Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) und Peter Altmaier (CDU), Bundeswirtschaftsminister, kämpfen im Wahlkreis Saarlouis um das Direktmandat. Ein FORUM-Wahlduell über Afghanistan, Pandemiefolgen und Regierungsbildungen jenseits der Großen Koalition.
Herr Maas, wie waren die vergangenen Wochen persönlich für Sie?
Maas: Es geht hier weniger um mich als um andere Menschen, um das, was in Afghanistan geschehen ist. Ich sehe bei meinen Kolleginnen und Kollegen international, dass alle die gleichen Probleme haben. Es ist ein Desaster. Eine Offenbarung in einer Art und Weise, wie wir sie uns nie hätten denken können. Aber es ist nun mal so. In den vergangenen Wochen haben wir versucht, so viele unserer Mitarbeiter und deutschen Staatsbürger wie möglich herauszuholen. Auch all diejenigen, von denen wir ausgehen müssen, dass sie bedroht sind von den neuen Machthabern. Es gab zunächst die militärische Evakuierung, nun den Landweg und den Flughafen, um die deutschen Staatsbürger, aber eben auch andere Gefährdete außer Landes zu bringen.
Wir haben von den Taliban gehört, dass diese diplomatische Erwartungen an Deutschland gerichtet haben. Wie reagieren Sie darauf?
Maas: Wir haben im Kreis der europäischen Außenminister unsere Anforderungen definiert, um mit den Taliban zu sprechen und humanitär zu helfen, also wieder in die Entwicklungszusammenarbeit einzusteigen. Diese enge internationale Abstimmung ist wichtig. Zusammen mit US-Außenminister Antony Blinken werden wir uns mit 24 Ländern weltweit abstimmen, wie wir mit den Taliban umgehen wollen. Sie gehören nun mal jetzt zur Realität. Mit der werden wir uns aber nicht abfinden. Uns geht es um die Menschen in Afghanistan. Auch die Vereinten Nationen rechnen damit, dass es, überlässt man das Land nun sich selbst, zu einer humanitären Katastrophe kommen wird: kein Geld, keine Nahrung und der Winter steht bevor.
Woher wissen Sie, dass Sie mit den „richtigen" Leuten in Doha verhandeln? Die Taliban sind eine heterogene Gruppe, der IS erstarkt in Teilen des Landes, eine Provinz ist noch nicht unter Taliban-Kontrolle und die Nordallianz meldet sich zurück.
Maas: In Doha befand sich bislang die politische Führung der Taliban. Diese hatte auch die Friedensverhandlungen seitens der Taliban geleitet. Richtig ist, es gibt innerhalb der Taliban unterschiedliche Gruppen, die nun intensiv miteinander streiten, wie eine neue Regierung aussehen wird. Wir sprechen auf internationaler Bühne mit den Protagonisten aus Doha. Diesen Kontakt brauchen wir, um zu organisieren, wie deutsche Staatsbürger oder Ortskräfte und gefährdete Personen das Land verlassen können. Wenn die neue Regierung steht, werden wir sehen, dass der Kontakt in Kabul oder Kandahar weiter bestehen bleibt. Nur so gelingt es uns, diese Menschen sicher herauszuholen.
Herr Altmaier, hätten Sie vor ein paar Wochen gedacht, dass die Außenpolitik in diesem Bundestagswahlkampf eine so große Rolle spielt?
