Klima, Renten, Innovationen: Bei der Wahl am 26. September stehen entscheidende Themen für die Zukunft des Landes auf dem Wahlzettel – auch für die deutsche Wirtschaft. Welche dies aus ihrer Sicht sind, hat FORUM einige Verbände und Gewerkschaften gefragt.
Wohin steuert die kommende Bundesregierung? Verbände und Gewerkschaften haben unterschiedliche Erwartungen an die nächste Legislaturperiode.
Minijobs und Ausbildung stärken
Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes
„Die Pandemiezeit mit neun Monaten Lockdown für unsere Branche hat tiefe Spuren hinterlassen. Wann sich unser Land und die Unternehmen davon erholen werden, ist noch nicht abzusehen. Umso wichtiger ist jetzt, dass die Politik wirtschaftsfördernde Rahmenbedingungen schafft. Es müssen alle Maßnahmen ergriffen werden, um einen erneuten Lockdown zu verhindern und wieder Wachstum zu ermöglichen. Mehr denn je gilt es, Belastungen für die Unternehmer abzubauen sowie höheren Steuern und Abgaben eine Absage zu erteilen. Konkret erwartet der Dehoga von der Politik: erstens keine Steuererhöhung. Stattdessen fordern wir die Entfristung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes für Speisen mit Einbeziehung der Getränke und Eintrittsgelder in Discotheken und Clubs, damit die dauerhafte Stärkung der Branche nach der Krise gelingt. Zweitens: Arbeitgeber entlasten und unterstützen. Die Sozialversicherungsbeiträge sind dauerhaft unter 40 Prozent zu stabilisieren, die Minijobs beizubehalten und die Verdienstgrenze zu erhöhen, zudem gilt es, die duale Ausbildung zu stärken und die Unternehmen bei der Fachkräftesicherung zu unterstützen. Drittens: Klimawandel verträglich gestalten. Keine Frage: Nachhaltige Unternehmensführung ist mehr denn je wichtig, aber Energie muss bezahlbar bleiben."
Innenstadtfonds und digitale Technologie
Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer Handelsverband Deutschland
„Die nächste Legislaturperiode muss mit einem kraftvollen Neustart einhergehen. Nach dramatischen Monaten im Lockdown brauchen Händlerinnen und Händler Unterstützung, um sich für die Zukunft aufzustellen. Es gilt, lebenswerte Innenstädte zu gestalten. Einen wichtigen Beitrag zur Erstellung kreativer Konzepte für die Stadt von morgen könnte ein Innenstadtfonds leisten. Zudem geht es darum, Handelsunternehmen auf ihrem Weg in die Digitalisierung zu begleiten. Gefragt sind Beratungsangebote und Förderprogramme, die digitale Technologien am Point of Sale etablieren und dem Einzelhandel den Aufbau von Online-Präsenzen unkompliziert möglich machen. Im Fokus sollte der Aufbruch in eine neue Ära stehen, der nur mit einer Wachstumsagenda statt zusätzlicher Belastungen wie Steuererhöhungen gelingen kann."
Planungssicher Klimaschutzziele erreichen
Peter Hübner, Präsident des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie
„Die Bauindustrie realisiert eine nachhaltige, smarte und resiliente Infrastruktur. Grundlage dafür sind planungssichere Investitionen für Erhalt, Um- und Ausbau von Verkehrsträgern und Gebäuden. Eine Kopplung von funktionalen Ausschreibungen, Planung und Bau ist dabei ein Schlüssel, um die technologische, innovative und organisatorische Leistungsfähigkeit unserer Unternehmen zu nutzen, innovative Baustoffe und -verfahren zu integrieren und weg von der Billigstpreisvergabe zu kommen. Wenn Infrastrukturbeschaffung zudem noch digitaler, unbürokratischer und flexibler wird, können wir als Bauindustrie viel dazu beitragen, Klimaschutzziele zu erreichen, die Mobilitätswende voranzubringen und mehr kostengünstigen Wohnraum zu schaffen."
