In der Regionalliga Nordost kickt eine kleine Berühmtheit. Nader El-Jindaoui ist aber nicht wegen seiner großen Karriere in aller Munde, sondern wegen seiner Social-Media- Aktivitäten. Doch beides gehört irgendwie zusammen.
Ein doppelter Übersteiger – und der Mann mit der Nummer 7 auf dem Trikot schlüpft blitzschnell am Gegenspieler vorbei. Schnitt. Dann ein frecher Tunnel mit dem Außenrist und ein Vollsprint Richtung Tor. Schnitt. Ein satter Linkschuss, der Ball zappelt im Netz, die Teamkollegen springen dem Torschützen in die Arme. Das 6,15 Minuten lange Youtube-Video mit den besten Szenen des oben beschriebenen Fußballers haben sich fast eine halbe Million User angesehen. Doch dabei handelt es sich nicht um Cristiano Ronaldo, auch nicht um irgendeinen anderen prominenten Profispieler.
Fußballer aus Leidenschaft
Das Highlight-Video zeigt einen Fußballer, der bei transfermarkt.de mit einem Marktwert von gerade einmal 75.000 Euro gelistet ist. Der in der Regionalliga Nordost beim Berliner AK kickt. Der aber trotzdem eine größere Fanbase hinter sich bringt als die meisten Erstliga-Profis: Nader El-Jindaoui. Nie gehört? Dann sind Sie vermutlich in den sozialen Netzwerken nicht so aktiv unterwegs. Nader El-Jindaoui folgen bei Instagram eine Million Menschen! Zum Vergleich: Der exzentrische Max Kruse von Union Berlin, der in der Bundesliga als größter Instagram-Star gilt, erreicht nicht mal die Hälfte an Followern. Und ganze Clubs wie Mainz 05 oder VfL Wolfsburg können von diesem Bekanntheitsgrad auf der vor allem für Jugendliche extrem wichtigen Plattform nur träumen.
Berühmt geworden ist der 24-Jährige aber nicht wegen seiner fußballerischen Klasse. In seinen Internet-Beiträgen geht es so gut wie nie um Fußball, sondern um Dinge aus dem Leben, die meistens sehr privat sind. Besonders auf dem Youtube-Kanal „Jindaouis", den er zusammen mit seiner Frau Louisa betreibt, gibt das Paar einen detaillierten Einblick über alles, was sie so erleben, was sie über welche Themen denken. Die Videos werden oft über eine Million Mal geklickt, zu Zehntausenden gelikt und kommentiert. Ein Beispiel: Das Video, in dem die Jindaouis den Namen ihrer noch ungeborenen Tochter (Imani) enthüllen, schauten sich etwa 1.000.000 Menschen an. 68.000 reckten virtuell den Daumen nach oben, 2.500 Kommentare wurden unter dem Beitrag geschrieben.
Die Werbung, die vor dem Video geschaltet wurde, dürfte entsprechend teuer gewesen sein. Influencer wie El-Jindaoui verdienen so ihr Geld, Fußballspielen muss er aus finanziellen Gründen nicht mehr. Und doch tut er es, weil er das Spiel liebt. „Fußball ist Leidenschaft", sagt er. Und sein Club profitiert enorm davon. Zum einen ist der Offensivspieler ein Leistungsträger beim Berliner AK, nach neun Ligaspielen hat er bereits fünf Tore erzielt. Zum anderen lockt der Social-Media-Star die Besucher an, zu den Heimspielen im Poststadion kommen rund 2.000 Menschen – fast alle wegen El-Jindaoui. Vor, während und nach den Spielen werden Handys gezückt, alle wollen ein Foto mit ihm. Es wird gekreischt wie bei einem Popkonzert.
„Wir haben den Aufriss schon ein Jahr", sagt Trainer Andre Meyer relativ unbeeindruckt. Eine Sonderrolle räumt er seinem berühmten Spieler nicht ein, es sei „klar besprochen, welche Aufgabe" El-Jindaoui beim BAK habe. „Er ist hier nicht der Youtube-Star sondern ein einfacher Fußballer", betonte Meyer. Auf jeden Fall ein Fußballer, der niemals aufgibt. „Ich weiß, was ich kann", sagt El-Jindaoui selbstbewusst und fügt hinzu: „Ich habe ja schon oben geschnuppert. Und da war ich noch nicht so weit, wie ich es jetzt bin." Doch auch wenn sich sein Traum vom Profifußball nicht mehr erfüllen sollte, es wäre keine Katastrophe mehr für den gebürtigen Berliner. Er hat auf schmerzhafte Weise erfahren, dass andere Dinge im Leben wichtiger sind. „Der Trainer steht hinter mir, die Mannschaft steht hinter mir", sagte er: „Ich habe Spaß, ich habe meine Familie an meiner Seite. Und ich habe Louisa an meiner Seite."
