Die SPD hat Nerven behalten und sich in Umfragen vor die CDU gesetzt. Entschieden ist aber nichts. Anke Rehlinger, stellvertretende Bundesvorsitzende sowie Landesvorsitzende und Wirtschaftsministerin im Saarland, über rote Socken, schwarze Leerstellen und den Landtagswahlkampf.
Frau Rehlinger, glaubt man den Umfragen der letzten Tage, hat sich das Blatt zugunsten der SPD gewendet. Worauf führen Sie das zurück?
Es liegt ganz sicher am Kanzlerkandidaten. Olaf Scholz packt an, die Menschen nehmen ihm ab, dass er nicht nur redet. Olaf Scholz kann Kanzler, andere können es nicht, so sehen das viele. Und das ist der Grund, warum er die Umfragen anführt. Auch die SPD als Partei legt bei den Kompetenzwerten zu. Die Menschen erkennen: Wenn die SPD gebraucht wird, ist sie da. Die SPD ist vielleicht nicht immer die Hippeste, aber ihr kann man das Land anvertrauen.
Die Entwicklung der Umfragewerte war rasant. Mit wie viel Skepsis bewerten Sie das?
Wir haben auch in Landtagswahlen erlebt, dass Umfragen noch keine Wahlergebnisse sind. Allerdings muss man feststellen, dass es für die SPD einen anhaltend positiven Trend gibt. Ich verlasse mich aber nicht so sehr auf Umfragen, sondern viel mehr auf Gespräche vor Ort, wo ich wie lange nicht mehr auf höchst positive Resonanz stoße. Armin Laschet mit seinem Zickzackkurs halten die Leute nicht für verlässlich. Wenn man es im größeren Rahmen sieht, kommt der Stimmungswechsel auch nicht so überraschend. Und zwar nicht nur im Bund, sondern wie es scheint auch in den Ländern. Viele erkennen, dass die CDU ohne Angela Merkel eine andere ist und niemand auch nur annähernd ihr Format besitzt. Die CDU hat sich auf einem zehnprozentigen Merkel-Kissen ausgeruht, und das ist jetzt weg.
Die Union versucht nun auf den letzten Metern, auf einen Richtungswahlkampf zuzuspitzen mit der Warnung vor einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei. Manche sprechen von einer Neuauflage der „Rote-Socken-Kampagne". Wir reagieren die Menschen Ihnen gegenüber darauf?
Entweder schütteln die Leute den Kopf, oder es ist überhaupt kein Thema. Die Union könnte über die Zukunft der Industrie, Klima und erneuerbare Energien, solide Finanzen oder andere Herausforderungen unserer Zeit reden. Aber es zeigt sich, dass die Union dort eine große schwarze Leerstelle hat und ihr nichts anderes einfällt als den Eindruck zu erwecken, mit Olaf Scholz käme der Kommunismus. Das glaubt aber niemand.
Sie haben vom direkten Kontakt mit Menschen gesprochen. Deren Themen sind oft andere als die, die in Berlin wichtig sind. Ist das auch Ihre Erfahrung?
Es wird in Berlin sehr viel über Personen diskutiert. Es geht ja auch darum, wem man zutraut, das Land gut zu regieren und auch auf internationaler Bühne zu vertreten. Es ging aber auch viel um Lappalien und schräge Halbsätze. Mein Eindruck ist, dass sich Bürgerinnen und Bürger für eine Reihe ganz anderer Themen interessieren, etwa, wie die Zukunft der Industrie aussieht, wie man Arbeitsplätze erhalten und neue schaffen kann. Oder wie wir ein gut aufgestelltes Gesundheitssystem hinbekommen. Das sind Themen, die mir begegnen.
Bei Umfragen steht zuletzt in der Regel soziale Gerechtigkeit ganz vorne bei wichtigen Themen, dahinter kommt etwas abgeschlagen Klimaschutz. Hat sich da etwas verschoben?