Digitale Teilhabe verbessern
Dr. Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer Bitkom
„Die Digitalisierung wurde in Deutschland zu lange vernachlässigt – und die Liste der Hausaufgaben für die neue Bundesregierung ist lang. Wir müssen unter anderem unsere digitale Souveränität auf ein neues Niveau heben, die digitale Teilhabe in der Gesellschaft verbessern, durch Digitalisierung nachhaltiger wirtschaften und unsere Resilienz deutlich stärken. Dafür muss der Staat agiler werden, es braucht eine Neuordnung der Aufgaben und Subsidiaritäten von Bund, Ländern und Gemeinden. Herausragende Bedeutung hat ein Digitalministerium, das bei digitalpolitischen Themen die Federführung übernimmt. Verwaltungsprozesse in den Behörden müssen durchgängig digitalisiert werden. Und wir brauchen digital kompetente Bürgerinnen und Bürger – das geht nur mit einem Recht auf digitale Bildung."
Fonds für Strukturwandel
Dr. Hans-Jürgen Völz, Chefvolkswirt des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft
„Die neue Bundesregierung sollte für die ersten 100 Tage Sofortmaßnahmen mit Entlastungen für den Mittelstand benennen. Konkret wünschen wir uns erstens die Einrichtung eines staatlichen Transformations- und Eigenkapitalfonds‘ in Höhe von 40 Milliarden Euro jährlich für die nächsten zehn Jahre zur Bewältigung des Strukturwandels infolge der Digitalisierung, Dekarbonisierung und des demografischen Wandels. Zweitens die Schaffung eines innovations- und investitionsfreundlichen Abgabesystems mit Absenkung der Stromsteuer auf das europäische Mindestniveau sowie die Förderung der Eigenerzeugung von Strom. Unternehmenssteuern müssen auf 25 Prozent gesenkt und Sozialbeiträge bei 40 Prozent gedeckelt werden. Neben einem Bürokratieentlastungsgesetz und einem Regulierungsmoratorium ist ein Planungs- und Genehmigungsbeschleunigungsgesetz unverzichtbar. Drittens sollten jährliche Arbeitszeitkonten wöchentliche Höchstarbeitszeiten ablösen."
Faire Transformation
Jörg Köhlinger, Leiter des IG Metall-Bezirks Mitte (Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Thüringen)
„Eine nachhaltige Industriepolitik erfordert einen aktiven Staat, der sich seiner Verantwortung bewusst ist und den Umbauprozess nicht den sogenannten freien Marktkräften überlässt. Der Wandel des industriellen Sektors ist nachhaltig und sozialökologisch zu gestalten. Wir erwarten, dass die neue Bundesregierung diesen Prozess tatkräftig unterstützt und mit finanziellen Mitteln flankiert. Denn der industrielle Sektor ist eine der wichtigsten Säulen unseres Sozialstaates. Der Umbauprozess kann nur mit den Beschäftigten zusammen gelingen, ein herausfordernder und komplexer Umbau erfordert mehr Mitbestimmung. So ist zu verhindern, dass Produktion und Entwicklung sowie Kompetenzen und Innovationsfähigkeit verloren gehen. Die Politik hat dafür die notwendigen rechtlichen Bedingungen auszubauen. Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz reicht dafür nicht aus. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wollen ihre Erfahrungen und Kompetenzen in die aktuelle Debatte über die Zukunft der Produktions- und Wirtschaftsweise einbringen. Und die Politik muss ihre Handlungsspielräume gegenüber der Wirtschaft zurückerobern, damit eine sozial und ökologisch orientierte Industriegesellschaft gestaltet werden kann. An ihrer Veränderungsbereitschaft wird die IG Metall die zukünftige Bundesregierung messen. Denn die Transformation wird nur mit öffentlichen Investitionen in Infrastruktur und verlässliche Rahmenbedingungen gelingen."
Digital, fair und nachhaltig
Hans Peter Wollseifer, Handwerkspräsident, Zentralverband Deutsches Handwerk
„Die künftige Bundesregierung muss einen positiven Zukunftsentwurf für unser Land erarbeiten: Sie muss sicherstellen, dass Steuern zu verkraften sind, Sozialbeiträge nicht weiter ansteigen und Bürokratie die Betriebe nicht erdrückt. Nachhaltiges Wirtschaften und Leben wird zukunftsentscheidend sein. Dabei muss Politik Wege finden, die Klimaschutz und wirtschaftlichen Erfolg gleichermaßen ermöglichen. Die künftige Regierung muss die berufliche Ausbildung stärken und sie auch finanziell gleichwertig zum akademischen Bereich fördern, damit es künftig genügend Fachkräfte gibt, um die ambitionierten Zukunftsaufgaben umzusetzen. Zudem muss sie die Digitalisierung vorantreiben. Dazu gehört ein flächendeckendes schnelles Internet, eine digitale Verwaltung und ein fairer Datenzugang auch für KMU."