Altmaier: Es ist ein Wahlkampf, wie wir ihn noch nie hatten. Normalerweise hätten wir Ende Juli die Ministerien abgeschlossen und wären zum Wahlkampf in die Wahlkreise gefahren, hätten Saalveranstaltungen abgehalten. Jetzt teilen wir uns die Arbeit auf zwischen Veranstaltungen vor Ort, auf die die Wählerinnen und Wähler ein Recht haben, und den weiter laufenden Regierungsgeschäften. Weder die Flutkatastrophe, noch die lange Dauer der Pandemie, noch die Afghanistan-Katastrophe hatten wir auf dem Schirm. Ich habe darauf verzichtet, diese Diskussionen parteipolitisch zu instrumentalisieren, das halte ich für falsch. Der Punkt ist: Wir haben 20 Jahre in Afghanistan sichergestellt, dass Mädchen und Jungen zur Schule gehen konnten, dass Frauen sich frei bewegen konnten, dass so etwas wie eine rudimentäre Demokratie möglich war. Der Abzug der Amerikaner ist nicht so gelaufen, wie wir uns das vorgestellt hätten. Viele Soldatinnen und Soldaten, auch aus dem Saarland, aus Saarlouis; waren in Afghanistan eingesetzt. Das waren über alle die Jahre für mich Helden, weil wir sehen, was die Leute dort geleistet haben. Man kann nicht sagen, weil es am Ende schiefgelaufen ist, war alles umsonst. 20 Jahre konnten die Menschen dort größtenteils ohne Angst leben, gleichzeitig kam der Terror 20 Jahre nicht von dort nach Europa. Deshalb müssen wir nun aufpassen, dass sich nun nicht der Islamische Staat oder Al Kaida dort sammeln und den Terror von dort wieder nach Europa tragen.
Was bleibt in Afghanistan von dem Einsatz, von Mädchenschulen und gebohrten Brunnen?
Altmaier: Ich bedauere, dass wir beim Aufbau der Wirtschaft dort nicht so vorangekommen sind, wie wir uns das gewünscht hätten. Wir haben viel getan in der Entwicklungshilfe, aber wirtschaftlicher Aufbau geschieht durch die Investition privater Unternehmen. Wir stehen nicht bei null. Ich verfolge das über Social Media, wo auch die Opposition ein Sprachrohr findet, und stelle fest, dass sich Frauen und Intellektuelle dort und im Ausland organisieren, sich nicht einschüchtern lassen. Daher bin ich fest davon überzeugt, dass die Taliban spüren werden, dass man dieses Land nicht mehr in die kulturelle Steinzeit zurückbringen kann.
Maas: Es ist ja nicht so, dass die Schulen, Krankenhäuser oder Wasserleitungen nicht mehr da sind. Nun geht es um die politische Frage, ob Mädchen weiter zur Schule gehen dürfen, ob Frauen studieren und arbeiten können. In den vergangenen 20 Jahren konnten die Menschen erleben, was diese Freiheit für sie bedeutet. Sie werden nicht mehr bereit sein, auf sie zu verzichten. Dies ist auch der Grund dafür, dass die Taliban überhaupt nun mit uns reden wollen, dass sie Anerkennung und Geld wollen. Wir dürfen uns keine Illusion machen, aber es gibt grundlegende Rechte, die wir einfordern. Es wird von den Taliban abhängen, wie sie nun damit umgehen.
Altmaier: Wir sind uns in vielen Punkten einig. Eine Nuance aber: Wir müssen mit den Taliban sprechen, um deutschen Staatsbürgern, Ortskräften und anderen zu ermöglichen, das Land zu verlassen, weil sie keine Chance während der Luftbrücke hatten. Die Bundesregierung hat die Entwicklungshilfe rasch gestoppt. Nun müssen wir den Taliban deutlich machen, dass es diese Hilfe nicht zum Nulltarif gibt. Sie müssen zeigen, dass sie grundlegende Rechte und Freiheiten einhalten.
