In einem unscheinbaren Reihenhaus im brandenburgischen Neuenhagen schrieb Hans Fallada seinen wohl berühmtesten Roman „Kleiner Mann – was nun?". Seit dem Sommer kann Brandenburgs einziger Gedenkort für den Dichter mit Voranmeldung besichtigt werden.
Es war Anfang der 1930er Jahre. In Neuenhagen, nur wenige Kilometer östlich von der Berliner Stadtgrenze, hielt man den Mann, der gern mit seinem Sohn Ulrich durch die Gegend streifte, für einen „armen Arbeitslosen mit Kind". Den Schriftsteller Hans Fallada, der hier in einer bescheidenen Reihenhaussiedlung lebte, kannte in dem kleinen Ort nämlich kaum einer. Und so konnte Fallada nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit in aller Herrgottsfrühe oder auch spätabends an dem Buch schreiben, das sein erfolgreichster Roman werden sollte: „Kleiner Mann – was nun?".
Der sollte ursprünglich unter dem Titel „Der Pumm" erscheinen, doch das wurde geändert, schließlich ging es Fallada ja darum, die Sorgen und Nöte des „kleinen Mannes" inmitten der Weltwirtschaftskrise anschaulich zu beschreiben. „Ehe und Wehe von Johannes Pinneberg, Angestellter, verliert seine Stellung, bekommt eine Stellung, wird endgültig arbeitslos. Einer von sechs Millionen, ein Garnichts, und was der Garnichts fühlt, denkt und erlebt", so fasste der Autor den Inhalt seines Romans in einem Brief an seinen Verleger Ernst Rowohlt zusammen. Die anrührende Geschichte des jungen Buchhalters Pinneberg und seiner schwangeren Frau „Lämmchen" traf den Nerv der Zeit, Millionen fanden sich in der Weltwirtschaftskrise wie Pinneberg auf fast hoffnungsloser Jobsuche, zusätzlich gebeutelt durch lange Wartezeiten auf Sozialleistungen und kaum noch bezahlbare Mieten.
Die Wohnung blieb nahezu im Originalzustand erhalten
Bis heute erlebte das Werk 45 Neuauflagen, wurde mehrfach verfilmt, von unterschiedlichsten Regisseuren auf die Theaterbühne gebracht, zum Hörspiel vertont. Der Roman wurde zum Markenzeichen für Falladas Werk und brachte ihm stattliche Einnahmen ein.
In der zum Gedenkort umgestalteten ehemaligen Wohnung des Dichters in Neuenhagen bei Berlin ist ein Exemplar der Erstausgabe von „Kleiner Mann – was nun?" zu sehen – ebenso eine alte „Remington"-Schreibmaschine, ein ähnliches Exemplar, wie es Fallada einst nutzte. Daneben gibt es ein betagtes Grammofon, das die Filmmusik zu „Kleiner Mann – was nun?", gesungen von den Comedian Harmonists, wiedergibt. Falladas Wohnung ist fast im Originalzustand erhalten geblieben, da nach seinem Auszug 1932 nur wenige Nachmieter in der kleinen Wohnung lebten.
Seit Mitte Juli können sich hier Interessierte umschauen. „Am Originalschauplatz wird so Literaturgeschichte lebendig", freut sich Steffi Reich, die Chefin der Gedenkstätte. Aber nicht nur Falladas Literatur, auch sein Alltag spielt in der sehenswerten Schau eine Rolle: Ein Beispiel ist die Küche, in der nun wieder eine Anrichte aus den 1930er-Jahren steht. Interessierte finden unter anderem Rezepte des Dichters aus seinem Buch „Der Schmortopf ist ganz überflüssig". „Fallada achtete auf gesunde Ernährung", betont Steffi Reich. Beleg sei der kleine Garten hinter dem Haus, in dem der Dichter Kartoffeln, Tomaten und Möhren anbaute.
Eine Marotte des gebürtigen Greifswalders war, Familie, Gäste und Hausangestellte sonntags zu wiegen. „Sogar Falladas Verleger Ernst Rowohlt musste dran glauben", schmunzelt Steffi Reich. Alles wurde genauestens notiert. Auch in Finanzfragen galt der Neuenhagener als Pedant. Alle Ausgaben rechnete er auf Heller und Pfennig ab – auch noch in Zeiten, in denen Einnahmen aus Buchverkäufen nur so sprudelten. Weitere Höhepunkte der kleinen Ausstellung sind Filmdokus und Foto-Shows, die über einen Bildschirm flimmern, Info-Vitrinen sowie das auf Linoleum aufgemalte Teppichmuster von damals.
Mit dem Geldsegen begannen die Sorgen
Fallada selbst beschrieb seine nur 54 Quadratmeter große Dreiraumwohnung so: „Man kommt durch einen Vorbau auf einen kleinen Vorplatz, die einzige Tür führt in das Wohn- und Speisezimmer. Ganz geräumig, aber nicht sehr groß. Wie eben alles ein bisschen Puppenhaus ist (…) Ich glaube, wir dürfen zufrieden sein." Raus ins Grüne zog Fallada, um den Verlockungen der Großstadt besser widerstehen zu können. 120 Zigaretten am Tag, Kaffee als Aufputschmittel und allabendliche Kneipenbesuche, beispielsweise in der berühmt-berüchtigten „Mulackritze", gehörten zum Berliner Alltag des Dichters, so Thomas Mees, einst Kulturamtsleiter in Neuenhagen.
Doch ausgerechnet der Erfolg von „Kleiner Mann – was nun?" brachte diese Probleme zurück. Der Schriftsteller beschrieb sie in seinem Buch „Heute bei uns zu Haus": „Der ‚Kleine Mann‘ wurde ein Welterfolg – ich muss sagen: leider. Das Geld strömte nur so herbei. Wir hatten von 220 Mark glücklich gelebt, unsere Sorgen fingen an, als wir plötzlich über große Summen zu verfügen hatten. Suses Sorgen fingen da an, ich selbst verlor völlig den Kopf." Neuenhagen lag offenbar zu nahe bei Berliner Bars. Hans Fallada suchte mit seiner Familie nun noch größere Distanz zur Metropole: erst in Berkenbrück bei Fürstenwalde, dann in Carwitz in der Feldberger Seenlandschaft (heute Mecklenburg-Vorpommern).
Nach der Scheidung von Ehefrau Anna „Suse" Ditzen zog der Schriftsteller mit seiner neuen Gattin Ursula Losch 1945 zurück nach Berlin – mit fatalen Folgen. Der Alkoholiker und Morphinist wurde rückfällig und erst in ein Pankower Krankenhaus, später in die Nervenklinik der Charité eingewiesen. Am 5. Februar 1947 starb er mit nur 53 Jahren in einer zum Krankenhaus umfunktionierten Schule in Berlin-Pankow.