Wahlplakate – manch einen ärgern sie, andere freuen sich, wenn ihre Partei im Stadtbild mal wieder so richtig präsent ist, da man sich dann doch damit identifizieren kann. Ein kleiner Einblick in die Werkstatt, in der sie entstehen.
Bunt. Bunter. Bundestagswahl. Wahlplakate – sie stehen und hängen wieder zu Hunderten an den Straßen, an den Laternen, auf dem Mittelstreifen. Laschet mit Models, die so etwas wie Menschen darstellen sollen, die arbeiten. Scholz immer allein mit einem Wahlzettel in der Hand, Lindner nachts am Schreibtisch, Giffey mit Hund und Senior. Baerbock und Habeck immer hinter einem grünen Schleier, weil alle Plakate von den Grünen aussehen, als seien sie durch eine erbsengrüne Soße gezogen. „Deutschland gemeinsam machen" (CDU) steht da, und, „Scholz packt das an", „Nie gab es mehr zu tun" (FDP), „Alle im Blick" (CDU), „Jetzt!" (Linke), „Deutschland. Aber normal" (AfD), und „Bereit, weil ihr es seid" (Grüne). Slogans, die kurz sein müssen, oft nichtssagend und grammatikalisch problematisch: Was heißt zum Beispiel: „Deutschland gemeinsam machen"? Wer macht hier was?
Was aber passiert hinter den Kulissen, bevor die Plakate sechs bis acht Wochen vor dem Wahltermin in die Augen stechen? Um die Wählerschaft in ihrer Entscheidung zu beeinflussen, umzustimmen oder zu bestätigen, werden monatelang ganze Kampagnen analog und digital entwickelt. Und das von hochprofessionellen Kommunikations- und Werbefachleuten.
Farbigkeit, Typografie und Bildsprache
„Ein sehr schweres Thema für die Gestalter, denn viele, viele Menschen haben in dem Entwicklungsprozess etwas zu sagen", resümiert Volker Noth. Er hat als Grafik-Designer über 25 Jahre die Plakate der Internationalen Filmfestspiele Berlin entworfen. Heute sind seine Plakate unter anderem im Deutschen Plakatmuseum Folkwang Essen zu sehen.
Noth weiß: In den Entstehungsphasen kann es auch schon einmal bitter für die Gestalter werden. Wichtig ist es stets, einen Kompromiss zu finden. „Es ist mir klar, dass Plakate für kommende Wahlen sehr schwierig in der Umsetzung sind. Trotzdem kann man mit gestalterischen kleinen Stolpersteinen bei Farbigkeit, Typografie und Bildsprache Neugier wecken."
„Merkwürdig ist merkfähig", sagt dazu Kurt Georg Dieckert, Creative Direktor der Wahlkampagne Bündnis90/Die Grünen mit Hinweis auf seine Plakatierung im „Aufbruchsgrün".
In der Regel erhalten Agenturen erst nach mehreren Präsentationen den Zuschlag von den Parteien. Für die Linken erhielt die Agentur Berliner DiG/Plus unter Leitung von Volker Ludwig die Wahl-Kampagne, für die SPD die Hamburger Werbeagentur Brinkert-Lück Creatives. Bündnis90/Die Grünen griffen auf ein für sie bereits bewährtes Konzept mit der Gründung einer Pop-up-Agentur zurück. Aus der Erfahrung vorheriger Wahlkampagnen bündelten sie die Stärken verschiedener Player aus unterschiedlichen Agenturen. Mit ihrer eigens für die Wahlkampagne gegründeten Agentur Neues Tor 1 bilden so Matthias Riegel von der Berliner PR-Agentur Wigwam den strategischen und Kurt Georg Dieckert von Dieckertschmidt den kreativen Kopf.
Strategie, Kreation und Text bleiben die Hauptbereiche für die Umsetzung des Wahlkampfs, meint auch Stephan Brause von Brinkert-Lück Creatives. Die Agenturen Heimat für die FDP, Serviceplan für die CDU sowie die AfD machten auf mehrfache Nachfragen keinerlei Angaben zu ihren Kampagnen.
Und worum geht es bei den Wahlkampagnen generell? Natürlich um Vertrauen. Darin unterscheidet sich ein Werbeplakat kaum von einem Wahlplakat. Und das Vertrauen fängt zwischen Auftraggebern, den Parteien und den Agenturen an. Vorteilhaft ist, wenn die kreativen Macher vorherige Landes- und Bundestagswahlkampferfahrungen mitbringen. Die Arbeitsabläufe ähneln sich. Briefing, Bildung eines Kernteams, Analysen, erste Entwürfe und immer wieder Abstimmungsrunden mit der Wahlkampfleitung. Ein permanent zielführender Austausch mit gestalterischen oder textlichen Anpassungen. Dabei sind sie immer gefragt, die Kompromisse.
Und wieviel künstlerische Leistung bleibt dann noch? „Sehr viel. Wenn wir eine Agentur wären, die einfach nur die Vorgaben und Wünsche des Kunden umsetzt, hätte die SPD uns sicher nicht ausgewählt. Wir arbeiten auf Augenhöhe mit dem Kunden und gestalten viele Ideen in Eigenregie, die wir dann dem Kunden zur Abstimmung geben. Dass die Plakate der SPD so aussehen, wie sie jetzt aussehen, hat auch viel mit der von uns entwickelten Strategie zu tun. Wir haben von Beginn an gesagt, wir wollen der SPD ihr traditionelles Rot wiedergeben", so Stephan Brause. Bis zur finalen Präsentation bleiben die Ideen und Konzepte der Kampagne vor der Öffentlichkeit geheim. Vertrauensvolle Zusammenarbeit heißt das. Es passiert dann doch schon mal, aber sehr selten, dass ein interner Entwurf auf einer Pressekonferenz vor der Kamera landet, wie durch Bodo Ramelow zur neuen Markenentwicklung 2005 der Linken. Nach dem Schreck gab es dann doch noch Erleichterung, denn es war nicht das Endergebnis der neuen Visualisierung.
„Wir wollten für die SPD ihr traditionelles Rot"
Verantwortung ist ebenfalls ein Schlagwort in der Entwicklung von Kampagnen und zwar Verantwortung für die Verwaltung des Wahlkampfbudgets. Das sind Millionenbeträge. Für die SPD umfasst es insgesamt 15 Millionen Euro, für Bündnis90/Die Grünen 12,5, Millionen Euro. Insgesamt wird das Wahlkampfbudget des Bundes für die Bundestagswahl 2021 bei rund 100 Millionen Euro liegen.
Ob sich der Einsatz der Mittel gelohnt hat, das zeigt sich am 26. September gegen 18 Uhr. Bis dahin stehen die Wirkung der Claims und der Bildsprache auf den Plakaten noch auf dem Prüfstand. Ob es letzten Endes gelingt, die Wähler durch die Gestaltung der Wahlplakate zu motivieren, sich mit politischen Inhalten näher zu beschäftigen, ist eher zu bezweifeln. Wahlplakate können verstärken, Haltungen festigen, aber sie werden es nicht schaffen, zu überzeugen. Zu knapp ist die Zeitspanne, in der sie wirken können.