Maas: Damit wir hier kein falsches Signal aussenden: Bei der humanitären Hilfe können wir keine Bedingungen stellen, das ist nirgendwo so. Hierbei geht es darum, dass wir verhindern, dass Menschen verhungern. Wir helfen auch humanitär in Syrien. Humanitäre Hilfe leisten wir – wie auch andere Staaten – ohne Konditionen, auch in Afghanistan. Alles weitere, was angesprochen wurde, zu Fragen der Stabilisierung des Landes oder der Entwicklungszusammenarbeit, verbinden wir mit den genannten Konditionen. Dass es schwierig wird, ist mir klar. Aber wir haben keine Alternative, denn wir können nicht sagen: Macht nun, was ihr wollt. Das Wesen der Diplomatie besteht darin, mit jenen zu reden, die eine völlig andere Meinung als man selbst haben. Das tun wir nun, und wir wollen nicht, dass all das, was wir dort mit aufgebaut haben, wieder verloren geht. Menschen- und Frauenrechte spielen da eine Rolle, ebenso, dass Afghanistan nicht wieder ein Hort des Terrorismus wird.
Politik heißt gestalten, dass haben Sie, Herr Altmaier, mit einem industriepolitischen Konzept angestoßen. Dann kam Corona. War dann nur noch reagieren angesagt?
Altmaier: Wir konnten sehr viel gestalten. Wir verzeichnen vor Corona den längsten Aufschwung seit Ludwig Erhardt, zehn Jahre lang. Das hat uns ermöglicht, in der Corona-Krise Schaden von der Wirtschaft abzuwenden: 40 Milliarden Euro Kurzarbeitergeld, damit die Menschen ihre Arbeitsplätze behalten. Rund 120 Milliarden Euro an Hilfen für die Wirtschaft in Form von Krediten, aber auch direkten Zuschüssen für besonders betroffene Bereiche, die lange schließen mussten. Und schließlich ein Konjunkturprogramm in Höhe von 130 Milliarden, das auch 30 Milliarden ganz konkret für Zukunftsausgaben bereithält. Opel baut beispielsweise nun mithilfe von Zuschüssen in Höhe von 437 Millionen Euro ein Batteriewerk in Deutschland in Kaiserslautern. Die Dillinger Hütte erhält mit anderen Unternehmen 400 Millionen Euro für die Umstellung auf grünen Stahl. 4,5 Milliarden haben wir bereitgestellt für die Transformation in der Automobilindustrie, nicht nur für Elektro, sondern auch für Brennstoffzellen zum Beispiel in Zügen oder Lkw. Ich bin regelmäßig in Gesprächen, ob mit dem Betriebsrat von Ford oder mit anderen. Wir sind ein Autoland, wir wollen ein Industrieland bleiben, davon hängt ein Teil unseres Wohlstandes ab, deshalb ist dies in unserem Interesse. Ich bin für meine Industriestrategie von verschiedener Seite kritisiert worden. Aber: Wenn in China, Südkorea und USA hohe Beträge gezahlt werden, damit sich dort Zukunftstechnologien entwickeln, wären Europa und Deutschland doch mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn es nicht auch dafür sorgen würde. Meine Industriestrategie ist heute nicht nur anerkannt, sondern wir haben eine europäische Strategie daraus gemacht und zum Beispiel auch die Schutzmaßnahmen für den Stahl verlängert. Dadurch sorgen wir dafür, dass nicht diejenigen alles durch Billigstahl mit hohem CO2-Ausstoß wieder plattmachen, was wir bis dahin umweltpolitisch erreicht haben.
Herr Maas, hat Herr Altmaier damit SPD-Politik gemacht?
Maas: Anscheinend, und es hat ihm scheinbar auch Spaß gemacht. Ich würde ihn diesbezüglich auch immer in Schutz nehmen, denn da gibt es Unterschiede zwischen ihm und Friedrich Merz, der eher ein Ordnungspolitiker ist. Dass wir im Saarland etwas für die Industrie tun, ist wichtig – oft wird ja überhaupt in Abrede gestellt, etwas für die Industrie zu tun, das würde schon der Markt regeln. Das aber wird nicht so sein, schon gar nicht dann, wenn wir CO2-frei produzieren wollen. Das erfordert riesige Investitionen, alleine, wenn ich mir die Stahlindustrie anschaue. Wenn wir uns also um das Klima kümmern, die Industrie mit Auflagen versehen, Produkte auch teurer werden, während andere Dreckschleudern weiter günstig produzieren und hier billig verkaufen, dann ist das klimapolitisch nicht sinnvoll. Deren Produkte verdrängen dann unsere Produkte. Auf lange Sicht würden also klimafreundlichere Betriebe wegfallen. Das ist also aus saarländischer wie aus umweltpolitischer Sicht nicht in unserem Interesse, also finde ich es richtig, dass wir eine eigene Industriepolitik machen. Es geht hier um Arbeitsplätze im Saarland, in ganz Deutschland.
