Läuferin Maja Schorr ist mit gerade einmal 17 Jahren schon U20-Europameisterin mit der 4x400- Meter-Staffel geworden. Ihr Erfolgsrezept: das Trainingskonzept ihres Vaters und Trainers Werner Schorr und ihre herausragende mentale Stärke.
Es ist ein Lob aus berufenem Munde: „Die startet durch. Auf jeden Fall", ist Lisa Schorr sicher. Die 39-jährige frühere Top-Sprinterin des SV GO! Saar 05 meint ihre kleine Schwester Maja. Die ist gerade einmal 17 Jahre alt und mischt seit einiger Zeit die Leichtathletik-Szene in Deutschland mächtig auf. Und das, obwohl sie wegen einer langwierigen Verletzung (Knochenödem) erst seit Mai 2021 vollumfänglich trainieren kann. Im Sommer 2021 wurde die Neunkircherin mit der 4x400 Meter-Staffel in Estland überraschend U20-Europameisterin. Zwei Wochen später wurde sie souverän Deutsche U18-Meisterin – von den dabei gebrochenen Saar-Rekorden ganz zu schweigen. Ihre Bestzeit über 400 Meter: 53,95 Sekunden. Auch über 800 Meter gehört sie zu den Besten ihres Alters in Deutschland. Ihre nächsten Ziele hat sie fest im Blick: Die Teilnahme an der U20-Weltmeisterschaft 2022 in Kolumbien und an den Olympischen Spielen 2024 in Paris und damit quasi vor der eigenen Haustür.
„Beim Laufen spüre ich ein Freiheitsgefühl – es fühlt sich an, als würde ich fliegen", schwärmt Maja Schorr von ihrer größten Leidenschaft. Schon früh durfte sie ihrer Schwester beim Training zusehen und konnte es nicht erwarten, endlich auf eigenen Beinen zu stehen. „Sie hat leider Gottes die Krabbelphase übersprungen", klagt ihr Vater und Trainer Werner Schorr mit einem Lächeln und erklärt: „Tatsächlich wirkt sich dies auf die Diagonalkoordination von Händen und Füßen aus. Hier hat sie ein kleines Defizit, an dem wir seither arbeiten und das sie schon sehr stark verbessert hat." In Kindertagen hatte sich Maja auch als Turnerin und Fußballerin ausprobiert, aber die Leichtathletik hatte sich schnell durchgesetzt. Erst beim TuS 1860 Neunkirchen, seit Ende 2018 dann beim SV GO! Saar 05.
Die große Schwester ist begeistert
Von der Entwicklung ihrer kleinen Schwester ist Lisa Schorr, die bei der U23-EM 2003 mit der 4x100-Meter-Staffel Bronze gewann, regelrecht begeistert: „Ich kann mich mit ihr inzwischen über hochkomplexe Sportthemen unterhalten, das war noch vor ein paar Jahren nicht der Fall", erzählt sie und fügt an: „Wir können auch immer noch zusammen albern sein, so ist das ja nicht." Die beiden hatten immer schon ein „sehr harmonisches, entspanntes Verhältnis", auch über den Sport hinaus. Vor jedem wichtigen Wettkampf ruft Maja ihre große Schwester an. „Sie wird schon mal nervös, wenn Lisa nicht gleich rangeht", verrät Papa Werner. „Lisa hilft mir immer sehr, vor allem bei mentalen und emotionalen Themen. Sie weiß als ehemalige Leistungssportlerin genau, wie ich ticke und sie hat sehr viel Erfahrung, die sie an mich weitergibt", ergänzt Maja dankbar.
Dass ihr Vater gleichzeitig auch ihr Trainer ist, stört Maja Schorr nicht. Im Gegenteil: „Ich finde das total gut und kann mir gar nicht vorstellen, wie es anders wäre. Mein Papa kennt mich genau und weiß genau, was ich gerade brauche", beschreibt sie die Beziehung zu ihm und stellt klar: „Es ist auch nicht so, dass wir ständig nur über das Sportliche reden." „Es gibt einen Grundsatz: Die Führungsgröße muss die Athletin oder der Athlet sein. Viele Eltern machen den Fehler, dass sie selbst emotional vorneweg marschieren. Das geht immer schief", weiß Werner Schorr. Er kam 35 Jahre lang einem Lehrauftrag am Sportwissenschaftlichen Institut der Universität des Saarlandes nach, ehe er sich vor einigen Jahren dazu entschied, nur noch als freischaffender Maler und Bildhauer zu arbeiten. Dass seine Motivations-Strategie funktioniert, zeigen die starken Zeiten, die seine jüngste Tochter abliefert. „Die Grenzen zwischen Trainer und Papa verlaufen fließend. Ich finde das optimal", bestätigt Maja.
