Der Golfstrom, eine der wichtigsten globalen Meeresströmungen, schwächt sich derzeit ab – so stark wie schon seit 1.000 Jahren nicht mehr. Während Teile der Wissenschaft das als natürliche Schwankung erklären, machen andere Forscher in einer aktuellen Studie den menschengemachten Klimawandel dafür verantwortlich.
Was Roland Emmerich schon 2004 in seinem Katastrophenfilm „The Day After Tomorrow" thematisiert hatte, nämlich das Versiegen des Golfstroms mit dramatischen Auswirkungen auf Klima und Ökosystem der Nordhalbkugel, ist inzwischen näher an der Wirklichkeit, als man es damals vermuten konnte. Das hatten bereits 2015 Wissenschaftler des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung um den Ozeanografen Prof. Stefan Rahmstorf in einer Studie belegen können, bei der sie anhand von Temperaturdaten aus dem Atlantik den Nachweis liefern wollten, dass die Geschwindigkeit des Golfstroms, einer der wichtigsten globalen Meeresströmungen, in den zurückliegenden Jahrzehnten um 15 bis 20 Prozent gesunken und damit die massivste Veränderung seit mehr als 1000 Jahren eingetreten war. Ein komplettes Versiegen des Golfstroms wie im Hollywood-Blockbuster wollten die Forscher für die Zukunft nicht ausschließen.
Problem seit 80er-Jahren bekannt
Die mögliche Instabilität der Umwälzströmung im Atlantik, die offiziell als Atlantic Meridional Overturning Circulation (AMOC) bezeichnet, aber landläufig nur Golfstrom genannt wird, beschäftigt die Forschung schon seit den 80er-Jahren. Bereits 1961 hatte der US-amerikanische Ozeanograf Henry Stommel den der Instabilität zugrunde liegenden physikalischen Mechanismus beschrieben. Seinerzeit hatten Skeptiker aus der Wissenschaft die Ergebnisse der Potsdamer Studie noch stark infrage gestellt. Sie wollten vor allem nicht akzeptieren, dass das unzweifelhafte Nachlassen der atlantischen Strömung eine Folge des Klimawandels sein sollte, weil es auch ein „Teil eines natürlichen Zyklus" sein könne. Allerdings dürften ihnen die Ergebnisse einer neuen, Ende Februar 2021 im Fachmagazin „Nature Geoscience" veröffentlichten Untersuchung etwas den argumentativen Wind aus den Segeln genommen haben.
Klimaforscher rund um Dr. Levke Caesar von der irischen Maynooth University mit Unterstützung von Prof. Stefan Rahmstorf konnten aussagekräftige Hinweise dafür ermitteln, dass es sich bei der beispiellosen Abschwächung des Golfstroms, wie es sie seit den letzten 1.000 Jahren nicht gegeben hatte, nicht bloß um eine natürliche Schwankung handeln könne. Der Klimawandel lasse die Umwälzpumpe im Atlantik schwächeln, mit der verheerenden Folge, dassssich der Nordatlantik abgekühlt habe – mit massiven Auswirkungen auf die Wettersysteme vor allem in Europa und Nordamerika. Dennoch wird Emmerichs Szenario des Ausbruchs einer neuen Eiszeit eher für unwahrscheinlich angesehen.
Und so funktioniert der Klimamotor Golfstrom: Er ist ein wesentlicher Bestandteil der Atlantischen Meridionalen Umwälzzirkulation, bei der mithilfe des Golfstroms, der schließlich in den Nordatlantikstrom übergeht, ähnlich einer gigantischen Umwälzpumpe oder einem Mega-Förderband, warme, salzreiche Meerwassermassen als Oberflächenströmung aus den Tropen in den Nordatlantik, ins Europäische Nordmeer und den Arktischen Ozean transportiert werden. Dort wird Wärme aus der Oberflächenströmung an die Atmosphäre abgegeben, was letztlich für das vergleichsweise milde Klima in Mittel- und Nordeuropa sorgt, denn ohne das warme Meereswasser aus dem Südatlantik hätten diese europäischen Regionen ein ähnlich raues Klima wie Kanada. Durch die Wärmeabgabe erhöht sich die Dichte dieses oberen Teils des Meerwassers, es wird schwerer als die darunterliegenden Schichten, kann daher absinken und danach als kalter sogenannter tiefer westlicher Randstrom zurück in den tropischen Süden fließen. Für den Antrieb der AMOC sorgen zum einen die Unterschiede in Temperatur und Salzgehalt der Wassermassen, zum anderen Winde an der Oberfläche. „Das Golfstrom-System funktioniert wie ein riesiges Förderband, es bewegt fast 20 Millionen Kubikmeter Wasser pro Sekunde, etwa das Hundertfache des Amazonasstroms", so Prof. Stefan Rahmstorf.
Klimawandel stört perfekten Mechanismus
Die Erderwärmung hat laut einer gängigen Forschungs-Hypothese diesen perfekten Mechanismus in zunehmendem Maße gestört. Weil dem nördlichen Atlantik durch verstärkte Niederschläge und vor allem wegen des Abschmelzens des grönländischen Eisschildes inzwischen riesige Mengen von Süßwasser zugeführt werden, sinkt dort der Salzgehalt und damit die Dichte des Meerwassers. Dieses kann daher schlechter in die Tiefe absinken, wodurch die Strömung der Umwälzpumpe ins Stottern gerät und sich abschwächt. Diese Abschwächung konnte dank zahlreicher ab 2004 am Meeresboden installierter Mess-Instrumente für die letzten Jahre eindeutig dokumentiert werden, für wissenschaftlich belastbarere Aussagen eines anhaltenden Trends braucht es aber deutlich längere Zeitläufe.