Altmaier: Es ist keine Frage zwischen SPD und CDU, sondern, wie man Wirtschafts- und Arbeitspolitik denkt. Wir haben eine Tradition, von Adenauer bis Angela Merkel, dass wir mit Gewerkschaften und Arbeitgebern gemeinsam Wirtschaftspolitik betreiben. Wir müssen alle an einem Strang ziehen, um Fortschritte zu erreichen. Und das ist nicht nur im Licht der Klimapolitik so. Es gibt Länder, die sich vorgenommen haben, bestimmte Wirtschaftsbereiche zu monopolisieren. China hat sich vorgenommen, bis 2050 80 Prozent der weltweiten Chemieproduktion zu stellen. Sie wollen im europäischen Raum die dominierende Fraktion im Eisenbahngeschäft werden und haben sämtliche Bahnhersteller fusioniert. Als die beiden großen europäischen Player in diesem Bereich, Siemens und Alstom, fusionieren wollten, verhinderte dies die Europäische Kommission mit dem Verweis auf den Wettbewerb. Inzwischen wissen wir, es wäre besser, die Fusion wäre zustande gekommen. Die Unternehmen wollen grüne Energie. Ich habe vergangene Woche mit den Chefs von RWE und BASF gesprochen. Sie wollen grünen Strom für die Chemieindustrie in der Nordsee mithilfe von Windkraft zwei Gigawatt produzieren. Der Strom aber muss 600 Kilometer bis zum BASF-Werk Ludwigshafen transportiert werden. Da stellt sich die Frage, können wir uns erlauben, diese Stromtrassen noch lange Jahre durch Gerichtsverfahren oder Genehmigungsverfahren zu verhindern, oder sind wir im stande, nach der Wahl Rechtsmittelfristen zu verkürzen.
Klimawandel, die Pandemie, all das hat uns viel Geld gekostet und wird weiter viel Geld kosten. Kommen wir noch ohne Steuererhöhungen aus?
Altmaier: Wir waren vorsichtig mit unseren Versprechungen. Solange wir nun an den Folgen der Pandemie zu knabbern haben, werden wir keine Steuern erhöhen. Zweitens haben wir gesagt, dass wir Geld zur Verfügung stellen, einerseits um CO2 zu verringern und zum anderen, dass die Industrie den Transformationsprozess bewältigen kann. Weitere Versprechungen aber kann man nicht machen und das tun wir auch nicht in unserem Wahlprogramm. Auch nicht zu Steuersenkungen, denn wir wollen, dass der Haushalt erst einmal wieder im Einklang mit der Schuldenbremse steht.
Wir würde das unter einem SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz aussehen?
