Turin ist alles andere als eine schnöde Industriemetropole – sie ist reich an Geschichte, Kunst, Kultur und vor allem an Grünflächen. Ein kurzer Trip in die facettenreiche Stadt im Nordwesten Italiens.
Nirgendwo ist der Blick über die Stadt schöner als von der Mole Antonelliana. Das finden andere auch, denn die Schlange vor Turins skurrilstem Gebäude ist lang. Ich muss eine Stunde warten, bis ich in den gläsernen Fahrstuhl einsteigen darf, der zur Aussichtsplattform in der Kuppel hinauffährt. Wenige Minuten später werde ich mit einem fantastischen Blick über die Autometropole belohnt, die mit 17.500.000 Quadratmetern Grünfläche, 165.000 Bäumen und zahlreichen autofreien Zonen die grünste Stadt Italiens ist. Bei seiner Fertigstellung 1889 war das 167 Meter hohe Bauwerk das zweithöchste begehbare Gebäude der Welt.
Die Mole Antonelliana ist Sitz des Nationalen Filmmuseums. In Turin wurde 1905 Italiens erstes Filmstudio gegründet, und die Stadt galt lange als Italiens Filmhauptstadt. In der gigantischen Aula lasse ich mich in einer bequemen Chaiselongue nieder und schaue mir Filmausschnitte aus diversen Kinoklassikern an. Der Ton kommt aus Lautsprechern, die auf Ohrenhöhe eingebaut sind. Als ich genug habe, steige ich hinauf in die offenen Ausstellungsebenen, die auf mehreren Etagen rings um die Aula angeordnet sind und durch die Geschichte des Films führen. Unterwegs begegne ich dabei immer wieder Spezialeffekten.
Zahnradbahn fährt Berg hinauf
Nächster Punkt auf der Must-see-Liste sind der Dom und das Turiner Grabtuch. Das Tuch der Tücher wird in einer Seitenkapelle aufbewahrt. Bisher konnte allerdings kein wissenschaftlicher Beweis erbracht werden, ob es sich bei der berühmtesten Reliquie des Christentums tatsächlich um das Grabtuch Christi handelt. Da das Tuch nur alle paar Jahre ausgestellt wird, bestaune ich die Reliquie in einem Kurzfilm, der über einen Bildschirm im Dom flimmert.
Eile ist angesagt, denn die Zahnradbahn „Tranvia Sassi-Superga" fährt nur zur vollen Stunde hinauf auf den Superga. Ich haste zur Piazza Castello und fahre mit der Tram Nr. 15 Richtung Sassi, wo ich den Anschluss gerade noch schaffe. Die alte Zahnradbahn zuckelt gemächlich zum Superga hinauf, wo die gleichnamige Basilika 700 Meter über Turin thront. Dass die prachtvolle Kirche an diesem ungewöhnlichen Ort steht, ist Vittorio Amedeo II. zu verdanken. Als die Stadt 1706 von den Franzosen belagert wurde, stieg der Herzog auf die Hügelspitze, um die Jungfrau Maria um Hilfe anzuflehen. Nach dem Sieg über die französischen Truppen ließ er als Dank die „Basilica della Natività di Maria Vergine" errichten, die später nach ihrem Standort benannt wurde.
Prunkvolle Paläste
In der gigantischen Krypta befinden sich 66 Grabstätten des Königshauses Savoyen. Allein die Aussicht über Stadt und Alpen ist die Fahrt hinauf wert. Bei klarem Wetter kann man von der Kuppel der Basilika sogar die Spitze des Matterhorns sehen, heißt es. Da die Sicht am Nachmittag aber alles andere als klar ist, erspare ich mir den Treppenaufstieg. Hinter der Kirche befindet sich ein Gedenkstein, der daran erinnert, dass hier am 4. Mai 1949 ein Flugzeug mit Spielern des legendären Grande Torino (AC Turin) im Nebel abstürzte.
Ich bin nur für ein Wochenende in Turin. Um möglichst viel in kurzer Zeit zu sehen, mache ich eine Tour in dem roten Doppeldeckerbus, der an der Piazza Castello abfährt. Der Platz mit dem eleganten Palazzo Madama, einst Wohnsitz der königlichen Damen, ist das monumentale Herz der Stadt. Ein Straßenmusiker singt die Ballade „Piazza Grande" von Lucio Dalla. Das passt! Nicht weit davon steht der prunkvolle Palazzo Reale, der den Savoyern bis 1865 als königlicher Palast diente. Im Palazzo Carignano auf der gleichnamigen Piazza wurde der erste König Italiens geboren, später war der Palast Sitz des ersten italienischen Parlaments. Gute Stube der schachbrettartig konzipierten Altstadt ist die Piazza San Carlo, wo sich unter monumentalen Arkaden Cafés, Boutiquen und kleine Läden aneinanderreihen. Hier befindet sich das berühmte Kaffeehaus „Caffè Torino", das nach seiner Eröffnung 1903 beliebter Treffpunkt von Adligen und Intellektuellen war. Heute trifft sich hier die Welt – von 8 Uhr in der Früh bis um Mitternacht. Jetzt schnell einen Espresso, bevor ich mich ins Shopping-Vergnügen stürze. Wichtigste Einkaufsstraße im Zentrum ist die ein Kilometer lange Fußgängerzone Via Garibaldi, zu Zeiten der Römer die Hauptstraße der Stadt, Prachtmeile ist die Via Roma, in der alle italienischen Designer zu Hause sind.