Ja, da hat sich in der Aufmerksamkeit etwas verschoben. Ich sage dazu politisch: In der Dringlichkeit und Notwendigkeit muss beides geregelt werden, und beides verschränkt miteinander. Ein Klimaschutz, der kein soziales Gesicht hat, wird nicht funktionieren. Und teilweise ist Klimaschutz auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, denn die Folgen werden oft von den Schwächeren in der Gesellschaft zu tragen sein. Auf der anderen Seite zeigt es, dass sicher auch coronabedingt existenzielle Fragen zugenommen haben. Wer trägt zum Beispiel die Lasten der Coronakrise? Da werden auch die Unterschiede zwischen den einzelnen Parteien in steuerpolitischen Ansätzen deutlich. Die CDU hat sich entschieden, dass sie für Top-Verdiener Steuern senken will. Das Prinzip der SPD ist, dass starke Schultern in einer solchen Situation mehr tragen sollen als andere. Die Menschen haben ein gutes Gespür dafür, wann Dinge gerecht und wann sie ungerecht sind. Das mag auch zur Entwicklung der Umfragen beigetragen haben.
Wenn ich jetzt nach möglichen Koalitionen frage, ahne ich die obligatorische Antwort kurz vor der Wahl. Trotzdem: Wähler fragen sich ja, was sie nach der Wahl bekommen.
Man bekommt vor allen Dingen viel Sozialdemokratie mit allen guten Ansätzen und einem stark aufgestellten Kanzler Olaf Scholz, wenn man die SPD wählt. Das hilft am meisten beim Durchsetzen von Inhalten in Koalitionsverhandlungen. Mit wem die zu führen sein werden? Das zu beantworten war, glaube ich, noch nie so schwer, wie das augenblicklich der Fall ist. Es zeigt sich, dass sich die Ausschließeritis, die es eine Weile mal gab, nicht mehr durchsetzt. Alle erkennen, dass das Land vor schwierigen Aufgaben steht. Ich glaube, wir brauchen eine schnelle Regierungsbildung, damit wir handlungsfähig sind. Es gibt wichtige Entscheidungen zu treffen, nicht nur in der Pandemie sondern auch zur Sicherung von Arbeitsplätzen. Da macht man es sich nicht einfacher, wenn man von vornherein alles Mögliche ausschließt.
Im Saarland ist die Wahl besonders spannend. Erstens ist es das einzige Bundesland, in dem die Grünen als Partei nicht wählbar sind, zweitens aber auch, weil es nahtlos in den Wahlkampf für die Landtagswahl im kommenden März geht. Wie wirkt sich diese besondere Situation aus?
Es ist ein Wahlkampf, in dem, wie die letzten Wochen zeigen, alles möglich ist. Wenn der Landtagswahlkampf ansteht, würde ich mir natürlich wünschen, dass wir in diesem Landtagswahlkampf von einem Bundeskanzler Olaf Scholz unterstützt werden. Die Saar-SPD hat es in den letzten Wahlen immer geschafft, zwischen fünf und zehn Prozent über den Ergebnissen der Bundes-SPD zu liegen. Für die Landtagswahl im März ist alles drin. Wir als SPD können das Saarland regieren. Das zeigen wir täglich, und wir wollen auch von vorne führen.
Es ist ja unverkennbar, dass der Bundestagswahlkampf schon längst vom Blick auf die Landtagswahl überlagert wird. Wie ist die Stimmung in der Koalition?
Ob Wahlkampf ist oder nicht: Die Regierung hat in den letzten Jahren immer gezeigt, dass an allererster Stelle das Regierungsgeschäft steht – bei allen Unterschiedlichkeiten und Streitigkeiten, die man auch außerhalb von Wahlkämpfen auszutragen hat. Natürlich haben wir jetzt Bundestagswahlkampf, aber die Saarländerinnen und Saarländer können sich darauf verlassen, dass das Land gut und verlässlich regiert wird.
Was wird in den Monaten bis zur Wahl im März noch auf der Agenda stehen?