Maas: An der Stelle unterscheiden wir uns nicht so besonders. Wir wissen, dass wir die Finanzsituation des Landes nur in den Griff kriegen, wenn wir die Steuereinnahmen erhöhen. Das wird sich nicht verändern. Der einzige Punkt, an dem wir uns unterscheiden, ist: Für die SPD ist es immer ein Thema geblieben, dass diejenigen, die ganz besonders reich sind, einen etwas höheren Beitrag leisten sollen. Es gibt Millionärsvereine, die die Politik auffordern, dass Millioneneinkommen und -vermögen stärker besteuert werden. Das ist der einzige Punkt, ansonsten sagen auch wir ganz offen: Es wird keine Steuersenkungen geben können aufgrund der Situation, in der wir uns befinden. Es wird aber auch – bis auf die Frage einer Vermögens- oder Reichensteuer – keine Belastungen der allgemeinen Bevölkerung im Einkommenssteuerbereich geben können, weil wir natürlich wissen, dass es trotz der vielen Hilfen, die es gegeben hat, Menschen gibt, die gelitten haben, die über weniger Einkommen verfügt haben, in einigen Wirtschaftsbereichen mehr als in anderen. Die tragen ja auch dazu bei, dass die Wirtschaft floriert und es Einnahmen gibt. Denen kann man nicht noch Steuererhöhungen an dieser Stelle aufbürden.
Beim Reizwort „Schuldenbremse" gab es unterschiedliche Positionierungen. Das Saarland hat sich wegen der Schuldenbremse acht Jahre strikt diszipliniert, um dann in ein „Jahrzehnt der Investitionen" einsteigen zu können, das dann wiederum durch die Pandemie zurückgeworfen wurde. Werden wir nach der Pandemie zu den alten Regelungen der Schuldenbremse zurückkommen?
Altmaier: Wir haben damals hart um die Schuldenbremse gekämpft, mit dem damaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Günther Oettinger, und dem leider verstorbenen SPD-Fraktionschef Peter Struck und sie 2008 mit der Großen Koalition beschlossen. Das war ein Segen, weil es dem Finanzminister die Möglichkeit eröffnet hat, immer neue Wünsche, die schön zu haben sind, aber am Ende dazu führen, dass man auch in guten Zeiten Schulden macht, abzuwehren. Dadurch haben wir unseren Haushalt konsolidiert. Ich habe zu Beginn der Pandemie, als noch keiner wusste, wie schlimm das alles wird, mit Olaf Scholz gemeinsam bei einer Pressekonferenz gesagt: Wir legen jetzt die Bazooka auf den Tisch.
… dann waren Sie der Erfinder der Bazooka?
Altmaier:… wir haben gemeinsam gesagt, dass wir so viel Geld auf den Tisch legen werden, wie notwendig ist, um Arbeitsplätze zu erhalten und Unternehmen nicht vor die Hunde gehen zu lassen. Das konnten wir uns nur leisten, weil wir vorher eine Schuldenbremse hatten, die uns geholfen hat, die Staatsausgaben im Griff zu behalten. Die „Bazooka" bezog sich auf eine Passage in der gemeinsamen Vereinbarung, dass Kreditzusagen der KfW für Unternehmen in der Höhe nicht gedeckelt sind. Die „Bazooka" von Olaf Scholz hat uns aber insofern geschadet, als viele geglaubt haben, es werde jetzt alles bezahlt. Das ist ja nicht geschehen. In der Sache waren wir uns aber immer einig.
Maas: Es ging damals um ein Bild. In der Außen- und Sicherheitspolitik steht „Bazooka" eher für andere Dinge – in der Finanzpolitik anscheinend für was Positives. Wir wissen, dass Wirtschaft viel mit Psychologie zu tun hat. Zu Beginn der Pandemie, als wir alle gar nicht abschätzen konnten, worauf das hinausläuft, war es dem Bundesfinanzminister ganz wichtig, Vertrauen zu schaffen, dass der Staat bereit ist, viel Geld in die Hand zu nehmen. Die Schuldenbremse ist ja so konstruiert, dass sie in einem Moment, wo das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht aus den Fugen gerät, ausgesetzt wird. Man sieht, dass das funktioniert. Ich glaube, wenn wir wieder in eine Phase wirtschaftlicher Erholung kommen, werden wir auch wieder versuchen müssen, Schulden abzubauen. Das beweist, dass wir mit der Schuldenbremse, wie wir sie jetzt haben, auch in Zukunft gut arbeiten können.
