung aus Wahlkämpfen, die Sie auch auf den letzten Etappen noch gedreht haben?
Um in einem Sportbeispiel zu antworten: Wir sind in der letzten Viertelstunde des Spiels und liegen klar zurück. Jetzt ist der Moment, in dem es um Haltung und Charakter geht. Die Frage, ob man ein Spiel noch gewinnt, entscheidet sich nicht alleine am Kapitän. Diese Frage entscheidet sich daran, ob wir als Mannschaft den Charakter haben, zu sagen: Wir stecken den Kopf nicht in den Sand – wir kämpfen! Die Umfragen sagen uns, dass wir die eigenen Anhänger noch nicht ausreichend mobilisiert haben. Das ist also jetzt die große Aufgabe. Ich bin zuversichtlich, dass wir den Trend brechen können, weil am Ende die Alternativen ganz klar auf dem Tisch liegen. Es geht um die Frage, ob wir in den nächsten vier Jahren eine Linksregierung bekommen, egal in welcher Schattierung – oder eben eine Mitte-Regierung, die von einer starken CDU angeführt wird.
Sie rechnen damit die Grünen zum linken Lager. Ist das angesichts der Entwicklung der Partei noch eine passende Zuordnung?
Was eine Reihe von Politikfeldern anbelangt, gibt es sehr unterschiedliche Aussagen von den Grünen. Ich weiß gerade mit Blick auf die Verteidigungspolitik sehr genau, was das bedeutet. Das habe ich in dieser Legislaturperiode selbst auch mit der SPD erlebt. Wenn Olaf Scholz in dem Fernseh-Triell beispielsweise gesagt hat, es gäbe keine Vorlage, um Drohnen zu bewaffnen und die eigenen Soldaten zu schützen, dann ist das schlicht die Unwahrheit. Er hat die entsprechende Vorlage aus meinem Ministerium seit Monaten auf seinem Schreibtisch liegen. Er könnte also entscheiden und sofort beweisen, was für ihn mehr zählt: Der bestmögliche Schutz für unsere Soldatinnen und Soldaten oder die weltfremden Ideologen in der eigenen Partei. Aber er scheut die Abstimmung, weil er weiß, dass er damit in der eigenen Partei keine Unterstützung hat – auch bei den Grünen nicht.
Das wäre dann aber auch ein Knackpunkt bei möglichen Verhandlungen mit den Grünen.
Das stimmt. Es wären aber Verhandlungen, bei denen ich persönlich alles daran setzen würde, dass dies durchgesetzt wird. Und alle, die mit mir schon mal Verhandlungen geführt haben, wissen, dass ich da ganz erfolgreich sein kann.
Wenn ich jetzt die Frage nach Koalitionsoptionen stellen würde, ahne ich die Antwort. Ich stelle die Frage trotzdem.
Für mich ist entscheidend, dass es eine Koalition ist, die von der CDU geführt wird. Das macht letztlich den Unterschied für die nächsten vier Jahre. Wir haben in dieser Legislaturperiode sehr viel gemacht an Verbesserungen im Bereich der Rente und der Pflege. Das wollen wir auch in Zukunft so halten. Wir wissen, dass es noch mehr Bedarfe geben wird – alleine aufgrund der demografischen Entwicklung. Dafür braucht man mehr Geld. Wie bekommt man mehr Geld? Wir sagen klipp und klar: Man muss die Weichen so stellen, dass es mehr Wirtschaftswachstum und dadurch mehr Steuereinnahmen gibt. Die anderen, egal ob SPD, Grüne oder Linke, sagen, man muss mehr Schulden machen und bestimmte Gruppen mehr zur Kasse bitten. Das ist der große Unterschied! Alles, was wir jetzt an Hilfen in der Corona-Krise leisten konnten, vom Kurzarbeitergeld bis zu Hilfen für Unternehmen, konnten wir uns nur deshalb leisten, weil wir einen soliden Haushalt hatten. Das ist der Verdienst der Union und diese Art von vorausschauender Politik will ich fortsetzen.
Sie haben davon gesprochen, die eigenen Anhänger zu mobilisieren. Gleichzeitig gibt es in der Partei die Diskussion um den Kandidaten. Jetzt noch ein Wechsel wäre wohl Harakiri …
Dass es ein Grummeln in der Partei gibt, weil es im Moment nicht so läuft, wie man sich das wünscht, ist völlig normal, nicht nur in der Union. Ich kann nur sagen aus unserer eigenen Erfahrung im Saarland: Wir waren 2012 und 2017 gerade deshalb erfolgreich, weil wir zusammengehalten haben, gerade in den Zeiten, als es so aussah, dass wir die Wahl verlieren könnten. Das kann ich auch nur allen in der CDU raten.
Wie interpretieren Sie die letzten Umfragen mit den enormen Verschiebungen?
Wir haben zuletzt in Sachsen-Anhalt gesehen, dass die Umfragen in eine ganz andere Richtung gehen können, als es nachher das Ergebnis war. Was wir im Moment sehen: Es gibt einen Austausch im linken Lager, die Grünen geben Stimmen an die SPD ab, und wir haben noch Luft nach oben. Das ist der Befund. Ob das in den Größenordnungen ist wie bei den letzten Umfragen, da kann man ein Fragezeichen machen. Das ist aber auch egal, denn das eine ist, ständig auf Trends und Umfragen zu schauen, das andere ist: die Ärmel hochkrempeln und kämpfen. Ich halte mich lieber an das zweite. Wie die Wahl ausgeht, weiß man ohnehin erst am Wahlabend um 18 Uhr.
