Quedlinburg bringt man eher mit jahrhundertealten Fachwerkhäusern in Verbindung, aber nicht unbedingt mit Gärten. Doch in der Unesco-Welterbe-Stadt laden gepflegte Parks zum Flanieren ein. Von einigen aus kann man – bei schönem Wetter – bis zum Brocken blicken.
Das sind unsere steilsten Stadtgärten", sagt Kai Wiebensohn. Dabei deutet der Verantwortliche für das Stadtgrün von Quedlinburg auf den Berg, genannt der „Schlossberg". Auf seiner Spitze thront die Stiftskirche St. Servatius aus dem 10. Jahrhundert. In den malerischen Terrassengärten am Hang blühen Blumen, Stauden und Obstbäume um die Wette.
„Wir hatten den Schlossberg neu terrassiert und einzelne Gärten an Anwohner vergeben." Die Hobbygärtner vom angrenzenden, so idyllischen Schlossberg-Gässchen brauchen nur ein paar Schritte vor die Haustür ihrer jahrhundertealten Fachwerkhäuser zu treten, um im eigenen Gärtchen zu pflanzen und zu ernten.
Die Glücklichen – sind doch Gärten in einer dicht bebauten mittelalterlichen Stadt etwas Besonderes. In Quedlinburg drängen sich mehr als 2.000 Fachwerkhäuser aneinander. Die einstige Königspfalz ist stolz auf ihren Unesco-Welterbe-Titel.
Viele Stufen führen den Pastorenweg auf den Schlossberg hinauf. Rosenblüten leuchten dort oben in kunterbunten Farben. Der formal angelegte Garten erinnert an die Barockzeit. Auf einer Seite schaut man direkt in den Weingarten des Quedlinburger Schlossberges, wo exakt 99 Rebstöcke wachsen.
Bei klarem Wetter reicht die Sicht von der Hauptaussichtsplattform des Schlossberges bis hin zum Brocken, dem sagenumwobenen Blocksberg, und seinem berühmten Hexentanzplatz. Der Blick auf die höchste Erhebung im Harz und die herb-romantische Mittelgebirgslandschaft gehört zu den Highlights bei Gartenbesuchen in der Region.
Der Brühl-Park erstreckt sich in Quedlinburgs Süden. Aus dem Barock stammt der Jagdstern, wo sich mehrere Schneisen durch den Wald sternförmig treffen. Wer den dicht bewachsenen Landschaftspark im englischen Stil mit den schattenspendenden alten Bäumen durchstreift, dem steigt der intensive Geruch des Bärlauchs in die Nase. Der Legende nach wurde das knoblauchartige Wildgemüse eigens angepflanzt, um olfaktorisch zu verhindern, dass Stiftsdamen sich beim Lustwandeln im Grünen den Abwegen hingeben. Der pikante Duft hätte sie verraten.
Wie ein Verbindungsstück zwischen Brühlpark und Stiftskirche liegt der Abteigarten mit barocker Hauptachse und Wasserbecken. Wo einst die Äbtissin sich erholte, erstrahlt heute ein orange-rotes Meer von Mohnblumen, biodynamisch gezogen.
Beim Blick aus der Vogelperspektive auf die Quedlinburger Stadtlandschaft sind nicht nur die Stiftsgärten zu erkennen, sondern auch die riesigen ehemaligen Lagerhallen für Saatgut. Diese architektonischen Relikte verweisen auf die lange Geschichte der Saat- und Pflanzenzucht, die in Quedlinburg über 200 Jahre zurückreicht.
„Die prächtigen Stadtvillen zeugen vom Erfolg der Saatgut-Züchter", erklärt Maya Behrens. „Zu DDR-Zeiten beschäftigte der VEB Saat- und Pflanzgut immerhin mehr als tausend Mitarbeiter." Auf ihren Stadtführungen erzählt die Gartengestalterin von der Blütezeit der Quedlinburger Saatgutproduktion. In ihrem eigenen „Mathildengarten" züchtet sie Bartlilien und führt damit die Tradition des historischen Züchtungsgartens in der Gegenwart fort.