Genau da setzte das Team rund um Dr. Levke Caesar an. Anhand sogenannter Proxydaten, die beispielsweise aus Jahresringen von Bäumen, fossilen Meeresorganismen wie Kalkschalen von Ozeantieren, Eisbohrkernen oder Meeressedimenten ermittelt werden konnten, versuchten sie die Entwicklung des Golfstroms über die letzten 1.600 Jahre zu rekonstruieren. „Wir haben eine Kombination aus drei verschiedenen Datentypen verwendet: Die Temperaturänderungen im Atlantik, die Verteilung der Wassermassen und die Korngrößen der Tiefsee-Sedimente, wobei die einzelnen ‚Archive’ von 100 bis circa 1.600 Jahren zurückreichen. Während einzelne Proxydaten bei der Darstellung der AMOC-Entwicklung unvollkommen sind, ergab die Kombination aller ein robustes Bild der Umwälzzirkulation", so Dr. Levke Caesar. Laut den daraus gewonnenen Erkenntnissen gab es beim Golfstrom bis etwa zum Jahr 1850 kaum eine Veränderung. Danach begann er allmählich zu schwächeln, ein Phänomen, das sich ab Mitte des 20. Jahrhunderts deutlich beschleunigt hatte. Seitdem hat sich der AMOC um 15 Prozent verlangsamt. Diese Größenordnung kann laut den Forschern nicht mehr nur als natürliche Schwankung erklärt werden, sondern müsse eng mit dem Klimawandel in Verbindung stehen. „Es gibt keine wissenschaftlich plausible Erklärung für eine natürliche Abschwächung", so Prof. Stefan Rahmstorf. Dagegen spreche vieles dafür, dass die Abschwächung „sehr wahrscheinlich anthropogen" sei.
Kälteeinbruch in Nordeuropa
Als Beleg für seine These führt Prof. Stefan Rahmstorf einige aktuelle Phänomene an: „Schon heute sehen wir einen stärkeren Meeresspiegelanstieg an der amerikanischen Küste und verstärkte Hitzewellen in Westeuropa, da sich über der Kälteblase im nördlichen Atlantik häufiger ein Tief festsetzt, was dann zu einer Luftströmung aus Südwesten nach England hinein führt." Bisher habe die Umwälzströmung, so das Forschungsteam, Wassermassen von der US-Ostküste abgelenkt. „Wenn sich die Strömung verlangsamt, schwächt sich dieser Effekt ab, und es kann sich mehr Wasser an der US-Ostküste aufstauen. Das kann zu einem verstärkten Meeresspiegelanstieg führen", so Dr. Levke Caesar. Für Europa sagen verschiedene Klimamodelle beim Erlahmen des Golfstroms eine deutliche Zunahme von Stürmen, Dürren und sommerlichen Hitzewellen voraus. Andere Modelle prognostizieren eine verminderte CO2-Aufnahmefähigkeit des Ozeanwassers sowie nachteilige Folgen für den Fischbestand. „Wenn wir die globale Erwärmung künftig weiter vorantreiben wird sich das Golfstrom-System weiter abschwächen – um 34 bis 45 Prozent bis 2100, gemäß der neuesten Generation von Klimamodellen. Das könnte uns gefährlich nahe an den Kipppunkt bringen, an dem die Strömung instabil wird", warnt Prof. Stefan Rahmstorf. Bei Erreichen dieses Kipppunktes könnte es schlimmstenfalls zu einem vollständigen Aussetzen der Umwälzströmung kommen, was Nordeuropa einen Kälteeinbruch bescheren würde. „Auch wenn das irreversible Versiegen der Strömung Hunderte von Jahren dauern könnte, sollte es uns doch Sorgen bereiten. Denn wir sind verantwortlich dafür, wenn wir das System destabilisieren und damit für viele Jahrhunderte die nachkommenden Generationen beeinträchtigen", sagt Prof. Stefan Rahmstorf.
Letzte Gewissheit über die anthropogene Ursache der Golfstrom-Verlangsamung kann aber auch die aktuelle Studie nicht liefern. Worauf ein prominenter Kritiker wie Prof. Mojib Latif, Leiter der Forschungseinheit Maritime Meteorologie am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, hingewiesen hat. „Es mag sein, dass der Golfstrom schwächer geworden ist, aber das heißt nicht notwendigerweise, dass schon der Mensch dafür verantwortlich ist." Denn die extrem starke Erwärmung der Erde habe sich in den letzten 25 Jahren laut Prof. Mojib Latif nicht in einer dieser Größenordnung entsprechenden Verstärkung der Golfstrom-Verlangsamung niedergeschlagen. Zudem könne die Studie nicht erklären, warum der Golfstrom Anfang der 90er-Jahre kurzfristig wieder Fahrt habe aufnehmen können, um dann nach der Jahrtausendwende wieder abzuflauen.