In der Kritik gab es immer wieder die Forderung, Investitionen, beispielsweise in Bildung, aus den Vorschriften der Schuldenbremse auszunehmen. Das ist ja auch von SPD-Seite immer wieder eingebracht worden.
Maas: Wichtig ist, dass wir in Krisensituationen handlungsfähig bleiben. Das erlaubt die Schuldenbremse, so wie wir sie jetzt haben. International gibt es unterschiedliche Vorgehensweisen beim Thema Schuldenabbau. Die USA berechnen Investitionen nicht ein. Das ist bei uns anders gewesen. Die Tatsache, dass wir auch im internationalen Vergleich so solide Finanzen hatten und haben, dass die Wirtschaft jetzt wieder teilhaben kann am wirtschaftlichen Aufschwung, ist Beweis, dass wir damit arbeiten können. Die Schuldenbremse, die auch eine verfassungsrechtliche Komponente hat, aufweichen? Dafür, glaube ich, gibt es auf absehbare Zeit keine Mehrheiten. Wir müssen dafür sorgen, dass sich die Wirtschaft wieder so schnell wie möglich entwickeln kann, Arbeitsplätze gesichert und neue geschaffen werden, die Staatseinnahmen sich wieder verbessern und wir damit unsere Finanzsituation wieder in den Griff kriegen.
Altmaier: Da nehme ich Dich beim Wort. Wobei es schon ein Punkt ist, dass es in Europa und zu Teilen in Deutschland schon Bestrebungen gibt, die sagen: Zukunftsinvestitionen dürfen mit Schulden finanziert werden. Da sage ich als Saarländer mit Blick auf die große Gebietsreform 1974: Da hatten alle Gemeinden beschlossen, noch schnell eine Kulturhalle, einen Rasenplatz, ein Schwimmbad und vieles mehr zu bauen, und gesagt: Das sind Investitionen in die Zukunft unserer Gemeinde. 20 Jahre später waren das Investitionsruinen, die die Handlungsspielräume für die junge Generation aufgefressen haben. Es war kein Vermögen für die Zukunft sondern eine Belastung für die Zukunft. Was eine sinnvolle Investition für die Zukunft ist oder nicht – da gehen die Meinungen auseinander. Das ist für mich ein Grund, wie Heiko Maas zu sagen: Wir können mit der Flexibilität, die die Schuldenbremse uns gibt, sehr gut umgehen.
Das klingt, als könnten Sie beide die Große Koalition ganz gut fortsetzen.
Maas: Da müsste man sehen, ob es überhaupt reichen würde, und wenn, dann wäre es eine umgekehrte Große Koalition. Aber ehrlich gesagt: Wir haben in den letzten vier Legislaturperioden dreimal eine Große Koalition gehabt, ging nicht anders. Ich glaube nicht, auch unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten, dass in der CDU oder der SPD das Interesse an einer Großen Koalition besonders ausgeprägt ist. Und ob man das noch Große Koalition nennen dürfte, sei auch mal dahingestellt. Ich gehe davon aus, dass es ein Ergebnis gibt, mit dem sich eine andere Koalition finden dürfte.
Wäre eine „mittlere Koalition" unter Olaf Scholz für die CDU denkbar?
Altmaier: Regierungsbildungen sind in Deutschland schwierig geworden. In anderen Ländern sind sie noch schwieriger. Die Niederländer reden schon mal über mehr als ein Jahr darüber. Bei uns hat es das letzte Mal ein halbes Jahr gedauert. Das alles ist nicht gut für die Regierungsfähigkeit eines Landes. Deshalb sage ich: demokratische Parteien müssen grundsätzlich untereinander koalitionsfähig sein. Wenn es eine Alternative gäbe, würde sicherlich die SPD eine Ampel oder wir eine Jamaika-Koalition ins Auge fassen. Eins ist für mich klar: Es darf nie eine Zusammenarbeit mit der AfD geben, weil das eine Partei ist, die im demokratischen Spektrum grundsätzlich die falschen Positionen einnimmt. Das Zweite: Die Linkspartei hat ein völlig verqueres Verhältnis zur Bundeswehr, zur Nato und zur Europäischen Union. Deshalb kann ich mir nicht vorstellen, dass es in den nächsten Jahren eine Bundesregierung geben kann, die handlungsfähig ist und in der die Linke Koalitionspartner ist. Ich hätte mir deshalb gewünscht, dass Olaf Scholz das ausgeschlossen hätte. Wir als CDU schließen jedenfalls aus, dass wir mit dieser Linkspartei eine Koalition eingehen würden.
