Wollin punktet mit dem wohl schönsten Ostseestrand. Nicht umsonst pilgern Scharen von Urlaubsgästen zu den kilometerlangen Stränden im nordwestlichen Polen. Auch das ruhigere Hinterland mit malerischen Fischerorten und einem alten U-Boot-Hafen ist sehenswert.
Wollin, in der Landessprache „Wolin", ist mit 250 Quadratmetern die drittgrößte Insel der Ostsee. Sie ist umschlossen von der Swine (Swina) und der Dievenow (Dziwna), beide sind Mündungsflüsse der Oder. Einen Großteil der Insel nimmt der Wolinski Park Narodowy, der Nationalpark Wollin ein, mit kleinen Seen, einer verwunschenen Moorlandschaft und sehr viel Wald. Sehr beeindruckend sind die Kliffküste und das weitverzweigte Swinedelta, aber auch die blumenreichen Wiesen im Hinterland, durchzogen von alten, wunderschönen Baumalleen. Im Nationalpark Wollin leben mehr als 230 Vogelarten, darunter Seeadler, Kiebitz oder Alpenstrandläufer. Sogar Wisente kann man in einem Tiergehege bestaunen, sie waren Mitte des 20. Jahrhunderts europaweit fast ausgestorben und wurden im Jahre 1976 hier wieder angesiedelt und gezüchtet.
Als wir Ende Mai in Heidebrink (Miedzywodzie) ankamen, war unsere Hotelanlage noch fast menschenleer. Wir waren die ersten Urlauber nach dem Lockdown. Doch schon am langen Wochenende, zu Fronleichnam, was im katholischen Polen natürlich ein Feiertag ist, änderte sich das sehr schnell. Das Hotel füllte sich rasant. Gemeinsam mit dem Nachbarort Dievenow (Dziwnow) hat sich das ehemalige Fischerdörfchen Heidebrink in den letzten Jahren zu einem beliebten Badeort gemausert. Es ist ein Platz für Menschen, die nicht unbedingt den Trubel der großen Seebäder suchen, viele Familien mit kleineren Kindern sind darunter. Gleich hinter dem Strand schließt sich ein breiter Kiefernwald an, ideal zum Radfahren und Wandern, aber auch ein schattenspendender Ort bei zu großer Hitze.
Im Winter sind Heidebrink und Duiwnow fast verlassene Orte. Bis auf ein paar Wellnesshotels sind die zahlreichen Restaurants, Bars und Cafés geschlossen. Im Sommer kommen allerdings immer mehr neue Pop-up-Stores hinzu. Ohne umständliche, bürokratische Wege öffnen hier rasch neue Eisbuden, Burger- oder Cocktailbars, die Auswahl ist riesig.
Vom Fischerdörfchen zum beliebten Badeort
Die ersten Tage im Hotel gab es das Frühstück noch mit Bedienung, da wurden warme Würstchen, Pfannkuchen oder Spiegeleier zum Tisch gebracht, ob man wollte oder nicht. Kaffee gab es zum Selbstbrühen mit Heißwasser in der Kanne und Instantkaffee. Doch als mehr Gäste kamen, stellte man zwei große Kaffeeautomaten für Cappuccino, Espresso oder Latte macchiato auf. Ein großes Büfett wurde aufgebaut mit kalten und warmen Speisen. Jeden Tag gab es nun frisch gemachte Salate, mindestens fünf davon mit Fisch, schließlich waren wir in einem Fischerdorf. Jeden Tag gab es zu den Standards etwas Neues: gefüllte Eier, Pfannkuchen mit heißen Kirschen, Würstchen in allen Variationen oder Milchnudeln.
Ein Pflichtprogramm auf der Insel ist der Besuch des Ostseebades Misdroy (Miedzyzdroje). Es ist eines der beliebtesten Seebäder Polens. Während des Zweiten Weltkriegs wurde Misdroy kaum zerstört und so findet man hier noch einige herrschaftliche Villen neben monströsen Hotelbauten des Realsozialismus und der Nachwendezeit. Zentrum ist die Promenade mit der 395 Meter langen Seebrücke, die mit vielen kleinen Geschäften belebt wurde. An jeder Ecke gibt es Eis, Waffeln mit Schlagsahne oder sogar „Berliner Döner Kebab". Obwohl es schöne Ecken zum Verweilen gibt, viele Sitzgelegenheiten auf der Promenade und auch im gepflegten Kurpark, ist Misdroy etwas für Leute, die es gern sehr lebendig mögen. An Nippes herrscht hier kein Mangel. Ob Sonnenbrillen, falsche Zöpfe, Kühlschrankmagneten oder Handtaschen, hier bekommt man alles, was man nicht braucht. Wer richtig gut essen will, sollte einen Strandspaziergang zum Fischerstrand machen. Dort liegen die kleinen, bunten Fischerboote. In winzigen Buden oder Strandrestaurants werden Scholle, Zander oder Steinbutt frisch geräuchert oder gebraten angeboten.
Wer die Geheimnisse dieser Insel entdecken möchte, startet am besten mit dem Rad ins Hinterland, zum Beispiel nach Lebbin (Lubin). Es ist ein schöner Weg immer am Ufer des Stettiner Haffs entlang. Dort trifft man, wie so oft, auf die deutsche Geschichte und die Spuren des Krieges. Seit 1100 regierten hier die Herzöge von Pommern, dann gehörte Wollin zu Preußen und ab 1871 zum Deutschen Reich. Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten alle Deutschen die Insel verlassen und Wollin gehörte zu Polen.