Sie sind Spitzenkandidatin im Saarland und Direktkandidatin im Wahlkreis Saarbrücken, den Sie für die CDU zurückerobern wollen. Wie soll das gelingen?
Erst einmal führt die Doppelfunktion, die ich habe, zu der interessanten Möglichkeit, dass man mich diesmal mit zwei Stimmen wählen kann: Als Spitze der Landesliste mit dem „Team Saarland", mit Peter Altmaier, Nadine Schön und Markus Uhl. Das Team Saarland hat eine große Erfahrung und ein großes Netzwerk, mit dem wir das Beste für das Saarland in Berlin erreichen wollen. Ein Beispiel: Wenn man bei der Automobilproduktion grünen Stahl einsetzt, kann man 25 Prozent CO2-Fußabdruck reduzieren. Das macht einen entscheidenden Unterschied für die Mobilität der Zukunft. Wenn ich grünen Stahl will, brauche ich Leitmärkte und ein Anreizsystem. Grüner Stahl ist in vielen Bundesländern kein Thema, aber ein gravierendes Thema für uns im Saarland. Deshalb muss man in Berlin und in Brüssel die richtigen Leute an den richtigen Stellen haben, die das zum Thema machen. Das ist ein großer Vorteil, den wir als Team Saarland einbringen können.
Der Wahlkreis Saarbrücken war der einzige im Saarland, der vor vier Jahren an die SPD fiel. Wie wollen Sie den zurückerobern?
Es ist ein schwieriger Wahlkreis, auch von der Struktur her. Der größte Fehler für die CDU wäre, zu glauben, der gewinnt sich von selbst. Aber er ist gewinnbar, das haben wir in der Vergangenheit bewiesen und jüngst bei der Oberbürgermeisterwahl. Ich will den Wahlkreis auch gewinnen und mich nicht auf den Listenplatz verlassen. Denn meine Erfahrung ist, dass ein Direkt-Wahlkreis einem auch in Berlin ein zusätzliches Gewicht gibt, wenn es um die Vertretung der Interessen des Wahlkreises geht. Wenn ich mir alleine die Landeshauptstadt Saarbrücken ansehe, gibt es viele Fragen, die auf der Bundesebene eine Rolle spielen und eine unmittelbare Rückwirkung haben. Ob das die Frage nach weiterer Förderung von Forschung und Entwicklung ist – für Hochschulen von ganz enormer Bedeutung. Oder die Frage, wie wir mehr Wohnraum schaffen. Das ist für eine Landeshauptstadt, die auch unter einem Mangel an bezahlbarem Wohnraum leidet, eine wichtige Frage.
Sie gehen als Bundesministerin und ehemalige Ministerpräsidentin in das Rennen um den Wahlkreis gegen Josephine Ortleb. Ein Vorteil?
Sie ist Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion; das ist eine einflussreiche Position, um die sich immer viele bewerben. Sie ist eine ernstzunehmende Gegnerin, vor der ich hohen Respekt habe. Wir werden uns in einem fairen Wettbewerb auseinandersetzen.
Eine Besonderheit bei dieser Wahl im Saarland ist bekanntlich, dass die Grünen als Partei nicht gewählt werden können. Wie verändert das den Wahlkampf?
Das ist in der Tat eine sehr spezielle Situation, die sich die Grünen hier im Land zuerst einmal selbst vorzuwerfen haben. Daran sieht man auch, wie gespalten die Grünen sind. Zur Wahrheit gehört aber auch: Dass es keine grüne Liste gibt, ist auch das Ereignis einer, ich will mal sagen, nicht sehr geschickten Einmischung der Bundesvorsitzenden.
Kann die CDU davon profitieren?
Ich finde erst einmal schade, dass die Grünen nicht antreten. Ich finde es wichtig, dass die unterschiedlichen demokratischen Richtungen vertreten sind. Aber natürlich werden wir auch um diese Stimmen kämpfen.
Ihr Kanzlerkandidat Armin Laschet hat unlängst sein Zukunftsteam vorgestellt. Wir haben Sie dabei vermisst.
Amin Laschet hat ein Team von Experten aufgestellt, die für sehr unterschiedliche Themen stehen. Ich bin sehr froh, dass mit Peter Neumann ein wirklich ausgewiesener Antiterrorexperte mit dabei ist. Das ist ein ganz wichtiges Thema im Inneren, aber auch der äußeren Sicherheit. Erst vor wenigen Wochen sind in Mali mehr als ein Dutzend Soldatinnen und Soldaten bei einem Terroranschlag zum Teil schwer verletzt worden. Im Übrigen hat Armin Laschet immer deutlich gemacht, dass er ein Kompetenzteam und kein Schattenkabinett vorstellt. Dabei geht es nicht um Posten, sondern um Themenfelder. Ich bin Verteidigungsministerin und habe immer deutlich gemacht, dass es mir eine große Ehre wäre, wenn ich auch künftig als Ministerin für die Belange unserer Soldatinnen und Soldaten eintreten darf.