(Lachen und Heiterkeit im Publikum)
Eine Frage aus dem Publikum, bitte:
Mein Name ist Hans-Peter Bechter. Ich frage beide Politiker, wie sie das, wofür sie jetzt eingetreten sind, umsetzen wollen, wenn sie nicht mehr im Kabinett sind, sondern als einfache Abgeordnete im Bundestag sind?
Also eine hypothetische Frage an beide ...
(Lacher im Publikum)
Altmaier: Es weiß natürlich keiner von den 16 Ministerinnen und Ministern, ob er oder sie dem nächsten Bundeskabinett noch angehören wird. Außer Kanzlerin Merkel, die weiß, dass sie dem nicht mehr angehören wird. Alles andere ist offen. Was ist zum Beispiel beim letzten Mal alles spekuliert worden: Wenn Annegret Kramp-Karrenbauer ins Kabinett geht, dann ist dort kein Platz mehr für Peter Altmaier. Dann war die Wahl vorbei, die SPD wollte keine Koalition mit der CDU. Da hat sich Heiko Maas wahrscheinlich schon Gedanken gemacht, ob er Kurzarbeitergeld beantragt. Am Ende waren wir alle drei im Kabinett. Man kann das nicht voraussehen. Deshalb plädiere ich sehr dafür, dass wir selbstbewusst unsere Arbeit machen. Im Übrigen warne ich sehr davor, das Abgeordnetenmandat abzuwerten und zu sagen, man ist nur ein Mensch in Deutschland, wenn man Minister ist. Es gibt keine Garantie, dass das Saarland wieder drei Minister hat – es könnten auch vier sein.
(Publikum lacht)
Maas: Für jeden von uns geht es darum, etwas zu bewegen. Wenn seine (zeigt auf Altmaier) Partei in der Regierung ist, fällt es ihm leichter, das gilt auch umgekehrt. Es geht jedem von uns erst einmal darum, dass unsere Partei in der Regierung ist. Bei den Zielen, mit denen Olaf Scholz im Wahlkampf unterwegs ist, kann man an vielen Stellen mitwirken. Natürlich hat man als Minister mehr Möglichkeiten, und es ist für einen Abgeordneten leichter möglich, Einfluss zu nehmen, wenn seine Partei an der Regierung ist. Aber als Abgeordnete verpflichtet man sich zunächst den Interessen des Wahlkreises, das wird auch in Zukunft so bleiben.
Die Grünen sind im Saarland als Partei nicht wählbar, sie werden aber mit hoher Wahrscheinlichkeit der nächsten Bundesregierung angehören, auch wenn sie in den letzten Umfragen nicht mehr so gut dastehen. Wie blicken Sie im Moment auf den möglichen Koalitionspartner?
