So schnell, wie der Australier Rod Laver einst seine Punkte machte, fallen die Entscheidungen beim nach ihm benannten Showevent, in dem „Team Europe" und „Team World" gegeneinander antreten. Diesmal ist vom 24. bis 26. September erstmals keiner der „Großen Drei" dabei.
Ob der Kanadier Felix Auger-Aliassime, Matteo Berrettini, Stefanos Tsitsipas oder Olympiasieger Alexander Zverev: Von der anerkannten Legende namens Laver führt der Weg in der Tennisunterhaltung nach dem „Big"-Trio über ein unterhaltsames Show-Turnier zu nachrückenden Spielern, die in einer neu beginnenden Tennisära für Schlagzeilen sorgen.
Ein Blick in die Vergangenheit: Rod Laver gewann zwei Grand Slams und gilt als größter Tennisspieler des 20. Jahrhunderts. Als erster Sportstar seiner Disziplin stand er dafür, gutes Geld für gute Unterhaltung und große Leistungen zu verdienen. Bereits 1976 sagte der Mann mit der raketenartig agierenden linken Hand Goodbye zum Sportlerdasein. Mit 38 Jahren, in einer Lebensphase, in der Rafael Nadal, Novak Djokovic und der mittlerweile 40-jährige Roger Federer weiterhin an ihren persönlichen Legenden-Rekorden feilen.
Aktuell geht es also um die potenziellen beziehungsweise real existierenden Legenden des 21. Jahrhunderts, die seit 2017 üblicherweise alljährlich in wechselnden Städten zum Laver Cup gebeten werden. Diesmal ist alles ein wenig anders, verspricht dafür Abwechslung in der Tennisunterhaltung: Das Knie hält Federer, einen großen Bewunderer Rod Lavers, davon ab, am von ihm mitinitiierten Show-Spektakel teilzunehmen. Nadal und Federer berauben dieses Jahr unverschuldet die Zuschauer, auch an den Bildschirmen (Eurosport und Sky), des Vergnügens, historische Szenen zu sehen, wenn etwa Nadal engagiert seinen Erzrivalen Federer am Spielfeldrand coacht. Ein Ereignis mit Seltenheitswert, das 2019 vielleicht entscheidend für den Sieg im Match-Tiebreak von Federer über Nick Kyrgios war.
„Ich bin wirklich enttäuscht, dass ich dieses Jahr den Laver Cup verpasse", sagte der Schweizer. „Team Europe ist trotzdem wahnsinnig gut aufgestellt, und ich wünsche ihnen allen das Allerbeste, wenn sie um ihren vierten Laver Cup-Gewinn kämpfen". Sechs Spieler der aktuellen Top zwölf der Welt sind im neuen Team Europe zu finden, das angehende Legenden vereinen soll.
Umso interessanter wird am nächsten September-Wochenende zu beobachten sein, ob beispielsweise Zverev und Tsitsipas die Köpfe zusammenstecken und sich gegenseitig anfeuern. Obwohl sie im Showzirkus der Profis sonst große Konkurrenten sind, auch um die allmählich freiwerdenden vordersten Plätze der Top Ten. Bei den French Open warf Stefanos im Halbfinale der Nachrücker-Generation Sascha aus dem Grand Slam. War die Toilettenpause des Griechen schuld? Zverev brachte bei den US Open eine Änderung des Regelwerks ins Gespräch. Der Name von Stefanos Tsitsipas fiel in New York bei manchen „On-Site"-Diskussionen. Die Frage, ob sich Tennisspieler impfen lassen sollten, gehörte auch dazu. Doch für mehr Aufregung sorgten achtminütige Toilettengänge und die Frage, was dabei so passiere. Wobei wenig berücksichtigt wurde, dass sich Tennisprofis bei heißen Matches sicherlich gern privatissime umziehen und versuchen, den Schalter im Kopf umzulegen, wenn ihr Spiel schlecht läuft.
Sechs Top-Spieler sind im Team Europe vertreten
Zverev wurde nach seinem Auftaktsieg bei den US Open ebenfalls zum Toiletten-Thema befragt, antwortete unbekümmert: „Das passiert jedes Spiel, das ist doch nicht normal. Gegen mich und Novak Djokovic bei den French Open, in Hamburg gegen Filip Krajinovic, dann wieder gegen mich in Cincinnati und nun gegen Andy Murray in New York. Stefanos spielt super, wenn er in den Satzpausen nicht gerade zum Mond und zurückfliegt". Andy Murray, der Vierte im Bunde, wenn die aktiven Legenden im Welttennis im Viererpack gesehen werden, twitterte: „Fun Fact des Tages: Es dauert doppelt so lange für Tsitsipas, aufs Klo zu gehen, wie es für Jeff Bezos dauerte, ins Weltall zu gelangen."
In Boston soll das alles egal sein. Aus dem U25-Kosmos rückte Tsitsipas nach, wie auch der Russe Andrey Rublev und der Norweger Casper Ruud. Denn auch Dominic Thiem ist diesmal beim Laver Cup nicht dabei, wenn es darum geht, ob „Team Europe" gegen „Team World" den Pokal des Showevents holt. Dieser vergnügliche Mannschaftsgeist, mit dem am Rande der Doppel- und Einzelpartien nicht nur die „Alten" ganz locker Erfahrungen und Ratschläge an die „Jungen" weiterreichen, sondern manch verdienter Spieler beim Mitfiebern und Anfeuern in Ekstase gerät, ist der spezielle Reiz des Laver Cups. So sagte vor zwei Jahren der Schweizer Maestro zum damals nervös agierenden Italiener Fabio Fognini: „Ich möchte nichts Negatives mehr, nur noch Positives."