50 Denkmale stehen für Gartenbaukunst des Landes
Der 2021 neu angelegte ‚Quedlinburger Züchterpfad‘ veranschaulicht mit Informationstafeln im Stadtgebiet die erfolgreiche Saatgutgeschichte der Stadt. Aufgrund günstiger klimatischer Bedingungen werden die Flächen um den Schlossberg seit über einem Jahrtausend als Gärten genutzt. 1930 existierten etwa 50 Saatgutbetriebe. Ein Viertel des Weltbedarfs an Zuckerrübensaatgut stammte früher aus Quedlinburg.
Doch weder Quedlinburg noch der Harz wird im Allgemeinen als Gartenregion wahrgenommen. Dabei lässt sich dort Gartengeschichte exemplarisch studieren: vom mittelalterlichen Klostergarten über den formalen Barockgarten bis hin zum englischen Landschaftspark. Im Lauf der Jahrhunderte entstanden im Harz Park- und Gartenanlagen, die teils wieder restauriert sind. 14 von ihnen gehören zum Netzwerk Gartenträume – Historische Parks in Sachsen-Anhalt. Dieser Gärtenverbund wurde im Jahr 2000 gegründet und umfasst insgesamt 50 Gartendenkmale, die exemplarisch für die Gartenbaukunst des Landes stehen.
Für die Neuanlegung der Klostergärten Michaelstein in Blankenburg hat Sabine Volk in Klosterplänen aus dem Mittelalter recherchiert. „Bei uns wachsen die klassischen Heilpflanzen der Klosterapotheke, wie sie auch im St. Gallener Klosterplan erwähnt sind", erklärt die Gartenexpertin, die ihre Diplomarbeit einst über Kloster- und Kräutergärten geschrieben hat.
„Einige Pflanzen, wie Thymian, Salbei oder Ysop, besitzen Inhaltsstoffe mit antibakterieller und antiviraler Wirkung. Eigentlich müsste man sich auf sie stürzen." Persönlich schwört sie auf Schafgarbe bei Magen-Darmbeschwerden und Zitronenmelisse bei Stress. „Wie von Zauberhand geht es mir dann besser." Die Pflanzenkennerin streift durch den üppigen Kräutergarten des ehemaligen Zisterzienserklosters und steckt ihre Nase in die Blüte der aromatisch duftenden Rose ‚Rosa alba‘, die an der Klostermauer hochrankt.
Die Beete im danebenliegenden Gemüsegarten des Klosters sind säuberlich abgezirkelt. „Wir ziehen nur historische Sorten wie Pastinaken, Kohl und diverse Salate hoch, die in den Kloster-Quellen auch ‚feine Gemüse des Abtes‘ genannt wurden", erläutert Sabine Volk. Gerade pflanzte sie einen Apfel- und Birnenspalier, der in den nächsten Jahren zu einem Tunnel zusammenwachsen wird. Bei aller Historie – der Garten soll sich auch weiterentwickeln.
Vom Mittelalter in die Zeit des Barocks spaziert der Gast in den gepflegten Schlossgärten von Blankenburg. Da wandelt er zwischen Putten, Springbrunnen, zu Pyramiden geschnittenen Eiben und Palmen in Kübeln zur Grotte, in welcher der Gott Neptun wartet. Der symmetrisch gestaltete Terrassengarten stammt aus dem 18. Jahrhundert.
Den Hang nach oben erstreckt sich der Berggarten, wo ein Teehaus ein lustwandelndes
Lebensgefühl imaginiert. Die mittelalterliche Stadtmauer begrenzt den Garten. „In einem der Befestigungstürme können Gäste auch übernachten", gibt Birgit Walsch von der Stadt Blankenburg als Tipp: „Wie Rapunzel schaut man da vom Turmfenster ins Grüne."
