An der HBKsaar fand ein Comic-Kurs statt, der von Diplom Designer Tim Kamp geleitet wurde. Eine Auswahl dessen, was den Teilnehmenden eingefallen ist und ein Plädoyer fürs Zeichnen.
Herr Kamp, Sie sind Lehrbeauftragter für Kommunikatives Zeichnen an der HBKsaar. Als Schwerpunkt ihrer Lehre benennen Sie die Vermittlung des „erweiterten Sehens". Was meinen Sie damit?
Das Auge ist nicht geschult Dinge, die einen umgeben, wahrzunehmen. Erweitertes Sehen bedeutet, dass man Dinge erkennt, die andere, die sich damit nicht beschäftigt haben, nicht erkennen, dazu zählen beispielsweise das Erkennen von Helligkeiten, Kontrast, Farbenspielen und -verläufen. Es geht um die Sensibilisierung des Auges für das Umfeld. Man kann nur das zeichnen, was man richtig sieht. Ein Beispiel: Die Studenten erhalten die Aufgabe, aus dem Kopf ein Fahrrad zu zeichnen. Die Zeichnung muss zwei kommunikative Funktionen erfüllen. Das Fahrrad muss erkennbar ein Fahrrad sein und es muss funktionieren, fahren können. 30 Studenten wissen, wie ein Fahrrad aussieht. Zwei von ihnen können zeichnen, wie es funktioniert. Wer Zeichnen richtig gelernt hat, sieht die Welt mit anderem Auge. Deshalb ist meine Lehre: Zeichnen als Kommunikationsmittel einzusetzen.
Ist Zeichnen können ein Talent oder erlernbar?
Musik machen kann jeder. Zeichnen auch. Beides ist erlernbar. Aber es gibt Menschen, die kommen mit dem absoluten Gehör und großer Musikalität auf die Welt. Das ist so. Wer dann noch trainiert, wird richtig gut. Nichtsdestotrotz: Vieles ist erlernbar.
„Zeichnen ist eine Sprache, die die ganze Welt versteht.", schreiben Sie in ihrer Zeichenfibel. Bis dato dachte ich, das gelte einzig für die Musik.
Ja, das ist doch schön, das ist eine tolle Parallele. Ich bin ja auch Hobbymusiker. Diese Parallele ergibt sich einfach oft. Auch beim Zeichnen ist das Üben das A und O.
In der Schulausbildung gilt das Fach „Bildende Kunst" als nicht so wichtig. Sicherlich vertreten Sie eine andere Meinung.
Zeichnen ist das Erste, was ein Kind macht, wenn es einen Stift in die Hand bekommt. Erinnern Sie sich mal an ihre Kindheit! Sie schreiben nicht, sie rechnen nicht, sie lesen nicht – weil sie es noch nicht können. Dann kommen Sie in die Schule und lernen. Rechnen, Schreiben, Lesen – das wird eingebläut. Das Zeichnen fällt hinten runter. Der Kunstunterricht geht – je älter man wird – immer mehr in die Theorie. Ich bin überzeugt, würde man von Anfang an dem Zeichnen den gleichen Stellenwert geben, wie dem Erlernen des Schreibens oder Lesens oder Rechnens, würde die Welt viel mehr zeichnerisch kommunizieren. Keiner würde sagen: Ich kann nicht zeichnen. Das Zeichen wird zum Stiefkind. Bei mir wurde es sogar zum Sorgenkind, weil ich in Situationen im Unterricht gezeichnet habe, in denen man das nicht durfte.
Sie haben für Studentinnen und Studenten eine Zeichenfibel herausgebracht. Darin fand ich das Wort „Scribbeln". Was ist das?
Das bedeutet kritzeln oder skizzieren. Scribbeln ist eine Form von schnellem, intuitivem Zeichnen: vom Kopf in die Hand direkt aufs Papier, um Ideen und Gedanken festzuhalten ohne, dass es dabei auf die Qualität der Zeichnung ankommt.
Sie haben mit 13 Studentinnen und Studenten an der HBKsaar einen Comic-Kurs gehalten. Wie lautete die Vorgabe?
Die Aufgabe war, einen Comic-Strip für „FORUM – Das Wochenmagazin" zu entwickeln. FORUM beinhaltet ein breites Spektrum an Themen, außer einem Comic. Ich dachte, das wäre ein schönes Thema für einen Zeichenkurs.
Die Themenfelder reichen von Corona, Gender, Wahrnehmungsunterschiede der Generationen, bis zu Saar-Kolorit, der Lyoner wird sogar zum Leben erweckt. In FORUM 41 werden wir diesen Comic-Strip zeigen. Wie schauen Sie auf die Ergebnisse des Comic-Kurses?
Grundsätzlich zufrieden. Aber auch positiv überrascht. Festgestellt wurde, dass zehn Termine mit je zwei Stunden jedoch nicht ausreichend waren. Trotz allem sind dabei tolle Ergebnisse herausgekommen. Es geht ums Zeichnen, aber um so viel mehr. Es müssen Charaktere entwickelt, ein guter Plot erfunden, die Locations bestimmt werden. Gelernt werden muss, wie man in Bildern erzählt. Wie bringt man Text und Bild zusammen? Viele Fallstricke lauern in dem komplexen Thema. Und plötzlich wird das Zeichnen zur Nebensache. Der Betrachter wird nicht gefesselt, weil etwas gut gezeichnet ist. Es gibt unendlich viele Comics, die super gezeichnet, aber total langweilig sind. Zeichnen ist beim Comic das Mittel zum Zweck – nie die Hauptsache. Die Hauptsache eines Comics ist immer die Story und das, was sie erzählen wollen.
Eine anspruchsvolle Kunst. Wird sie unterschätzt oder erlebt sie gegenwärtig Aufwind?
Sie wird unterschätzt, erlebt aber einen Aufwind – vor allem in Saarbrücken. An der HBKsaar lehrt Jonathan Kunz „Sequentielle Bilderzählung". Mein Schwerpunkt ist ja Zeichnen, ich habe den Comic-Kurs deshalb gewählt, weil er online gut gestaltbar war. Deutschland ist nicht das große Comic-Land. In Belgien und Frankreich werden im Gegensatz zu Deutschland Comics viel mehr als Kunstform gesehen. Im Moment erleben wir einen Hype durch die sogenannte Graphic Novel. In Deutschland braucht man manchmal so einen Begriff, um Comic wieder zu etablieren. Letzten Endes ist Graphic Novel nichts anderes als ein Comic mit höherem Anspruch.