Die immer neuen Bestzeiten erreicht sie mit einem speziellen von ihrem Vater entwickelten Trainingsprinzip, das darauf ausgelegt ist, „mit so wenig Training wie nötig so viel zu erreichen wie möglich", erklärt Schorr senior. Weniger bringt demnach mehr. Intelligente, unspezifische, kreative und auch mal unkonventionelle Übungen sollen dafür sorgen, dass über Jahre hinweg immer neue Reize gesetzt werden können. „Je weniger man in jungen Jahren trainiert, desto länger kann man das Training steigern und umso länger kann man sich entwickeln. Wenn man schon alle Trainingsmittel im Jugendbereich abgearbeitet hat, stumpft der Körper gegen diese Reize ab", erklärt Werner Schorr und stellt klar: „Wenn Trainer oder Eltern zu früh zu ehrgeizig sind, kommen die Athleten zu früh an ihre Leistungsgrenzen."
Das ist bei Maja noch lange nicht der Fall. In besonderem Maße stellte sie ihre aktuelle Leistungsfähigkeit im Finale der U20-EM im Juli unter Beweis. Als Schlussläuferin übernahm sie die Spitzenposition und verteidigte diese gegen die wild angreifenden Konkurrentinnen in dominanter Art und Weise. Mit beeindruckender Körpersprache, starker Zeit und deutlichem Vorsprung kam sie ins Ziel und sicherte der deutschen Staffel die Goldmedaille. Nur zwei Wochen später stand dann Anfang August mit der Deutschen U18-Meisterschaft ihr bisher schwierigster Wettkampf auf dem Plan: Es war ihr erster, zu dem sie als klare Favoritin angereist war – und das noch euphorisiert von dem Gewinn der Europameisterschaft. Die neue Situation und den damit einhergehenden Stress konnte die Jugendliche allerdings erstaunlich gut verarbeiten und lieferte erneut ab: Sie wurde mit deutlichem Vorsprung Deutsche Meisterin. „Es ist zwar stressig, aber irgendwie auch schön, Favoritin zu sein. Es gibt einem Selbstvertrauen und Sicherheit, wenn man die stärkste Bestzeit hat", findet Maja. Es wird ihr sicher leichtfallen, sich an diese Rolle zu gewöhnen.
Im Sommer 2022 steht das Abi an
Ohnehin fällt ihr so einiges leicht, womit andere sich schwertun: „Maja kann sich enorm gut konzentrieren. Auch in der Schule ist sie sehr gut", berichtet Werner Schorr. So gut, dass sie nicht die Vorteile des Sportgymnasiums am Rotenbühl in Saarbrücken in Anspruch nimmt, wo sie die Oberstufe um ein Jahr strecken könnte (G9), sondern ein „normales" Abitur 2022 am Gymnasium am Steinwald in Neunkirchen anstrebt. „Ich staune, wie gut sie strukturiert ist und wie gut sie das hinkriegt", lobt ihr Papa und gibt zu: „Teilweise erst um vier Uhr aus der Schule kommen, danach Hausaufgaben, Leistungssport und lernen – also ich hätte das nicht geleistet." Wie sie das macht? „Es ist nicht so, dass ich in meiner Freizeit nur lerne", betont Maja und erklärt: „Aber wenn ich etwas für die Schule mache, dann bin ich ganz bei mir und konzentriere mich sehr darauf. Ich versuche auch, schon in der Schule gut aufzupassen, um möglichst wenig nacharbeiten zu müssen."
In der so erhaltenen Freizeit fotografiert sie gern Motive in der Natur und dreht Videos für die Veröffentlichung in sozialen Medien. Lesen und Musik hören kommen auch nicht zu kurz. Sie weiß eben, was sie will – auf der sportlichen wie auch auf der schulischen Laufbahn. Das bekommen ab und an auch einzelne Lehrkräfte zu spüren, wenn Maja sie als gewählte Kurssprecherin freundlich, aber bestimmt auf die Ausbaufähigkeit ihres Onlineunterrichts hinweist. Weniger bringt eben nicht immer mehr.