„Ja, ich will". Für Jeannine Platz ist dieser Moment zu schön, um ihn nicht aus dem Standesamt oder der Kirche mit nach Hause zu tragen. Sie hält ihn fest und verziert die Schleppen von Brautkleidern mit einzigartigen Botschaften.
Im Unterschied zu Schauspielerin Angelina Jolie, die ihren Schleier zur Hochzeit mit Brad Pitt von ihren Kindern bemalen ließ, greift Jeannine Platz für Love Message-Brautkleider zum Tuschpinsel und beschriftet den Stoff mit schwungvollen, prägnanten Kalligraphien. „Ich habe diese Idee schon seit Jahren. Vor Kurzem habe ich einfach in einem Brautladen in Hamburg-Eppendorf nachgefragt, ob ich dafür ein Kleid zur Verfügung gestellt bekäme. Zwei Tage später habe ich losgelegt", erzählt sie, nachdem sie mit Stofffarbe und Pinsel getestet hatte, ob die Beschriftung auch eine Reinigung überstehen würde.
Die Kalligraphie, die Kunst des Schönschreibens, ist für die 47-Jährige, die eine Schauspielausbildung absolviert hat, am Ohnsorg-Theater gespielt und auch als Moderatorin gearbeitet hat, weit mehr als ein Job. Vielmehr ist Jeannine Platz Kalligrafin durch und durch, beruflich wie privat. Ihr geht etwas durch den Kopf? Kurz darauf steht es an einer der Wände ihres Zuhauses. „Kalligraphieren kann man überall. Auf Leinwänden, Geschirr, Stoffservietten, sogar auf Autos", zählt sie auf. Im Mai hat die Künstlerin Jeannine Platz eine Seite eines Frachtcontainers, der um die Welt reist und sich gerade in Mexiko befindet, mit ihren Händen, einem Spachtel und einer Zahnbürste mit einem Motiv aus dem Hamburger Hafen bemalt. Die andere Seite wurde von ihr mit einem Spruch beschriftet: „You dip your finger into the sea and you are in touch with the whole world", zu deutsch „Du tauchst deinen Finger ins Meer und bist in Kontakt mit der ganzen Welt".
Zwei Jahre auf allen Kontinenten unterwegs
Dass es zu diesem ungewöhnlichen Projekt kam, ist der reisenden Jeannine Platz geschuldet. Bevor ihre Kinder geboren wurden, war die Hamburgerin als Künstlerin zwei Jahre auf allen Kontinenten unterwegs, hat sogar am Nordpol und in der Antarktis gemalt. „Ich bin damals auch auf einem Containerschiff gereist, einfach, weil ich dazu Lust hatte, bis nach Malta und Marokko gefahren, die Ostsee rauf und runter. Der Spruch, den ich auf den Container geschrieben habe, stammt vom Captain meiner Seereise", erinnert sich die frühere Globetrotterin und heutige Betreiberin ihres eigenen „Ateliers für Malerei & Kalligraphie".
Handschrift eins, davon zeugen ihre Noten in der Grundschule. Damals, erzählt sie, hätten die Lehrer ihr schon prophezeit, dass sie das Schreiben ein Leben lang begleiten würde. Sie habe, verrät sie noch, vor dem Lesen bereits schreiben können. „Ich habe mich schon immer gern mit Bildern und Schrift ausgedrückt", so Jeannine Platz, die neben Schauspiel und Malerei früh schon in einer Agentur gearbeitet hat, dort für große Namen wie Chanel und, passender geht es kaum, für Montblanc kalligraphiert hat. „Bei handschriftlichen Einladungen für Events etwa kommen mehr Leute. Die Wertschätzung ist höher und viele hängen diese besonderen Anschreiben auch auf", weiß die Mutter zweier Töchter, die heute auch Workshops für dieses Kulturgut gibt. Dort zeigt sie den Eleven, wie man mit Füller schreibt, wie man beispielsweise sein eigenes Monogram mit ineinander laufenden Buchstaben kalligraphiert.
Für Anfänger gibt es auch Handlettering-Stifte, also Kalligraphie-Schreibgeräte. Jeannine Platz favorisiert Feder und Tintenfass. Dazu das passende Papier, am besten Büttenpapier. Schmierpapier, gesteht sie, gäbe es bei ihr nicht. Auch nicht für ihre Töchter. Die kennen, abgesehen von Computer- und Handytastaturen, nur schönes Schreibmaterial. Das wissen auch die Lehrer zu schätzen. Die würden sich, sagt Jeannine Platz, über jede Entschuldigung freuen, denn sie unterschreibe, kalligrafisch schön, über das ganze Blatt.
