Die Liberalen mischen wieder mit. Am Ende könnte sich die FDP in der Rolle des Kanzlermachers wiederfinden. Ausgemacht ist das aber noch nicht. Christian Lindner hält sich Optionen offen.
An ihm kommt voraussichtlich erst mal keiner nach dem 26. September vorbei. Zumindest, wenn die Wahlergebnisse sich in etwa in dem Rahmen abspielen, den letzte Umfragen signalisieren. Christian Lindner auf den Spuren von Hans-Dietrich Genscher? Das fragen sich manche in Kommentarspalten und sehen den FDP-Chef schon in der Rolle des Kanzlermachers, die einst der legendäre Genscher ausspielte.
Lindner sieht sich selbst im Wahlkampf aber zunächst einmal als Wahrer von Freiheit und Bürgerrechten und seine Partei vor allem in der Sonderrolle, als einzige nicht das Geld mit offenen Armen rauszuschleudern. Beim ersten „Triell" der Kanzleramtsaspiranten sei „in jedem Wortbeitrag Geld verteilt" worden, wettert der FDP-Chef auf Wahlkampftour. Irgendwie wollten alle das entweder mit höheren Steuern oder neuen Schulden finanzieren. Nicht mit der FDP! Dass Steuerhöhungen ausgeschlossen sind, sei für die Liberalen „ein Leitgedanke", und noch mehr Schulden schlicht „brandgefährlich". Soziales und Klimaschutz seien auch der FDP wichtig, aber ohne starke Wirtschaft sei das schließlich nur eine „unrealistische Träumerei".
So weit, so bekannt und in Lindners Rhetorik überzeugend, so wie etwa bei einer kleinen Kundgebung zur Mittagszeit in der Saarbrücker Fußgängerzone. Wahlkampf in Corona-Zeiten zwischen Kaufhaus und Eiscafé, im Gedränge schneller Besorgungen in der Mittagspause noch ein paar politische Botschaften („Nie gab es mehr zu tun"), Hauptsache im Freien, professionell improvisiert und pandemiegerecht.
Etwas gewöhnungsbedürftig sind die Umfragewerte, auch für die Liberalen selbst. Zufriedenheit – ja klar. Aber keine Euphorie. Die Stimmung bei den Liberalen ist irgendwo zwischen selbstbewusst und vorsichtig skeptisch. „Möglichst nah an die Grünen" will Lindner am Wahlabend. Aber ob man den Umfragen trauen kann? Bis jetzt hat das „der Lindner gar nicht so schlecht gemacht", meinen Parteifreunde, und spielen dabei auf eine eigenständige Positionierung in der Corona-Politik an. Unausgesprochen bleibt: Jetzt bloß keine Fehler machen!
Derweil bereitet der Parteichef schon mal Positionierungen für mögliche Sondierungsgespräche vor. Die Präferenz in Richtung einer unionsgeführten Regierung scheint offensichtlich. Gleichzeitig hört sich vieles nach einer Warnung in Richtung SPD für den Fall möglicher rot-grün-gelber Verhandlungen an, die Liberalen zu sehr mit Verweis auf eine rechnerisch mögliche Zusammenarbeit mit den Linken zu quälen. Bei Verhandlungen mit der Union dürfte die FDP eine deutlich stärkere Position haben. Erstens, weil die Union deutlich geschwächt aus dieser Wahl hervorgehen könnte, selbst wenn sie im Schlussspurt noch mal kräftig zulegen würde. Und zweitens, weil dann die FDP eben auch mit einer anderen rechnerischen Option pokern könnte. Es sind muntere, aber auch irritierende Farbspiele, die da zwei Wochen vor der Wahl diskutiert werden. Nicht nur bei den Liberalen.
Irritierende Farbspiele
Dabei war die FDP lange nicht so recht im Blickfeld des Wahlkampfs. Die Schlagzeilen widmeten sich eher der Performance der Kanzleramtsaspiranten. Fast unbemerkt im Windschatten robbte sich die FDP in Umfragen in den zweistelligen Bereich hinein. Vergessen das Knirschen, das als sichtbarer Ausdruck vor einem Jahr zum Austausch auf dem Posten des Generalsekretärs führte. „Bis jetzt hat er alles richtig gemacht", nickt man sich am Rande der kleinen Wahlkampfveranstaltung zu. Jetzt bloß keine Patzer in einer Situation, in der jede Veranstaltung etwas vom Charakter vorgezogener Sondierungsgespräche hat. Die Aussicht, in die Rolle früherer Erfolgsjahre als Kanzlermacherpartei zurückzufinden, überdeckt einiges an internen Konfliktlinien.
Immerhin hat es Lindner geschafft, auch festgemacht an der Positionierung in der Corona-Politik, das Image der FDP als Freiheitspartei, als Verteidigerin der Bürgerrechte, sichtbarer zu machen. Und das in einer Phase, in der aufgrund der Krisensituation ansonsten der Ruf nach einem starken Staat so laut war, dass einige Kommentare nun das endgültige Ende der liberalen Ära nahen sahen – wie es ja schon vielfach vorausgesagt war. „Wählen Sie nicht taktisch, wählen Sie nach ihren Grundüberzeugungen", rief Lindner vom kleinen Podium in der Saarbrücker Fußgängerzone. Und nicht nur dort. Seine Tour durch Deutschland ist ein beachtliches Pensum. Eine Tour, auf der Lindner immer wieder davor warnt: „Bei den großen Veränderungen droht das Individuum mit seiner Freiheit unter die Räder zu kommen." Die FDP stehe dafür, dem „Sanierungsfall Deutschland" wieder mit Bildung, bürokratischer Entfesselung und einer liberalen Grundhaltung auf die Beine zu helfen.
Das neue Selbstbewusstsein ist aber nicht ganz ungetrübt. Der Versuch der Union, die letzte Strecke des Wahlkampfs zur Richtungswahl zu erklären, kann den Liberalen nicht ganz geheuer sein. Erstens, weil sie damit selbst unter einen Erklärungsdruck gesetzt werden, dem sie möglichst ausweichen wollen. Aber auch, weil nach allen Erfahrungen enge Zuspitzungen in der Schlussphase eines Wahlkampfs in der Regel zulasten der kleineren Parteien gehen.
Auf den Titelseiten blicken uns ohnehin eher die Triellisten an, aus denen sich zuletzt zunehmend ein Schluss-Duell Laschet/Scholz herauskristallisiert hatte. Die FDP hat Christian Lindner – aber keinen Kanzlerkandidaten. Ihm fehlt die große TV-Bühne in der Schlussphase.