Warum wir uns alle mehr dafür interessieren und uns auch mehr einmischen müssen
Das Ende des Bundestagswahlkampfs führte bei manchen Kommentatoren – im persönlichen Umfeld, in den sozialen Medien, aber auch bei manchem Meinungsprofi – zu einer seltsamen Form der Erleichterung: Endlich, so las man, seien diese endlosen Diskussionen vorbei, endlich habe man wieder etwas mehr Ruhe. Das liest sich so, als würde mit erfolgter Wahl – und entsprechender Regierungsbildung – die Politik wieder dorthin gehen, wo sie hingehört: in Meetingzimmer, ins Plenum des Bundestags, in die unausweichlichen Videokonferenzen der Entscheidungsträger.
Hin und wieder bekommen wir dann natürlich noch etwas mit – wir wollen ja nicht desinteressiert wirken – und hin und wieder haben wir auch eine Meinung dazu. Aber, Gott sei Dank, das Bombardement mit politischer Munition aus dem Wahlkampf ist vorbei. Endlich wieder andere Themen und andere Gesichter.
Welch ein fataler Irrtum. Der Überdruss mit manchen Diskussionen und Übertreibungen des Wahlkampfes darf nicht dazu führen, dass wir vor einer ganz wichtigen Tatsache die Augen verschließen: Das Politische wird wichtiger, dringender und anstrengender denn je, und das muss es auch werden. Es muss uns, und wir müssen mehr fordern: mehr Antworten, ein größeres politisches Alltagsbewusstsein, eine Bereitschaft, uns mit den dahinter liegenden Prozessen vertraut zu machen, uns einzumischen, im Rahmen unserer Möglichkeiten mitzumachen.
Denn einer der Gründe für die allgemeine Politik- und Parteienverdrossenheit sind wir doch selbst. Wir haben zu lange akzeptiert, dass Entscheidungsträger mit Plattitüden und Worthülsen durchkommen. Mit zynischem Kopfschütteln betrachten wir inhaltlose Wahlkampfsprüche auf inhaltlosen Plakaten, dulden die ewig gleichen Wendungen, Ausreden und Nichtfestlegungen, mit denen wir politisch groß geworden sind.
Die drängenden Probleme unserer Zeit wegzulächeln, weich zu diskutieren und in ihrer Komplexität auf das absolut begreifbare Minimum herunterzudampfen, damit haben wir uns nicht nur abgefunden – wir haben es oft genug eingefordert. Wir wollen es knapp, und wir sehnen uns nach dem Schlaglicht. Wir wollen entweder beruhigt werden oder haben es uns im Panikmodus eingerichtet, der dem Stakkato politischen Aktionismus entspricht, den wir als Realität und Alltag akzeptieren.
Wir dürfen uns jetzt nicht erleichtert darüber, dass die Trielle ihr Ende gefunden haben, einfach so abwenden. Die Herausforderungen der Zeit fragen nach einer Antwort von allen Wahlbürgern. Und wenn wir uns davor drücken, sie zu geben, überlassen wir diese Antworten jenen, die auch in diesem Wahlkampf oft als Reaktion nur auf sehr nachdrückliches Insistieren bereit waren, mehr als eine Wortwolke abzusondern. Wenn nicht das Konkrete eingefordert und die Anstrengung der Komplexität akzeptiert wird, sieht sich niemand auf einer politischen Entscheidungsebene genötigt, mehr zu tun als das absolut Notwendige – und nichts, was den erneuten Wahlsieg gefährden könnte, obgleich wir in einer Zeit leben, in der man es endgültig nicht mehr allen recht machen kann.
Die Verantwortung dafür trägt ein jeder und eine jede selbst. Es ist anstrengend, permanent im Wahlkampfmodus zu sein, niemand kann das ernsthaft verlangen. Aber das Ende dieses Wahlkampfes darf nicht dazu führen, dass man dem Politischen bis zur nächsten Wahl wieder entsagt – erleichtert, es wieder einmal hinter sich gebracht zu haben. Das Gegenteil müssen wir tun, und ja, auch das ist anstrengend. Aber die Zeiten rufen danach, das Politische durchgehend in unser Leben zu lassen – auch, wenn es manchmal weh tut. Erfinden wir es für unser eigenes Leben neu, und tun wir mehr, als dagegen zu sein oder mit den Augen zu rollen. Die Probleme unserer Zeit sind zu groß, als dass wir sie für die nächsten vier Jahre nur anderen überlassen sollten.