Lustgarten überrascht mit raren Gehölzen
Einen Panoramablick in die hügelige Landschaft des Harzes bietet die Aussichtsterrasse von Schloss Wernigerode, das hoch über der Altstadt sitzt. Asymmetrische Teppichbeete schmücken die große Freiterrasse. „An der Schlossmauer rankt der älteste und größte Efeu von Sachsen-Anhalt", versichert Christian Juranek, der Leiter des Schlossmuseums. Die Innenräume der einstigen Residenz des mächtigen Grafen zu Stolberg und Wernigerode sind opulent ausgestattet, besonders der Festsaal oder das fürstliche Schreibzimmer mit Originaltapeten aus Japanleder. Zu DDR-Zeiten war das Schloss als Feudalmuseum öffentlich zugänglich. Die schlossnahen Gärten verteilen sich auf mehreren Ebenen. Zu den romantischen Weinterrassen geht es ein paar Stufen hinab. Dort plätschert ein Springbrunnen. Wein rankt sich an den gusseisernen Stützen zweier Pergo-len empor, die zur Grotte des wilden Harzmannes leiten.
Am Fuße des Schlossbergs erstreckt sich der Lustgarten Wernigerode, ein historischer Park mit außergewöhnlichen Gehölzen. „Bei uns wachsen rare Exemplare wie der Eisenholzbaum, die Goldesche oder die schlitzblättrige Linde", berichtet Christiane Wichmann von der Stadt Wernigerode. Dabei zeigt sie auf das hübsch gefiederte Blatt dieses seltenen Baumes. Dazu gibt es ein Wäldchen aus 200 Esskastanien-Bäumen.
Ganz anders als dieser historische Landschaftsgarten wirkt der moderne Bürgerpark Wernigerode, das weitläufige Gelände der ehemaligen Landesgartenschau. Hier inspirieren 60 Themengärten für den eigenen Garten zu Hause. „Besonders beliebt ist der angeschlossene Miniaturenpark ‚Kleiner Harz‘", berichtet Sandra Pech, die gärtnerische Parkleiterin. Modelle der bedeutendsten Bauwerke im Harz bilden im Maßstab 1:25 eine Miniaturenlandschaft zum Durchspazieren. Auch das Kloster Drübeck ist im kleinen Format vertreten.
Im realen Kloster Drübeck dagegen herrscht kontemplative Ruhe. Der Ort diente zunächst als Kloster, später als Damenstift, also einer religiösen Lebensgemeinschaft von begüterten, zumeist adligen Frauen, die aber kein Gelübde wie Nonnen ablegten. In Drübeck besaß jede Stiftsdame einen eigenen ummauerten Garten in der Größe von 400 Quadratmetern. „Der diente zur Selbstversorgung", erläutert Nicole Lorenz vom Evangelischen Zentrum Kloster Drübeck. Diese Gärten der Stiftsdamen haben sich bis heute erhalten – samt Gartenhaus zur Kontemplation.
Park der Roseburg mit Figuren mutet märchenhaft an
Zu den Orten des weltlichen Vergnügens zählt das historische Schlosstheater von Ballenstedt. Nach einer Vorstellung ließe sich wunderbar im Schlosspark des ehemaligen Residenzstädtchens flanieren. „Der berühmte Peter Joseph Lenné hat den Landschaftspark mit seiner terrassierten Wasserachse gestaltet", erklärt Bettina Fügemann, die literarische Führungen durch die harmonische Parklandschaft unternimmt. Dabei tätschelt sie einen gusseisernen Löwen in Gold. „Auf dieser Skulptur von Johann Gott-fried Schadow saßen schon Generationen von Ballenstedter Kindern."
Auffällige Figuren wie Sphinxen, Büsten und sogar Grabsteine, stehen ebenso im Park der märchenhaften Roseburg. Da wundert es nicht, dass ihr Schöpfer auch für das Theater des Westens in Berlin verantwortlich war.
Der Theaterarchitekt Bernhard Sehring hat sich 1908 diese mittelalterlich anmutende Burg samt Mauer mit Zinnen quasi als Ferienhaus für den Sommer in Ballenstedt errichten lassen. Wie das Gebäude, so ist auch der Garten ein Mix aus verschiedenen Stilen. Auf versteckten Wegen und geschwungenen Treppen bewegt sich der Besucher wie durch eine Märchenwelt.
In dieser Kulisse kann man sich die theatralischen Feste gut vorstellen. Markant ist die 100 Meter lange, dekorierte Wasserkaskade, die sich abfallend über mehrere Terrassen zieht.