Ärzte prophezeiten das Karriereende
In jungen Jahren hatte er sich stets gegen seine Jugendliebe und stattdessen für den Fußball entschieden. Aufgewachsen im Wedding („Es war nicht immer leicht dort") findet er erst spät, im Alter von zwölf Jahren, zum Fußball. Doch er zeigt schnell großes Talent, zwei Jahre später holt ihn Energie Cottbus ins Jugendinternat. „Ich hatte 50 Euro Taschengeld, das hat gereicht", erzählt er. Das weitaus größere Problem war ein epileptischer Anfall, „mein Körper hat es damals nicht ausgehalten". Der junge Mann berichtet in einem Youtube-Video davon, wie ihn eine Ärztin mit Tabletten behandelte, die ihm „das Vitamin D aus den Knochen" gezogen hätten. Danach sei er immer wieder verletzt gewesen. „Erst bin ich ein paar Wochen ausgefallen, dann mehrere Monate, dann wollte mich der Verein nicht mehr haben."
Die Ärzte sagten ihm: Du wirst nie wieder Fußball spielen können. Doch das stachelte El-Jindaoui nur noch stärker an. Mithilfe seines Managers trieb er einen Zahnarzt in Düsseldorf auf, der ihm sieben Zähne zog – den Grund allen Übels. Doch die Vereine blieben skeptisch. „Ich habe mich mehrfach beworben, aber keiner wollte mich haben. Damals ist für mich deswegen eine Welt zusammengebrochen", erzählt er. Er wollte aufgeben, sei „in falsche Kreise" geraten. Doch dann meldete sich doch noch ein Club nahe Berlin. El-Jindaoui nahm wieder Kontakt zu Louisa auf, die er im Alter von 16 Jahren erstmals kennengelernt hatte. Doch die Liebe konnte nicht wachsen, denn El-Jindaoui wagte in der Ferne bei der SpVgg Greuther Fürth einen neuen Anlauf Richtung Profifußball. Dort schnitt er sogar Video-Szenen von sich selbst zusammen, um sich beim Trainer der Ersten Mannschaft anzubieten. „Von allein passiert in dem Geschäft nichts", sagt er.
Als er kurz vor dem Sprung in die Zweite Liga stand, kam der nächste Rückschlag: wieder eine Verletzung, wieder Zahnprobleme, wieder eine Operation. Für die Kosten von 20.000 Euro kam erneut sein Berater auf, denn als Fußballer verdiente El-Jindaoui damals nicht einmal 1.000 Euro im Monat. Bei seiner nächsten Station bei Fortuna Düsseldorf blieb das Pech ein treuer Begleiter: Seine erste Wohnung lag über einer Disco, in seiner zweiten war die Heizung kaputt. El-Jindaoui war dauermüde, konnte seine Leistungen nicht konstant abrufen. Der Verein ließ seinen Vertrag auslaufen – dann kam Corona.
„Ich habe Pfandflaschen gesammelt", gibt El-Jindaoui zu. Auch Louisa ging es damals nicht gut, beide intensivierten wieder den Kontakt und gaben sich gegenseitig Halt. „Ich dachte mir: Nader, du hast dich zweimal im Leben gegen Louisa entscheiden und zweimal für Fußball, entscheide dich jetzt einmal für die Liebe." Es war eine goldrichtige Entscheidung. Beide holten das nach, was sie in den sieben Jahren der Trennung davor versäumt hatten. Und dabei filmten sie sich, stellten die Videos online und wurden mit der Zeit zu Internetstars. „Wir haben zusammengehalten und uns etwas aufgebaut", sagt El-Jindaoui. Er erklärt den Erfolg damit, dass bei ihnen nichts gekünstelt sei, nichts gespielt. Ihre Liebe sei echt, ihr Leben sei echt. „Wir haben einfach aus dem Herzen heraus geredet. Wir hatten nichts – aber wir hatten uns", so El-Jindaoui.
Man merkt dem werdenden Vater an, dass er angekommen ist im Leben. Er scheint sehr glücklich, auch wenn ihm nicht alles gelungen ist. Doch gerade der unerfüllte Traum vom Profifußball hat ihn dorthin gebracht, wo er heute ist. Der erfolgreiche Influencer erreicht ein Millionen-Publikum, er verdient gutes Geld und spielt trotzdem ambitioniert Fußball.