Karl Lagerfeld war einer der Auftraggeber
Würde hingegen Komiker Wigald Boning, der dafür bekannt ist, vor Supermärkten weggeworfene Einkaufszettel zu sammeln, hoffen, einen der Kalligraphin zu finden, hätte er Pech. „Ich schreibe nie Einkaufslisten, ich gehe in die Läden und lasse mich inspirieren", spart sie jenes Schriftstück aus, das die meisten Menschen auch im medialen Zeitalter noch von Hand anlegen.
„Wenn man sich Mühe gibt, hat jeder eine schöne Schrift", ist sie felsenfest überzeugt. Mit der Hand zu schreiben, ist für die vielseitige Norddeutsche eine besondere Art der Entschleunigung, sozusagen „ausatmen mit Papier". Trotz oder vielleicht gerade wegen der neuen Medien gibt es eine kleine Renaissance des Handschreibens im Allgemeinen und des Kalligraphierens im Speziellen. „Auf Instagram sehe ich junge Mädchen, die diese Schreibkunst wiederentdeckt haben und damit viele Follower begeistern", sagt die gebürtige Hannoveranerin, die für Firmen und Privatleute, unter anderem für den verstorbenen Modezar Karl Lagerfeld, neben Einladungen auch Weihnachtskugeln und Ostereier mit ihrer Schönschrift veredelt hat. Eine per Hand geschriebene Einladung beginnt preislich ab 120 Euro, eine Baumkugel bei 25 Euro, Leinwände beschriftet sie ab 2.000 Euro.
Die mit Liebesbotschaften beschriebene Schleppe eines Brautkleides ist für Jeannine Platz nur eine Möglichkeit, besondere Momente festzuhalten, Erinnerungen zu schaffen und einer ungewöhnlichen Leinwand eine ganz individuelle Note zu geben. „Das Revers eines Anzugs, der Kragen eines Hemdes, ein Abendkleid, ein T-Shirt, Schuhe zu beschriften, alles ist möglich. Die Farbe des Untergrunds spielt dabei keine Rolle. Wenn nicht schwarz oder farbig auf weiß, dann umgekehrt", verrät sie ihre Pläne möglicher „Stoff-Tattoos". Damit, so die Kalligraphin, umhülle man sich quasi mit Worten.
Ein Zitat, eine Lebensweisheit, ein origineller Spruch, an Quellen mangelt es wahrlich nicht. „Für mich sind Gedichte großartig. Sie bringen es auf den Punkt, sind kurz und prägnant, sind eine Essenz", schwärmt Jeannine Platz, die auch ihre eigene Kleidung längst schon damit geziert hat. So eine weiße, ausgefranste Schlaghose, auf die sie mit Kugelschreiber ein Gedicht geschrieben hat, dass sie gerade bewegt hat. „Ich hatte mir eine teure Bluse gekauft, die ich beim Kalligraphieren getragen habe und aus Versehen Farbe verspritzt hatte. Daraufhin habe ich beide Manschetten vollgeschrieben", gibt sie preis.
Mit der Bremer Designerin Petra Borgward macht sie derzeit gemeinsame Sache. Sie gibt deren Luxushandtaschen einen „punkigen Touch, der aussieht wie ausgerutscht, jedoch pro Tasche zwei Stunden Arbeit erfordert".
Eine Verbindung von Kunst und Kalligraphie hat Jeannine Platz mit ihrem ungewöhnlichen, vor dem ersten Lockdown begonnenen Projekt „The Voice on my Skin" Realität werden lassen. Promiente haben sich von ihr direkt auf die Haut schreiben lassen. Wie die Schauspielerin Sandra Quadflieg. „Ich habe ihren ganzen Körper mit Begriffen, die ihr wichtig sind wie Liebe, Vertrauen, Freiheit, Glück, Lachen und Leidenschaft mit meiner schwungvollen, leicht beschwingten Schrift bedeckt", so die Wort-Künstlerin über eine besondere Art des Body-Paintings, „sie fühlte sich nicht nackt, denn ich habe sie mit Worten wieder angezogen".
Eine nackte Leinwand der anderen Art wäre, so ihr Traumobjekt, während einer Modenschau oder eines Konzerts das Bühnenbild zu kreieren. Ein kahler Hintergrund, den sie während der Show gestalten würde, nach Musik und dem, was sie im Moment spüre. „Anschließend würde ich es auseinanderreißen und jedem der Mitwirkenden und aus dem Publikum ein Stück mitgeben, um so diesen Moment zu teilen", wünscht sich Jeannine Platz.
Das Kalligraphieren als Happening hat sie auch schon auf Hochzeiten veranstaltet. Hat auf einer Leinwand als Collage festgehalten, was die Gäste dem Brautpaar wünschen. Übertragen ließe sich diese Idee auch auf kalligraphierte Love Dress-Brautkleider – je nach Motivation des Brautpaares als Momentaufnahme des Hochzeitstages oder als Geburtsstunde des „Wedding Dress Sharings", des Brautkleid-Teilens mit allen Anwesenden.