Maas: Die Entwicklung der letzten Wochen ist erstaunlich. Wir leben in einer scheinbar nicht enden wollenden Krise: Wir hatten die Corona-Krise, die Hochwasserflut, jetzt haben wir Afghanistan. In dieser Krisenzeit wollen die Menschen in der Politik Führungspersönlichkeiten, die Vertrauen ausstrahlen, die seriös sind, keine Schreihälse sind, die wollen, dass mit den Interessen der Menschen verantwortungsbewusst umgegangen wird. Da scheint es so zu sein, dass Olaf Scholz in den Augen von ganz vielen dem gerecht wird. Es gibt viele Themen und große Zukunftsfragen. Aber dahinter steht nach meiner Beobachtung ein Vertrauensbedürfnis. Ich glaube, die Menschen haben nach eineinhalb Jahren Pandemie ein großes Bedürfnis, die Normalität ihres Lebens wieder zurückzugewinnen. Die Corona-Krise hat nicht nur wirtschaftliche Auswirkungen, sondern auch mentale. Bei dieser Bundestagswahl spielen mehr Dinge eine Rolle, als es bisher der Fall gewesen ist. Es geht nicht mehr darum, wer ist der Witzigste, wer ist der Schlagfertigste, sondern darum, bei wem fühle ich mich gut aufgehoben.
Altmaier: Ich teile ausdrücklich die Einschätzung, dass diese Wahl offen ist. Wir haben sehr schnelle und sehr fundamentale Wählerveränderungen in diesem Jahr erlebt. Im Augenblick hat die SPD – in Umfragen – die Nase vorn. Am Ende werden sich die Leute überlegen, was das Beste fürs Land ist. Im Juni hat eine Zeitung mit vier Buchstaben unter Berufung auf eine Umfrage für die Wahl in Sachsen-Anhalt CDU und AfD ein Kopf-an-Kopf Rennen vorausgesagt, am Ende lag die CDU 12 Prozent vor der AfD. Solche Entwicklungen sind möglich. Es ist übrigens der Bundestagswahlkampf, wo ich bisher die wenigsten Feindseligkeiten erlebt habe. Vielleicht liegt das auch an Corona. Ich glaube, dass die demokratische Mitte so stark sein wird wie schon lange nicht mehr, und ich glaube, es wird ein Krimi werden bis ganz zum Schluss.
Eineinhalb Jahre Corona, die aktuellen Krisen, das Klimathema sind alle angesprochen. Im Hintergrund steht, Sie haben es angesprochen, Herr Maas, die Vertrauensfrage. Ist es vielleicht eine gegenseitige Vertrauensfrage? Das Vertrauen der Menschen in die Handlungsfähigkeit der Politik, und umgekehrt von der Politik an die Gesellschaft?
Maas: Es gibt durchaus gesellschaftliche Entwicklungen, die ich mit Sorge betrachte, zum Beispiel, wie wir miteinander kommunizieren. Ich glaube, dass die Digitalisierung und die sozialen Netzwerke unsere Kommunikation verändert haben. Da ist nicht nur Gutes dabei. Die Art und Weise, wie kommuniziert wird, wenn es nur noch Schwarz und Weiß gibt, Kompromiss ein schlechtes Wort geworden ist, es so viel Hass und Hetze gibt, das alles macht Diskussionen nicht einfacher. Ich finde: Gesellschaftlicher Zusammenhalt lebt vom Kompromiss und Politik ist verantwortlich, diese Kompromisse zu finden. Wenn es nur noch darum geht, sich in sozialen Netzwerken abfeiern zu lassen oder einen Shitstorm nach dem anderen loszulassen, dann gibt es keinen gesellschaftlichen Zusammenhalt. Aber nicht diejenigen sind die besten Politiker, die am Schluss immer hundert Prozent ihrer eigenen Forderungen durchgesetzt haben. Wenn es um die Gesellschaft als Ganzes geht, sind diejenigen am erfolgreichsten, die dafür sorgen, dass wir Kompromisse finden, die die gesamte gesellschaftliche Realität abbilden. Natürlich gibt es da auch Grenzen, aber Kompromisse sind notwendig. Die müssen wir uns in der Politik abverlangen, aber auch die Gesellschaft muss dazu bereit sein. Es kann nicht immer nur darum gehen, dass die Einen oder die Anderen recht haben. Wir wollen in diesem Land vernünftig und mit Respekt zusammenleben, dazu muss jeder seinen Teil beitragen.