Debütant Daniil Medvedev soll als Nummer zwei der Welt im Team Europe heuer den Ton angeben. Wie gut der 25-Jährige in Mannschaftsspielen ist, zeigte er beim ATP Cup Anfang des Jahres, als er mit seinem Team im Finale gegen Italien siegte. Saisonübergreifend gewann der Russe 20 Spiele nacheinander, scheiterte bei den amtierenden Weltklassespielern lediglich gegen Novak Djokovic im Finale der Australian Open. „Ich freue mich, auf derselben Seite des Netzes gegen einige meiner größten Rivalen auf der Tour zu spielen", ließ der manchmal sehr unbewegt, dann wieder höchst emotional wirkende Russe durchaus humorvoll vermelden. Matteo Berrettini teilte Medvedevs Schicksal, in diesem Jahr in einem Grand-Slam-Finale gegen Djokovic zu unterliegen. Den Italiener traf es in Wimbledon. Für einen 25-jährigen, der erst seit 2017 auf der ATP-Profi-Tour unterwegs ist und sich seit 2018 systematisch hocharbeitete, ist ein Wimbledon-Endspiel im Lebenslauf ein wichtiger Schritt ins Legenden-Terrain. Italien rühmt den jungen Römer und ließ den Wimbledon-Finalisten auf der Triumphfahrt von Fußballeuropa-meister Italien mit im Bus durch die Straßen fahren.
The Show must go on – beim Laver Cup diesmal eben ohne die „Big Three", unter Björn Borg als offiziellem Coach. Dafür mit Jungstars, die selbst beachtliche Leistungszeugnisse aus der Gegenwart vorweisen. Siehe Alexander, genannt „Sascha" Zverev. Am Rande der US Open analysierte die Nummer vier der Welt bei Eurosport, warum es ihm jetzt leichter fällt, sein Können im Wettkampf zu zeigen. Als Schlüsselelement benannte er den Moment, in dem er sein Halbfinale gegen Djokovic in Tokio gewonnen hat und nachfolgend – vergleichsweise locker – im Finale gegen Karen Khachanov die Goldmedaille errang. Zverev: „Es ist mental etwas geplatzt. Ich kann jetzt mit Tennisspielen aufhören, und ich werde immer Olympiasieger sein."
Die mentale Seite, Selbstbewusstsein und Respekt, sind Sportlern wichtig. Das spiegelt sich auch im Umgang miteinander in der „Eitelkeitsbörse eines Tennisspielers" wider, wie Boris Becker auf Eurosport die Gemeinschaftsumkleide nannte. Sascha antwortete auf Beckers diesbezügliche Frage, dass der eine oder andere schon einen Schritt weiter nach links oder rechts gehe, so wie er es bei den großen Drei beobachtet habe.
Die Augen der deutschen Fans richten sich auf Zverev
Jetzt ist also Zverev dran mit respektvoller Distanz, die andere Spieler gegenüber dem Erfolgreichen in einem großen Turnier einnehmen. Der erste männliche Sieger aus Deutschland bei den Olympischen Spielen: Das ist ähnlich wie ein Wimbledon-Sieg zu bewerten, für einen begeisterten Teamplayer wie Zverev persönlich sogar noch wichtiger. Nicht lange nach den Olympischen Spielen gewann er das hochrangige Masters von Cincinnati. Dort hatte der 24-Jährige bisher nie die erste Runde überstanden. Hochmotiviert startete der Hamburger in die US Open, zurück auf Rang vier der Welt. Mit 17 offiziellen Karrieretiteln, darunter fünf 1000er-Titel, die direkt unter den Grand Slams rangieren, außerdem einem ATP-Weltmeistertitel, hat „Onkel Sascha", der mit seinem kleinen Neffen auch mal Cartoons auf dem Tablet schaut, vor seinem 25. Geburtstag mehr erreicht als viele andere Spitzenspieler in ihrer gesamten Karriere.
Der höchst erfolgreichen (U-)25-Mannschaft aus Europa könnte das Team World unter Tennislegende John McEnroe heuer den Cup-Sieg schwer machen. Der Argentinier Diego Schwartzman, der 2020 bei den French Open im Halbfinale Nadal besiegte und dadurch erstmals in die Top Ten einzog, ärgert seine Gegner öfter durch seine unvorhersehbare Spielweise. Die US-Amerikaner Reilly Opelka und John Isner sind angesichts ihrer Körpergröße von weit über zwei Metern nicht zu unterschätzen. Denis Shapovalov bekam bei den US Open seinen Schläger klein. Der zweite Kanadier, der 21-jährige Felix Auger-Aliassime, arbeitete sich seit 2019 erst in die Top 100 und nachfolgend bis auf Platz 15 der Weltrangliste hoch.
Ein ebenso guter, wie unterhaltsamer und erfahrener Team-Spieler ist der Australier Nick Kyrgios. Seit seiner pandemiebedingten Auszeit läuft es für den 26-Jährigen sportlich nicht top. Das ist dem Enfant terrible der Tennisszene weniger wichtig als anderen Berühmtheiten. Kürzlich sprach er davon, „die besten Jahre seines Lebens" nicht unbedingt den gelben Bällen, sondern lieber Familie und Freundin widmen zu wollen. Auf seine Art ist auch dieser Spieler ein Großer. Beim Laver Cup geht es darum, Legenden zu definieren. In jährlich wechselnden Städten, heuer in Boston/USA, kommendes Jahr in London. Ob einer der „Großen Drei" zurückkehrt? Wer weiß, die Welt dreht sich weiter.