Schon am Tag zuvor waren wir bei einer Wanderung auf den Gosanberg, der immerhin 94 Meter hoch ist, auf eine alte Bunkeranlage gestoßen. Von dort bot sich ein herrlicher Ausblick auf die Küstenlandschaft bis Swinemünde, bei klarer Sicht sogar bis nach Ahlbeck. In Zalesie standen wir nun plötzlich vor einem V3-Museum mit Bunker. Drei Abschussrampen für die Erprobung der V3 gab es hier im Wald. Neben Peenemünde, mit der V1 und V2, sollte dies Hitlers Wunderwaffe Nummer drei werden. Bevor sie aber in Frankreich zum Einsatz kam, konnte sie glücklicherweise durch die Alliierten zerstört werden. Im Privatmuseum werden wir von einem polnischen Ehepaar in Militärkleidung empfangen, man spricht perfekt Deutsch. Wer will, kann sich draußen mit einer Rakete fotografieren lassen. Wir bevorzugten die Weiterfahrt, vorbei an Wirko und Wapnica, unberührte Dörfer jenseits der Touristenströme. Sie lassen die bescheidenen Verhältnisse erahnen, in denen hier noch viele Menschen leben. Wapnika heißt zu Deutsch „Kalkofen", denn hier wurde seit dem 17. Jahrhundert Kalk abgebaut. In den 50er-Jahren flutete man die große Kalkgrube, und es entstand der 21 Meter tiefe Türkissee. Die Farbe entsteht, wenn die Sonne auf den weißen Kalk im See scheint. Der Weg führt weiter nach Lebbin (Lubin). Bei Grabungen in den Jahren 2008 bis 2011 wurden Teile eines mittelalterlichen Wohnturms, aber auch die Reste einer Kirche und eines daran anschließenden Friedhofs entdeckt. Schon im 7. Jahrhundert siedelten hier an der Odermündung die Slawen. Der archäologische Schauplatz ist heute eingebunden in einen gepflegten Park mit Aussichtsplattform. Daneben ist ein sehr nettes Café-Restaurant mit dem wohl schönsten Ausblick auf das Stettiner Haff und Delta der Swine.
Wollin noch gezeichnet von Bombenangriffen
Das Küstenhinterland hat noch so manche Überraschung zu bieten, wie etwa den kleinen Fischerort Kasibor an der Swine mit einem beliebten Fischrestaurant, wo man auch Tretboote ausleihen kann. Unweit davon, in einem Nebenarm der Swine, liegt still und verlassen der ehemalige U-Boot-Hafen von Swinemünde. Auf den alten Piers wird heute geangelt oder gesonnt, rundherum gibt es lauschige Plätze für wilde Camper. Daneben verläuft der Hauptkanal, auf dem die großen Schiffe die Oder heraufkommen bis nach Swinemünde.
Auf der Rückfahrt wollen wir noch einmal nach Wollin, die Stadt, welche der Insel den Namen gab und die im 11. Jahrhundert sogar die größte Stadt Europas gewesen sein soll. Wollin, der erste polnische Hafen, eine Vielvölkerstadt und ein Handelsplatz von unermesslichem Reichtum. Adam von Bremen schrieb 1074: „Jumne (Wollin) wird von Slawen, aber auch Griechen und Barbaren bewohnt. Auch Sachsen erhalten dort das Recht zur Niederlassung." Im Hafen soll für mehr als 300 Schiffe Platz gewesen sein. War dies das berühmte Vineta? Welches durch den Hochmut seiner Bewohner untergegangen war? Rudolf Virchow führte in den 30er-Jahren zahlreiche Ausgrabungen durch und behauptete: Ja! „Vineta ist Wollin!" Längst hat das kleine Städtchen seinen Rang an die belebten Ostseebäder an der Küste abgegeben, es ist noch heute gezeichnet von den Bombenangriffen des Zweiten Weltkriegs. Eine kleine Stadt mit sozialistischen Plattenbauten und Einfamilienhäusern. Nur rund um den Marktplatz gibt es so was wie ein altstädtisches Zentrum. Neben dem gewaltigen neogotischen Rathaus befindet sich ein kleines Heimatmuseum was mit interessanten Exponaten aufwarten kann, so einer Statue des Slawengottes Swantewit, rund 1.100 Jahre alt. Auf dem Galgenberg vor der Stadt gibt es ein Gräberfeld mit über 30 Hügelgräbern. Es wird weiter nach vergangenen Spuren gesucht, aber die Moorlandschaft und das Flussdelta scheinen das Geheimnis von Vineta für immer verschlossen zu haben. Gegenüber auf der Dievenowinsel hat man in der Neuzeit ein Wikinger-Freilichtmuseum errichtet. Im Sommer kann man dort Brot backen, Bogenschießen oder mit motorisierten Wikingerschiffen aufs Stettiner Haff fahren.
Positiv überraschte uns in Wollin dann ein wirklich modernes Restaurant mit regional-frischer Küche. Das „Ka La Fior" erfreut seine Gäste nicht nur durch eine ausgezeichnete Küche und ein tolles Ambiente, sondern auch durch seine zuvorkommende Freundlichkeit, der wir in Polen immer wieder begegneten. Das tat uns nach dem langen Lockdown außerordentlich gut.
Warm- das sind in Polen vor allem Piroggi, Teigtaschen mit Fleisch, Kartoffeln oder Pilzen drin. Warm sind aber auch Würstchen, die mal dick wie Bockwürste oder dünn wie Nürnberger. Zum Glück waren wir in einem Fischerdorf und da gab es natürlich auch noch Fisch und das reichlich: geräuchert, gekocht oder mariniert.