Nach einem beschwerlichen Start gelingt Hertha BSC in Bochum der erste Saisonsieg. Von einer Initialzündung kann jedoch noch keine Rede sein.
Nicht auszudenken, hätte Suat Serdar den Platz vorzeitig verlassen müssen. Herthas Neuzugang griff sich vergangenen Sonntag während der ersten Halbzeit des Spiels in Bochum in einer Situation wiederholt ans Knie und versuchte, das Gelenk durch Beugen und Strecken wieder in den Idealzustand zu bringen. Zunächst musste es allerdings eher „unrund" für den 22-Jährigen weitergehen – kurz vor der Pause dann aber war von der Beeinträchtigung nichts mehr zu sehen. Im Gegenteil: Erst nutzte er die Passivität der VfL-Deckung zu einem Sololauf, den er überraschend ungehindert zum 0:1 abschließen durfte. Wenig später war er auch genau an der richtigen Stelle, um den Ball nach einem von den Gastgebern produzierten Wirrwarr im Strafraum kurzerhand zum 0:2 einzuschießen. Nennenswerte Chancen hatte Hertha BSC bis dato nicht gehabt, wusste sich immerhin aber mit fortlaufender Spielzeit der kampfstarken Bochumer besser zu erwehren. Trotzdem war die Zwei-Tore-Führung zur Pause das Optimum – und hätte den bis dahin punktlosen Berlinern Mut und Selbstvertrauen für den zweiten Durchgang geben können.
Doch so schnell geht es eben doch nicht bei einem Ensemble, an dem schon wieder erhebliche personelle Änderungen vorgenommen wurden und das sich in den drei Spielen zuvor reichlich ungefestigt präsentiert hatte. Gegen die Wucht der Bochumer Aufholjagd nach der Pause jedenfalls fiel den Hauptstädtern nicht mehr als kämpfen ein. Einerseits war auch das zuletzt keine Selbstverständlichkeit – andererseits stimmte es bedenklich, wie schnell der Ball nach Eroberung regelmäßig wieder in den Besitz der Hausherren überging. Das Anschlusstor durch Zoller nach einer Stunde fiel somit beinahe zwangsläufig und ließ Ungutes erwarten, was die Punktausbeute von Hertha BSC betraf. Doch dann leistete sich der Aufsteiger eine weitere Abwesenheit in der Defensive, die der eingewechselte Neuzugang Myziane Maolida gleich bei seinem Debüt im Hertha-Dress mit einem Torerfolg krönte. Damit war der erste Saisonsieg unter Dach und Fach, die Einstellung des historisch schlechtesten Bundesligastarts von 1972/73 (vier Niederlagen in Folge) und damit drohender Ärger vorerst abgewendet.
Personelle Änderungen sorgen noch immer für Probleme
Den hatte es nach dem missglückten Start der Blau-Weißen schon während der länderspielbedingten Bundesligapause genug gegeben. Da war zum einen das Auftreten von Pal Dardai: Herthas Übungsleiter hatte nach der 0:5-Pleite in München schließlich öffentlich bekundet, nicht an seinem Stuhl zu kleben – und sich in diesem Zusammenhang als „kleinen Trainer" bezeichnet. Das war nach dem dritten Punktspiel für den Geschäftsführer Sport eine Äußerung zur Unzeit. So unterstrich Fredi Bobic im Anschluss zwar, dass man keinen neuen Coach suche, sondern sich gemeinsam entschieden habe, den festgelegten Weg gemeinsam zu beschreiten. Damit hatte es sich aber auch mit dem öffentlichen Bekenntnis des Vereins zu seiner Legende. Es sei nicht gut gewesen, so der Sportvorstand, sich derart in der Öffentlichkeit zu äußern. „Wenn man in der Führung ist, muss man anders handeln und in die Mannschaft auch wieder positiver agieren", bewertete Bobic das Verhalten des Trainers vor allem als schädlich für das Team sowie dessen Konsolidierungsprozess. Und erläuterte die Situation nach dem reinigenden Gewitter wie folgt: „Es ist jetzt nicht alles wieder in bester Ordnung, aber in der Ordnung, dass wir von hier aus nach vorne arbeiten und nicht nach hinten schauen." Dazu seien auch Verweise auf die anhaltende psychologische Blockade bei seinen Schützlingen aufgrund der letzten Saison kontraproduktiv. Die hin und wieder mangelhafte Außendarstellung von Hertha BSC bekam Bobic außerdem zum Ende der Transferperiode zu spüren – so hatte die Social-Media-Abteilung am letzten Tag des Wechselfensters nach der Bekanntgabe der Verpflichtung von Myziane Maolida einen Transferladebalken veröffentlicht, der 22 Prozent anzeigte. Damit wurden nicht nur Hoffnungen geweckt, dass noch weitere Verpflichtungen folgen, sondern diese auch massiv enttäuscht, weil letztlich nicht ein einziger weiterer Spieler mehr geholt werden konnte. Das aber, so Bobic, hatte sich zum Ende der Transferfrist bereits deutlich abgezeichnet.
Einen ärgerlichen Déjà-vu-Effekt hatte dazu der Trainer bezüglich der Länderspielabstellungen. So durfte etwa Dedryck Boyata im Frühjahr zur belgischen Nationalelf reisen, obwohl er nach längerer Verletzungspause noch ohne Spielpraxis war. Um sich für die Europameisterschaft zu präsentieren, absolvierte Boyata dann jedoch Einsatzzeit für die „Roten Teufel" in einem Testspiel – und fiel anschließend wegen eines Muskelfaserrisses bei Hertha BSC wochenlang aus. Ähnlich verhielt es sich nun in der aktuellen Länderspielphase mit Neuzugang Stevan Jovetic: Der hatte sich in München wegen einer Wadenverletzung auswechseln lassen müssen, reiste aber dennoch zur Auswahl Montenegros. Nach einem Zwischenstopp bei einem ihm vertrauten Arzt in Belgrad nahm er in der Folge am Training seiner Nationalelf teil. Dabei traten die Probleme jedoch wieder auf und Jovetic musste angeschlagen und ohne Einsatz wieder abreisen. Ärgerlich, weil der Neuzugang in Ruhe bei Hertha BSC hätte behandelt werden können und ihm obendrein wertvolle Zeit zur Integration in den Kader und die Spielsystematik verloren ging. Durch den Ausfall des 31-Jährigen fehlte dazu in Bochum offensiv eine weitere Alternative: Außer Neuzugang Ishak Belfodil hatte Herthas Trainer schließlich für das Sturmzentrum nur den angeschlagenen Davie Selke (Rippenanbruch) auf der Bank. Immerhin griff Dardais Systemumstellung auf eine defensive Fünferkette ordentlich – wenn auch das Personal mit Jordan Torunarigha, vor allem aber Dennis Jastrzembski und dem eingewechselten Debütanten Linus Gechter (17 Jahre) durchaus überraschte. Schon im Heimspiel gegen die SpVgg Greuther Fürth (Freitag, 20.30 Uhr) wären somit die sechs Punkte aus den beiden Duellen gegen die Aufsteiger möglich, deren Einberechnung Pal Dardai im Vorhinein als „schon wieder Quatsch" bezeichnet hatte. Sollte dieser Erfolgsfall nun dennoch eintreten, besteht jedoch längst noch kein Grund zur Zufriedenheit. Dieses Fazit würde Herthas Trainer sicher als Allererster ziehen – und das mit Recht.