Noch so einiges. Ich kann da insbesondere für meine Zuständigkeiten sprechen. Wir sind ein wenig verzögert durch Corona gewesen, aber wir haben einiges vorangetrieben, und ich bin froh, dass wir noch wichtige Zukunftsimpulse auf den Weg bringen können. Ich habe in diesen Tagen einen Energiefahrplan vorgelegt. Wir wollen den Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch im Saarland bis 2030 mindestens verdoppeln. Ich werde noch in dieser Legislaturperiode daraus einen Klimaschutzplan entwickeln. Das ist auch ein Statement, eine Zielrichtung. Halbherzigkeiten können wir uns nicht leisten. Dann haben wir das Fairer-Lohn-Gesetz, kein Lohndumping mit Steuergeld, auf der Agenda. Es geht nicht nur darum, wer neue Arbeitsplätze im Land schafft, sondern auch, wie diese Arbeitsplätze ausgestaltet sind. Da werden wir Vorreiter in Deutschland sein. Der Staat geht als Vorbild voran und sagt: Faire Löhne sind Tariflöhne. Beim Thema Zukunft der Stahlindustrie müssen dicke, dicke Bretter gebohrt werden. Da wird uns nichts geschenkt, da müssen wir am Ball bleiben. Der Cispa Innovation Campus wird vorangetrieben. Und es geht natürlich um die Sicherung der Zukunft von Ford in Saarlouis – das sind nur ein paar Punkte, aber für die Zukunft des Landes wesentliche Punkte. Wir haben also einiges zu tun.
Eineinhalb Jahre Pandemie haben ziemlich viel infrage gestellt und haben nicht nur wirtschaftliche Folgen. Wie nehmen Sie die atmosphärischen Veränderungen in der Gesellschaft wahr?
Die erste Phase der Pandemie, Anfang 2020, war geprägt von Verunsicherungen und der Notwendigkeit, schnell zu handeln. Die Pandemie ist noch nicht vorbei, aber wir treten jetzt in eine neue Phase. Auf diese veränderte Situation mit hohen Impfquoten müssen wir uns als Politik und in der Gesellschaft einstellen. Es geht jetzt nicht mehr nur und ausschließlich darum, Corona zu überleben, sondern mit Corona leben zu lernen. Da sehe ich in drei Bereichen besondere Herausforderungen: Wie gehen wir mit dem verschärften Strukturwandel um? Wir müssen konsequent auf Ansiedlungen setzen, auf das Halten von bestehenden Arbeitsplätzen, das Schaffen von neuen Jobs. Zweitens: Wir müssen dort, wo sich durch die Pandemie Bildungsdefizite aufgetan beziehungsweise Spaltungen verschärft haben, künftig noch mehr in Bildung investieren. Wir sind schon sehr, sehr gut, das haben uns jüngste Studien bestätigt. Darauf dürfen wir uns aber nicht ausruhen. Investieren in Bildung ist das wichtigste, selbst wenn wir dafür Schulden machen müssen, weil es Investitionen in die Zukunft sind. Und als Drittes: Die gesellschaftliche Debatte hat sich eher dahin entwickelt, dass wir viel übereinander, aber weniger miteinander reden, und dass man sich in der eigenen Meinung eingeigelt hat. Da müssen wir wieder raus. Wir brauchen wieder mehr gesellschaftliches Miteinander. Im Übrigen meine ich, dass sich die Aufgeregtheit des letzten Jahres ein bisschen gelegt hat, sicher nicht für alle, zugegebenermaßen, aber für die meisten. Das kann auch Fundament sein, um jetzt noch einmal durchzustarten.
Der gegenseitige Vertrauensverlust, über den vielfältig diskutiert wurde, hat also nicht zu einer völligen Loslösung geführt?
Diese Aufgebrachtheit, der Frust und auch viele berechtigte Existenzängste haben mir insbesondere in der Hochphase der Pandemie, wo uns allen, auch Politikern, die direkte Rückkopplung mit anderen weitgehend gefehlt hat, schon Sorgen bereitet. Wenn man da nur in soziale Netzwerke geschaut hat, wurde einem schon angst und bange, dass sich viel Zwietracht breitmacht. Jetzt hat man wieder viele Gespräche: auf dem Markt, am Gartenzaun, im Restaurant. Ich stelle jetzt schon fest, dass die allermeisten doch zurückblickend sagen: Das haben wir alle miteinander, und da beziehen sie auch die Politik mit ein, ganz gut hingekriegt. Es gibt auch Gespräche mit Verbänden, wo man natürlich darüber redet, was man jetzt noch tun muss, um über den Herbst zu kommen, wo aber auch anerkannt wird, dass man die Dinge, bei allem, was man besser hätte machen können, doch im Großen und Ganzen ganz gut gemanagt hat. Ich erlebe, dass die Menschen wieder sehr offen sind, über die Zukunft zu reden.